Rechtsbindung der Religionsgemeinschaften

I. Abgrenzungen

Hier soll die Frage beschäftigen, inwieweit Religionsgemeinschaften bei ihrer Tätigkeit verpflichtet sind, die staatliche Rechtsordnung einschließlich der Grundrechte zu beachten. Dass Religionsgemeinschaften als solche Grundrechtsträger sein können, ist ein anderes Thema, ebenso, ob und inwieweit Religionsgemeinschaften ihren Mitgliedern intern nach eigenem Recht grundrechtsähnliche Ansprüche einräumen (s. Grundrechte in der Kirche). Es geht hier darum, inwieweit Religionsgemeinschaften bei der Ausübung ihres Selbstverwaltungsrechts, Art. 137 III GG, an staatliches Recht gebunden sind.

II. Übertragene Hoheitsgewalt und allgemeiner Rechtsverkehr

Soweit den Religionsgemeinschaften von Staats wegen Art. 137 V WRV/140 GG Hoheitsgewalt übertragen wurde, sind sie unstreitig stets an die staatliche Rechtsordnung gebunden, so im Privatschulwesen und im Kirchensteuerrecht. Seit einiger Zeit wird von einer qualifizierten Mindermeinung wegen des Prinzips der Trennung von Staat und Religion bestritten, dass das auch bei kirchlichen Friedhöfen gilt (s. näher Bestattungswesen). Die Frage hat erhebliche praktische Bedeutung. Für die Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr (Abschluss von Kaufverträgen, Grundstücksgeschäften usw.) hat noch nie ein Zweifel an der Geltung der allgemeinen Rechtsordnung bestanden. Zahlreiche gewichtige Sonderprobleme bestehen allerdings bezüglich des riesigen Komplexes des staatlichen Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich, wo die Abgrenzung von Selbstverwaltungsrecht und staatlichem Recht besonders umstritten ist. Im Kündigungsschutzrecht wurden die Grundrechte der kirchlichen Arbeitnehmer bisher nur unzureichend beachtet (s. Kündigungsschutz).

III. Fragen des Selbstverwaltungsrechts

Eine vor allem in der Rspr. lange verbreitete Auffassung (sog. Bereichslehre) will für einen rein religiösen Innenbereich auch jede staatliche Grundrechtsbindung ausschließen, während im übrigen (Außenwirkung) sehr schwierige und umstrittene Fragen der Schranken des Selbstbestimmungsrechts zu lösen sind. Ein besonders umstrittener Bereich ist der der Geltung der staatlichen Grundrechte und des Rechtsschutzes im Kirchenbeamtenverhältnis und Pfarrerdienstrecht. Die Rechtsliteratur vertritt heute im Allgemeinen eine (vorzuziehende) Abwägungslehre, wonach es keinen Bereich der Religionsgemeinschaften gibt, der von vorneherein nicht der grundsätzlichen Einschränkung durch die staatliche Rechtsordnung unterliegt. Für diese Auffassung spricht schon der Wortlaut des Art. 137 III WRV, wonach auch bei eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften der Rahmen der durch die allgemeinen Gesetze gezogenen Schranken eingehalten werden muss. Außerdem lässt sich eine strenge Bereichsscheidung nicht durchhalten, denn auch z.B. bei einer rein innerkirchlichen Veranstaltung wie einem Gottesdienst dürfen natürlich bei der Predigt keine Verunglimpfungen oder Beleidigungen im strafrechtlichen Sinn erfolgen und darf das Gebäude nicht einsturzgefährdet sein. Im Rahmen einer Abwägung muss daher jeweils entschieden werden, ob das Rechtsgut der Selbstverwaltung   der r-w Gemeinschaft oder das staatliche Gesetz einschließlich der Grundrechte den Vorzug erhalten soll. So gesehen sind die Religionsgemeinschaften immer (grund)rechtsgebunden, wobei im Einzelfall nach erfolgter Abwägung ggf. eine Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts ganz unterbleiben muss.

>> Bestattungswesen; Grundrechte in der Kirche; Kirchenrecht; Kündigungsschutz; Selbstverwaltungsrecht.

Literatur:

  • Jeand’Heur/Korioth: Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, S. 151-155.
  • Schnapp, F. E./Kaltenborn, M.: Grundrechtsbindung nichtstaatlicher Institutionen, JuS 2000, 937/942 f.
  • Weber, Hermann: Bindung der Kirchen an staatliche und innerkirchliche Grundrechte und das Verhältnis der Grundrechtsgewährleistungen zueinander, ZevKR 1997,282-318.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)