BayVGH: Keine Außervollzugsetzung der Einführung des Islamischen Unterrichts in Bayern

Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 26. August 2021

I. Vf. 43-VIII-21

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Eilverfahren betreffen die Frage, ob Art. 47 BayEUG sowie § 27 BaySchO in ihrer geänderten, seit 1. August 2021 geltenden Fassung gegen die Bayerische Verfassung verstoßen und insoweit bis zu einer Entscheidung in den – von den Antragstellern angekündigten, aber noch nicht eingeleiteten – Hauptsacheverfahren durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen sind. Die beanstandete Gesetzesänderung eröffnet Schülerinnen und Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, anstelle der bisherigen Pflicht zur Teilnahme am Ethikunterricht ab dem Schuljahr 2021/2022 die Wahlmöglichkeit, entweder den Ethikunterricht oder den Islamischen Unterricht zu besuchen (Art. 47 Abs. 1 BayEUG). Dieser soll eine grundlegende Werteorientierung sowie Wissen über die Weltreligion Islam in interkultureller Sicht vermitteln (Art. 47 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 BayEUG). Der Islamische Unterricht geht zurück auf einen bayerischen Modellversuch, mit dem seit dem Jahr 2009 ein neu konzipierter "Islamischer Unterricht" erprobt worden war; ab dem Schuljahr 2021/2022 wird er nunmehr in veränderter Form in ein reguläres Unterrichtsfach (Wahlpflichtfach) übergeleitet. Die Antragsteller in beiden Verfahren begehren den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Gesetzes- und Verordnungsänderung bis zu einer Entscheidung in den künftigen Hauptsacheverfahren vorläufig außer Vollzug zu setzen.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen. 1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfahren Vf. 43-VIII-21 kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil das angekündigte Hauptsacheverfahren offensichtlich unzulässig wäre. Die geltend gemachte Meinungsverschiedenheit über die Verfassungsmäßigkeit des Änderungsgesetzes ist nicht, wie für das Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV erforderlich, schon im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden. In den Gesetzesberatungen sind von Abgeordneten der Antragstellerin keine konkreten verfassungsrechtlichen Zweifel gegen das Änderungsgesetz erhoben, sondern lediglich unspezifische rechtliche Bedenken geltend gemacht sowie politische Vorbehalte gegen den Islamischen Unterricht vorgetragen worden. Es fehlt damit offensichtlich an der notwendigen Identität zwischen den während der Gesetzesberatungen im Landtag erhobenen Rügen und dem Gegenstand der angekündigten Verfassungsstreitigkeit. Eine (Änderungs-)Verordnung kann von vornherein nicht Gegenstand im Verfahren der Meinungsverschiedenheit gemäß Art. 75 Abs. 3 BV sein.

2. Auch im Verfahren Vf. 44-VII-21 liegen die Voraussetzungen für die beantragte Außervollzugsetzung nicht vor. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die angekündigte künftige Popularklage zulässig wäre. Im Übrigen erweisen sich die angegriffenen Regelungen weder aus formellen noch aus materiellen Gründen als offensichtlich verfassungswidrig. Bei der demnach vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegen die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe. Die Einführung des Islamischen Unterrichts, bei dem es sich nach dem Gesetzeswortlaut, der systematischen Stellung der Vorschrift im Gesetz sowie dem Sinn und Zweck der Regelung nicht um konfessionellen Religionsunterricht im Sinn des Art. 136 Abs. 2 BV, sondern um einen allgemeinen Werteunterricht in Kombination mit Islamkunde als Alternative zum Ethikunterricht handelt, dürfte verfassungsrechtlich grundsätzlich als zulässig anzusehen sein. Auch bedeutet die neutrale Vermittlung von Kenntnissen über den Islam im Rahmen eines Ethikunterrichts besonderer Prägung keine Identifikation mit dem Islam; damit dürfte keine Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebots vorliegen. Die Einführung des Islamischen Unterrichts dürfte nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 118 Abs. 1 BV) verstoßen, da infolge der Freiwilligkeit der Teilnahme am Islamischen Unterricht, der fehlenden Beschränkung auf muslimische Schülerinnen und Schüler sowie der fehlenden Vergleichbarkeit der einzelnen Schülergruppen eine willkürliche Ungleichbehandlung anderer Personen bzw. Religionsgemeinschaften weder dargelegt noch erkennbar ist. Da keine Teilnahmepflicht besteht, ist auch keine Verletzung individueller Freiheitsrechte von Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern ersichtlich.

Bei der gebotenen Folgenabwägung ist dem öffentlichen Interesse am vorläufigen Vollzug der angegriffenen Normen klar der Vorrang einzuräumen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass auch im Fall eines Erfolgs der Popularklage durch die Abweisung des Eilantrags kein irreversibler Schaden entstehen würde