Grundrechtsdogmatik

I. 
 Unter Rechtsdogmatik (s. dort) verstehen Juristen nicht ein Jonglieren mit autoritativen Glaubenssätzen, sondern ein offenes System möglichst begrifflich klarer, rational nachvollziehbarer Regeln zur Rechtsanwendung innerhalb eines Normensystems. Grundrechtsdogmatik bezeichnet somit das juristisch-systematische Arbeiten mit Grundrechten der Verfassung. Ihr geht es u.a. um folgende Fragestellungen:

  • Welcher inhaltliche Bereich (z.B. räumlich, personell, funktionell, Rechtsgut) wird überhaupt durch ein Grundrecht erfasst? Liegt überhaupt ein subjektives Grundrecht vor? Ist das Grundrecht wegen Konkurrenz mit einem anderen Grundrecht überhaupt einschlägig? Das sind Fragen des sog. Schutzbereichs des Grundrechts (synonym auch: Geltungsbereich oder Tatbestand). Beispiel: Handelt es sich beim Verteilen von Handzetteln überhaupt um Religionsausübung?

  • Liegt eine rechtsrelevante Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Rechtsguts und somit ein Grundrechtseingriff vor? Das könnte bei nur mittelbaren, ungewollten Auswirkungen staatlichen Handelns u.U. fraglich sein.

  • Ist der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt? Es geht um die Grundrechtsschranken, das Vorliegen eines Schrankenvorbehalts, um Fragen eines zulässigen Einschränkungsziels, der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Mittel, der Güterabwägung, des Ausgleichs kollidierender Grundrechte verschiedener Personen bzw. Institutionen.

II.
Die Zahl der grundrechtlichen Fragestellungen innerhalb dieser Grundbegriffe und darüber hinaus ist immens, die Literatur uferlos und oft extrem kompliziert. Dennoch lässt sich beim praktischen Rechtsfall gerade auch im religiös-weltanschaulichen Bereich oft auch durch Nichtjuristen eine erste sinnvolle Einschätzung gewinnen. Voraussetzung dafür ist die schlichte und konsequente Einhaltung der Prüfungsreihenfolge: Schutzbereich – Eingriff – Rechtfertigung. Das ermöglicht es manchmal auch ohne besondere Vorkenntnisse, zur Begründung von Gerichtsentscheidungen kritische Fragen zu stellen.

III.
Viel erörtert werden immer noch die Rechtspositionen von öffentlich Bediensteten wie Beamten und Soldaten unter dem Stichwort Sonderstatusverhältnis. Zu Zeiten der Monarchie gab es dabei strenge Sondervorschriften, die nach heutiger Ansicht Menschenrechtsverstöße darstellen würden (z.B. Heiratsverbote). Heute gelten in diesen Rechtsverhältnissen grundsätzlich die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Es gibt keine rechtsfreien Räume mehr. Aber Probleme bestehen nach wie vor, denn selbst einschränkende gesetzliche Klauseln zur Gewährleistung von Dienstfunktionen sind manchmal recht unbestimmt. Die beim öffentlichen Dienst zu berücksichtigenden hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 V GG) können zu heiklen Güterabwägungen führen. Ein immer noch aktuelles Beispiel ist der Konflikt zwischen kopftuchtragenden Lehrerinnen (Religionsfreiheit) und der ebenfalls verfassungsrechtlichen Neutralität.

Grundrechtsschranken; Dogmatik

Literatur:

  • Jarass/Pieroth, GG, 18. A. 2024, Anm. vor Art. 1 (ausführlich.)
  • Dreher, GG Bd. 1, 4. A. 2023

© Gerhard Czermak / ifw (2024)