Sonn- und Feiertagsrecht

Sonn- und Feiertagsrecht

Basis des gesamten Sonn- und Feiertagsrechts ist Art. 139 WRV/140 GG. Er lautet:

"Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt."

I. Grundsätzliche Bedeutung

Dieser Text entspricht generellen sozialpolitischen Notwendigkeiten und wird auch religiösen Menschen und Religionsgemeinschaften gerecht. Er garantiert die Sonntagsruhe, die übrigen Feiertage werden aber weder nach ihrer Anzahl noch nach ihrem Zweck unterschieden. Das bedeutet, dass sie nur mit einem unantastbaren Kernbereich institutionell garantiert sind. Zuständig für die Detailregelung sind die Länder, die natürlich weitgehende Gestaltungsfreiheit haben. Subjektive Rechte sind im Text des Art. 139 WRV nicht einmal angedeutet. Im System des Religionsverfassungsrechts ist Art. 139 WRV demnach ohne Bedeutung, obwohl eine weit verbreitete Meinung ihn argumentativ für ein Kooperationsprinzip vereinnahmt.

II. Landesrecht

Obwohl die Minimalgarantie des Art. 139 WRV nur am Rande des Religionsverfassungsrechts und Verwaltungsrechts steht, hat sich zum Sonn- und Feiertagsrecht eine umfangreiche Literatur und Rechtsprechung entwickelt. Die Sonn- und Feiertagsgesetze der Länder enthalten viele und unterschiedliche Einzelregelungen, etwa zum besonderen Schutz sogenannter stiller Tage (z. B. Karfreitag, Totensonntag), die auch Veranstaltungsverbote umfassen. Hierzu wird unten IV der Karfreitags-Beschluss des BVerfG von 2009 erörtert. Besondere Befreiungsregelungen können auch regionale oder lokale Traditionen berücksichtigen. Für religiöse Minderheiten ohne gesetzliche Feiertage werden teilweise aus Art. 4 GG Freistellungsansprüche gewährt. Umgekehrt hat das Bundesverfassungsgericht gesetzliche Einschränkungen grundrechtlich geschützter Tätigkeiten mit Art. 139 WRV gerechtfertigt.

III. Gewerberecht, insbesondere Ladenöffnungszeiten

§ 55e der Gewerbeordnung untersagt mit zahlreichen festgelegten Ausnahmen grundsätzlich die Gewerbeausübung an Sonn- und Feiertagen, wobei es überaus zahlreiche Ausnahmen gibt. Dazu gibt es eine reichhaltige Rechtsprechung. Darin geht es um die Zulässigkeit der Gewerbeausübung, wenn die Frage der Beeinträchtigung der Funktion der Sonn- und Feiertagsruhe streitig war. Als Beispiel sei der Betrieb von Bräunungsstudios, Sportveranstaltungen, Videotheken und Waschsalons genannt.

Viel diskutiert wurde das Urteil des BVerfG von 2009 zum Berliner Ladenöffnungsgesetz. Es betraf Verfassungsbeschwerden der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg und des Erzbistums Berlin gegen die gesetzliche Regelung, wonach auch an allen vier Adventssonntagen von 13.00-20.00 Ladenöffnungen zugelassen worden waren. Dabei waren die Öffnungszeiten insgesamt schon ungewöhnlich großzügig festgelegt worden. Die Kirchen machten geltend, die Vorschriften erschwerten es ihnen unzumutbar, Gottesdienste und andere religiöse Veranstaltungen durchzuführen. Der Charakter der Adventssonntage werde verändert. Das Gesetz beachte nicht ausreichend die institutionelle Garantie des Art. 4 I, II GG i. V. m. Art. 139 WRV/140 GG. Das BVerfG erklärte die derzeitige Adventssonntagsregelung für verfassungswidrig. Höchstens einzelne Adventssonntage dürften verkaufsoffen gestaltet werden.

Das war zwar sozialpolitisch vernünftig, aber juristisch waghalsig. Bisher hatten nämlich BVerfG und Literatur stets eine subjektivrechtliche Bedeutung des Art. 139 WRV abgelehnt. Noch 1995 hatte eine Kammer desselben Senats deshalb eine Verfassungsbeschwerde gegen die Streichung des Buß- und Bettags nicht zur Entscheidung angenommen. Es könne kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass sich aus Art. 139 WRV keine subjektiven Rechte ableiten lassen. Nunmehr übernahm die Senatsmehrheit ohne Hinweis auf die Meinungsänderung die gekünstelte Auffassung, Art. 139 WRV garantiere zwar kein subjektives Recht und auch aus Art. 4 I, II GG ergebe sich kein Abwehrrecht. Aus beiden objektiven Schutzgarantien, die funktional auch auf das Grundrecht der Religionsfreiheit bezogen seien, ergebe sich aber durch deren wechselseitiges Zusammenwirken eine "Konnexgarantie". Kritik: Es lässt sich schwer einsehen, dass die Kombination zweier GG-Artikel, die jeweils kein subjektives Recht geben, dann doch zu einem subjektiven Recht führt. Die Verfassungsbeschwerden waren daher nach richtiger Ansicht unzulässig.

Vom Text des Art. 139 WRV ist es ein weiter Weg bis zu dem vom BVerfG kreierten neuen Sonntagsgrundrecht. Die Kirchen waren nicht Adressat des Gesetzes und die tatsächliche Betroffenheit recht gering, weil ja an Adventssonntags-Vormittagen Ladenöffnungen untersagt waren. Die Hauptgottesdienstzeit war also nicht einmal am Rande gestört. Auch konnte der Kernbereich einer Sonntagsgarantie schon deswegen nicht tangiert sein, weil nach dem Gesetz an mindestens 44 von 52 Sonntagen keine allgemeine Ladenöffnung zugelassen war. Im Übrigen ist Religion nur ein nicht genannter Aspekt des sozialstaatlichen Art. 139 WRV. Alle Berliner haben denselben Anspruch auf Ruhe, Besinnung und seelische Erhebung. Dazu braucht man nicht Kirchenmitglied zu sein. Art. 139 WRV lässt sowohl textlich als auch funktional keinen individualisierbaren Grundrechtsträger zu. Es verwundert nicht, dass drei Senatsmitglieder die Verfassungsbeschwerden für unzulässig hielten.

In der Rechtsliteratur wurde das Urteil daher von einer Minderheit angegriffen. C. D. Classen erklärte in seinem Lehrbuch "Religionsrecht", man dürfe den Kirchen kein "gesamtgesellschaftliches Bestimmungsrecht" über die Freizeitgestaltung zugestehen. Im Hinblick auf das Neutralitätsgebot ist bedauerlich, dass der "Hüter der Verfassung" nicht davor zurückgeschreckt ist, wegen eines nur niederrangigen Wunsches der Kirchen die bewährte Grundrechtsdogmatik und anerkannte verfassungsprozessuale Grundsätze im konkreten Fall beiseite zu schieben, um eine Sachprüfung vornehmen zu können, die gerade auch aus rechtstatsächlichen Gründen nicht zu überzeugen vermag.

IV. Stille Feiertage und Karfreitagsregelungen

2007 wollte der säkular-humanistische "Bund für Geistesfreiheit München K. d. ö. R." am Karfreitag eine eintrittspflichtige Veranstaltung unter dem Motto "Heidenspaß statt Höllenqual" durchführen. Vorgesehen waren zwei Filme mit anschließendem Freigeister-Tanz und ein Pralinenbüffet in einem schallisolierten Veranstaltungsort im Zentrum Münchens. Auch säkular-gesellschaftspolitische Fragen waren eingebunden. Nach dem damaligen bayerischen Feiertagsgesetz waren an "stillen Tagen" öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen nur bei Wahrung des ernsten Charakters des Tages erlaubt. Am Karfreitag waren zusätzlich in Räumen mit Schankbetrieb musikalische Darbietungen jeder Art verboten. Dennoch fanden in München seit Jahren zahllose Unterhaltungsveranstaltungen auch am Karfreitag problemlos statt. Die Stadt griff 2007 punktuell die freigeistige Körperschaft heraus und untersagte die Heidenspaß-Party unter Androhung des höchsten gesetzlichen Ordnungsgelds von 10.000 Euro.

Sämtliche Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Die Verfassungsbeschwerde hatte aber im wichtigsten Punkt Erfolg. Das BVerfG hielt zwar auf Grund des Art. 139 WRV besondere gesetzliche Einschränkungen für den Karfreitag für dem Grunde nach gerechtfertigt. Wenn eine Veranstaltung aber in den Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit oder der Versammlungsfreiheit falle, müsse der Gesetzgeber eine Ausnahme von stilleschützenden Unterlassungspflichten vorsehen. Die entsprechende Gesetzesvorschrift wurde für nichtig erklärt, weil sie keine Befreiungsmöglichkeit enthielt. Seitdem werden vergleichbare Karfreitagsveranstaltungen problemlos durchgeführt.

Grundrechtsdogmatik; Neutralität

Literatur

Classen, Claus Dieter: Religionsrecht, 3. A. 2020, S. 325-327.

Classen, Claus Dieter: Anmerkung zum Urteil des BVerfG zur Sonntagsarbeit, JZ 2010, 144 ff.

Czermak, Gerhard: https://weltanschauungsrecht.de/BVerfG-1-BvR%202857-07

Czermak, Gerhard: Eine "vernünftige” Entscheidung des BVerfG? In https://hpd.de/node/8372?nopaging=1

Kästner, Karl-Hermann, HSKR 3. A. 2020, S. 1599-1645.

Korioth, Stefan, H/D/S GG, Art. 140 GG/139 WRV (eingehend, auch zum Vertragsrecht).

Siehe BVerfGE 87, 363 (393); BVerfG-K NJW 1995, 3378 (3379).

BVerfGE 87, 363 (Sonntagsbackverbot).

BVerfGE 125, 39, U. 01.12.2009 – 1 BvR 2857/07 und 2858/07.

BVerfG NJW 1995, 3378, B. 18.09.1995 – 1 BvR 1456/95; zitiert wurde dabei BVerwGE 79, 118 (122).

BVerfGE 143, 161 B.v. 27.10.2016 - 1 BvR 458/10; s. https://weltanschauungsrecht.de/1-BvR-458-10 .

© Gerhard Czermak / ifw (2024)