Kampagne #WirSindRechtsstaat: Bundesregierung sorgt mit Islamverbandschef für Irritationen und lässt 7 Verfassungsfragen ungeklärt
Dieser Artikel bietet einen Zwischenstand zu den Irritationen rund um die Regierungskampagne #WirSindRechtsstaat und die unklare Positionierung ihres Botschafters Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Man darf gespannt sein, warum es für das Bundesjustizministerium und seinen Botschafter Mazyek so schwierig ist, 7 konkrete Verfassungsfragen zu den individuellen Grund- und Menschenrechten und der Unterordnung der islamischen Rechtsnormen unter das Grundgesetz zu klären. Das ifw bleibt dran.
BMJV-Testimonial und 7 konkrete Fragen
Am 4. November 2019 schaltete das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine Testimonialkarte auf Facebook mit dem Begleittext "Darum unterstützt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrat der Muslime in Deutschland, die Kampagne ‚Wir sind Rechtsstaat‘" und dem folgenden Wortlaut Mazyeks: "Rechtsstaat und Demokratie sind wie Zwillingsgeschwister. Für beide stehen wir als deutsche Muslime mit Herz und Verstand ein." Hier auf Twitter. Am selben Tag fragte das ifw in der BMJV-Kommentarbox: "(Daumen hoch) Sie sagen in der Kampagne des Justizministeriums, dass Sie für Rechtsstaat und Demokratie einstehen. Damit wir Sie, Aiman A. Mazyek Zentralrat der Muslime in Deutschland, besser verstehen: Könnten Sie bitte Ihre Aussage und Ihre "Islamische Charta" anhand der folgenden 7 Fragen konkretisieren?
1. Stehen der säkulare und weltanschaulich neutrale Rechtsstaat des Grundgesetzes und die Urteile staatlicher Gerichte aus Ihrer Sicht über den religiösen Rechtsnormen aus Koran, Sunna und den Scharia-Regelungen?
2. Sollten aus Ihrer Sicht Nicht-Muslime und Muslime immer und überall ebenbürtige und gleichberechtigte Menschen sein?
3. Sollten aus Ihrer Sicht muslimische Frauen im Rahmen der geltenden deutschen Gesetze frei darin sein, denjenigen oder diejenige ihrer Wahl zu heiraten?
4. Sollten aus Ihrer Sicht muslimische Frauen als Individuen im Rahmen der geltenden deutschen Gesetze frei darin sein, sich immer und überall so zu kleiden, wie sie es für richtig halten?
5. Gelten für Menschen, die sich vom Islam abwenden aus Ihrer Sicht immer und überall das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit und alle weiteren Grundrechte?
6. Gelten aus Ihrer Sicht für Homosexuelle das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit und alle weiteren Grundrechte?
7. Finden Sie es richtig, dass im Rahmen der geltenden deutschen Gesetze Zeichnungen und Karikaturen von Mohammed veröffentlicht werden dürfen?
=> 7x "Ja" zu #WirSindRechtsstaat ?"
Die Nachricht ging sowohl beim BMJV wie auch beim Testimonialpartner Mazyek und ZMD ein. Zeitgleich versandte das ifw gleichlautende Tweets. Beide Partner schweigen seitdem zu den sachlichen Nachfragen – trotz enormer Reaktion in den sozialen Medien. Warum wäre eine Beantwortung wichtig?
Vor zehn Jahren äußerte Mazyek zwar bereits, das "Grundgesetz sei ‚wunderbar‘ und die Scharia kein Hindernis für Verfassungstreue". Nun ist es das eine, das Grundgesetz und die säkulare Demokratie als Tatsache anzuerkennen. Das andere ist, ob und inwieweit sich Mazyek und die durch den ZMD vertretenen Muslime durch Koran, Sunna, und Scharia-Regelungen angespornt fühlen, sich nach besten Kräften dafür einzusetzen, die Gesellschaft und den Staat in eine islamgemäße Form nach den Vorstellungen und der Pflichtenlehre ihres Propheten Mohammed zu verwandeln.
Es beginnt schon mit der Geschlechterapartheid, wie Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter in der Emma 11-12/2019 unter anderem auch zu Mazyeks ZMD ausführt. Eine noch größere Gefahr als der islamistische Terror für die freie Gesellschaft und die Geltung der Menschenrechte ist nach ihrer Analyse der legalistische Islamismus. Zur Vertiefung sei ihr Buch "Politischer Islam. Stresstest für Deutschland" empfohlen, in dem die Organisationen und Akteure und ihre Einflussnahme auf Deutschland beschrieben werden.
Es ist weithin anerkannt, dass das individuelle Selbstbestimmungsrecht in Fragen von Religion, Glaube, Weltanschauung im Besonderen und die universellen individuellen Grundrechte des Grundgesetzes im Allgemeinen mit der in deutschen Moscheegemeinden weitverbreiteten Annahme einer abschließenden göttlichen Offenbarung über Mohammed und einer eingeschränkten Anerkennung von Demokratie und Rechtsstaat (vgl. Joachim Wagner "Die Macht der Moschee. Scheitert die Integration am Islam?") objektiv nicht vereinbar sind.
Wenn religiöse Rechtsnormen aus Koran, Sunna, und Scharia-Regelungen über das Grundgesetz gestellt werden – oder zumindest wie bislang im Falle Mazyeks und des ZMD nicht eindeutig dem staatlichen Recht und den Menschenrechten Vorrang über Koran, Sunna und Scharia-Regelungen gegeben wird – droht eine Erosion des Rechtsstaates. Es kommt also auf Ayman Mazyek als ministeriellen Rechtsstaatsbotschafter ein erhöhter Dialogaufwand zu, konkret und sachlich sein Rechtsstaatsverständnis darzustellen.
3 Beispiele und Verweigerung des Sachdialogs
Die 7 Fragen entwickelte das ifw auf der Grundlage von früheren und aktuellen Äußerungen und Aktionen des ZMD-Vorsitzenden und mutmaßlicher ZMD-Mitgliedsorganisationen. Drei Beispiele seien angeführt:
- Bei dem "Glaubenskampf in Münster" (Die Zeit) eskalierten im Jahr 2013 mit dem ZMD politische Konflikte über die universitären Lehrinhalte und die Frage einer liberalen Auslegung im Islam, hier, hier, hier und hier. Laut Medienberichten wollten die "Orthodoxen" (wie Aiman Mazyek und der ZMD) "Querdenker loswerden" und den liberalen Professor Mouhanad Khorchide (Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und Autor "Islam ist Barmherzigkeit: Grundzüge einer modernen Religion"), der mit der Lehrerausbildung beauftragt wurde, wegen "angeblicher Irrlehren" absetzen. Der liberale Professor musste unter Personenschutz gestellt werden.
- Aktuell wies Bild im Oktober 2019 in dem Artikel "Wie Antisemitismus in Deutschland salonfähig wird" darauf hin, dass der ZMD mehrere Gruppen umfasse, die wegen islamistischer und antisemitischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. "Darunter der deutsche Arm der ägyptischen Muslimbruderschaft und ein Moscheeverband, der vom Verfassungsschutz noch bis vor wenigen Jahren als Ableger der rechtsextremen ‚Grauen Wölfe‘ aus der Türkei geführt wurde. Auch in Mazyeks Zentralrat: das vom Iran gelenkte ‚Islamische Zentrum Hamburg‘, wichtigstes Instrument des Mullah-Regimes in Europa, um dessen ‚Islamische Revolution‘ zu verbreiten, wie der Verfassungsschutz schreibt."
- In der "Islamischen Charta" von 2002, einer Grundsatzerklärung des ZMD nach dem 11. September zu seiner Beziehung zum Staat und zur Gesellschaft, verpflichtet er sich in Punkt 17 zu "Aufklärung und Transparenz" sowie zu "Öffnung und Dialog". Wie offen und dialogisch ist allerdings der ZMD, wenn es wie jetzt darauf ankommt, klare Antworten zu seinem konkreten Rechtsstaatsverständnis zu geben? Stattdessen entzieht sich der ZMD dem sachlichen Dialog und erfüllt sein eigenes Versprechen aus der "Islamischen Charta" nicht. Wie ist es um weitere Versprechen bestellt? Sind diese genauso hinfällig? Zum Beispiel Punkt 12: "Wir zielen nicht auf Herstellung eines klerikalen ‚Gottesstaates‘ ab." Oder Punkt 18: "Der Zentralrat fühlt sich der gesamten Gesellschaft verpflichtet und ist bemüht, in Zusammenarbeit mit allen anderen gesellschaftlichen Gruppierungen einen wesentlichen Beitrag zu Toleranz und Ethik … zu leisten" oder Punkt 13 "Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte". Bei letzterem Punkt würde die nebulöse ZMD-Aussage weitere Erläuterung verdienen: "Das Islamische Recht gebietet, Gleiches gleich zu behandeln, und erlaubt, Ungleiches ungleich zu behandeln." Was deutet der Islamverband hier mit "Gleichem" und "Ungleichem" an? Es gibt vielfache und weiterverbreitete Auslegungen im Islam, die Nicht-Muslime, Frauen oder Homosexuelle als "Ungleiches" ansehen. Hierauf beziehen sich mehrere Nachfragen des ifw hinsichtlich des Rechts auf Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit dieser Personen und Gruppen. Insofern ist es wichtig zu wissen, was in den vom Islamverband definierten "Kernbestand der Menschenrechte" fällt und welche Menschenrechte nicht zum ZMD-Kernbestand zählen. Anders ausgedrückt: Was ist der ZMD-Islam? Was ist der ZMD-Kernmenschenrechtsbestand?
Dahingegen ist deutlich festzustellen: Im Rechtsstaat sind Menschenrechte nicht auf einen Kernbestand oder nur auf die "Gleichen" in einer bestimmten Gruppe zu begrenzen. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und dem Grundgesetz von 1949 werden für jeden Menschen unveräußerliche Menschenrechte anerkannt. Bekanntlich verweigerte ein islamischer Staat wie Saudi-Arabien sich der Menschenrechts-Charta vor allem aus religiösen Gründen, denn der wahhabitische Gottesstaat war nicht einverstanden mit Artikel 18 der Erklärung, der jedem Individuum Weltanschauungsfreiheit garantiert. Nicht ohne Grund werden die Menschenrechte auch heute noch von vielen islamischen Religionsführern und Verbänden (keineswegs von allen Gruppen oder Angehörigen dieser Gruppen) vehement bekämpft. Um diese Tatsache zu kaschieren, haben sie in den letzten Jahren sogar eigene "Menschenrechtserklärungen" verabschiedet, etwa die "Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam", welche Rechte nur dann anerkennt, wenn sie im Einklang mit der Scharia stehen. Solche limitierten Menschenrechtserklärungen sind ein Widerspruch in sich und das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Von Menschenrechten kann man nur sprechen, wenn sie für alle Menschen gelten, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Gruppe. (weiteres in der gbs-Broschüre "Die Menschenrechte. Wie sie entstanden sind – und warum wir sie verteidigen müssen")
Am 6. November 2019 äußerte der Autor Ahmad Mansour ("Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen" und "Klartext zur Integration: Gegen falsche Toleranz und Panikmache") auf Twitter Zweifel an der Eignung Mazyeks und des ZMD als Regierungsbotschafter: "Es gibt unendlich viele gesetzestreue Muslime in diesem Land, aber das #Justizministerium muss ausgerechnet diejenigen hofieren, deren Organisationen oder Vereine teilweise durch den #Verfassungsschutz beobachtet werden. So bestärkt und legitimiert man die Falschen." Dies wurde von Mazyek wie folgt beantwortet: "Trotz über Jahre pro-demokratische Haltung, sei ich ein "falscher" und nicht "gesetzestreuer", wegen bestimmter ZMD-Mitglieder. Das nennt sich dann islamkritischer Diskurs. In Wahrheit: KontaktschuldThese, Sippenhaft+mansourischerGewissencheck. Bsp. für NICHT-Rechtsstaatlichkeit" und von Mansour erwidert: "Mit Verlaub, Herr Mazyek, Sie sind nicht als Privatperson abgebildet, sondern als Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, und deshalb ist die Kritik über die Mitgliedsvereine absolut berechtigt und relevant." Da Mazyek den Hinweis von Mansour so vehement zurückgewiesen hatte, schlug das ifw Mazyek vor, dass er und seine Mitgliedsvereine dann ja auch problemlos 7x "Ja" zu den konkreten Fragen sagen können müssten. Keine Reaktion, keine Beantwortung der Fragen.
Das ifw brachte am 8. November 2019 den Vorgang erneut zur Aufmerksamkeit des Ministeriums: "Hallo @BMJV_Bund @mira_gajevic, Ihr Testimonialpartner @AimanMazyek @der_zmd schweigt weiterhin zu den konkreten #7Fragen. Kennen Sie die 7 Antworten? Entziehen Sie sich bitte nicht weiter der Sachdebatte! Es ist Ihre Kampagne #WirSindRechtsstaat." Auch hierauf erfolgte keine Reaktion des kampagnenverantwortlichen Justizministeriums.
Institutionelle Intransparenz und Verfassungsfeindlichkeit
Ist die Kritik zu den ZMD-Mitgliedern berechtigt? Der ZMD selbst informiert nicht über seine Mitglieder und gibt als Grund die "erhöhten Sicherheitsmaßnahmen" an. Selbstverständlich sollte die Sicherheit von Verbandsmitarbeitern und Mitgliedern Priorität vor den Informationsbedarfen der Öffentlichkeit genießen. Und ebenso selbstverständlich sind jegliche Gewaltandrohungen gegen Personen und Sachen scharf zurückzuweisen. Im Bedrohungsfall sollten die Menschen im ZMD wie alle anderen auch jedweden Schutz durch die staatlichen Sicherheitsorgane erhalten. Präventive Maßnahmen wie Informationssparsamkeit sind ein legitimes Mittel. Jedoch gibt es selbst bei erhöhten Sicherheitsmaßnahmen – wie der ZMD sie hier nennt – keinen nachvollziehbaren Grund, dass der Islamverband nicht transparent eine stets aktuelle Mitgliederliste veröffentlicht – wenn auch nicht der natürlichen Personen, so doch der juristischen Personen (d.h. Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V. DMG, vormals IGD; Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V.; Islamisches Zentrum Hamburg e.V. IZH). Ratsamerweise würde der Islamverband auch die ihm bekannten institutionellen und internationalen Hintergründe (z.B. Ägypten, Iran, Katar, Libanon, Saudi-Arabien, Türkei) auf seiner Webseite auf einem Detailniveau veröffentlichen, wie es z.B. auf Wikipedia, in den einschlägigen Sachbüchern oder in den Verfassungsschutzberichten geschieht. Denn eine höhere Transparenz des ZMD hätte vermutlich eine positive Auswirkung auf die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz des Verbandes als Regierungsbotschafter und vermutlich letztlich auch auf die Sicherheitslage von Verbandsmitarbeitern und Mitgliedern. Diese Transparenz ergibt aus Sicht des ZMD jedoch nur dann Sinn, wenn es sich um ZMD-Mitgliedsorganisationen handelt, die nicht den politischen Islam fördern oder als verfassungsfeindlich zu bewerten sind und deren Agenda der ZMD nicht verdecken möchte. Andere Gründe sind für den Außenstehenden nicht ersichtlich.
Es sollte die Bundesregierung zumindest irritieren und von einer weiteren finanziellen Förderung des ZMD und einer ministeriellen "Rechtsstaat"-Testimonialpartnerschaft Abstand nehmen lassen, dass der Islamverband "bei konkreten Fragen" zu den Namen der Mitglieder verspricht, auf Anfragen an presse@zentralrat.de Auskunft zu geben. Was geschieht, wenn man diese Informationen anfordert? Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages schreibt in einer Kurzinformation (WD 1 - 3000 - 005/19, 25. März 2019): "Auf die Frage, welche Organisationen derzeit Mitglied im ZMD sind, gibt es derzeit keine belastbare Antwort." Seine Anfrage per Mail am 5. März 2019 blieb unbeantwortet und auf eine telefonische Nachfrage reagierte der ZMD nicht.
Daraus ist zu schließen, dass der ZMD hier die Bundestagsverwaltung absichtsvoll im Dunkeln lässt und die Öffentlichkeit unter Angabe einer unpassenden Begründung ("Sicherheitsmaßnahmen") bezüglich seiner Mitgliedsorganisationen irreführen will.
Für eine Regierungskampagne, deren "oberstes Ziel nicht bloß reine Information ist, sondern auch ein gutes Stück Imagepolitur" (Legal Tribune Online), kommt es in besonderer Weise auf die Botschaften und die über jeden Zweifel erhabenen Botschafter an. Weitere Kommentatoren bewerten es zudem als Anmaßung, dass der ZMD-Vorsitzende, der mit den mutmaßlichen ZMD-Mitgliedsorganisationen weniger als 1 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime repräsentiert, das Testimonial mit einem umfassend kollektivierenden "wir als deutsche Muslime" versieht, und dieses vom Bundesministerium unkritisch verbreitet wird.
Das Handelsblatt zitierte am 12. November 2019 in dem Artikel "CDU-Politiker kritisieren ‚Rechtsstaat‘-Kampagne mit Aiman Mazyek" Minister Jens Spahn, dass wer mit seinem Gesicht für den Rechtsstaat werbe, über jeden Zweifel erhaben sein solle. Und weiter: "gerade bei Herrn Mazyek und seinem Verband ist das leider nicht der Fall". Carsten Linnemann, der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion und Mitherausgeber des lesenswerten Sachbuches "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Wie wir unsere freie Gesellschaft verteidigen" (erschienen im Herder Verlag 2019) warf dem Justizministerium "Blauäugigkeit" vor. Linnemann: "Der Zentralrat der Muslime umfasst auch Gruppierungen, die wegen ihrer Nähe zur Muslimbruderschaft unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen."
Ausreichend Gelegenheit zur Klarstellung und Korrektur
In dem 10-tägigen Zeitraum seit Veröffentlichung des Testimonials äußerte sich das Ministerium vielfach in der Öffentlichkeit, ohne jedoch diesen Sachverhalt aufzuklären. Das Ministerium versandte seitdem von seinem Twitterkonto 27 Tweets und auf Facebook 14 Posts. Darunter war keine Einlassung in der Sache. Bei über eintausend Kommentaren in den sozialen Medien und mit 768 Kommentaren (Stand 14. November 2019) allein auf der BMJV-Seite dürfte der Dialogbedarf dem Ministerium nicht entgangen sein.
Bei Aiman Mazyek erfolgten seitdem von seinem Twitterkonto 45 Tweets, beim ZMD 5 Tweets und auf Facebook bei Aiman Mazyek 4 Posts und beim ZMD 2 Posts. Von Mazyeks 45 Tweets bezogen sich zwei auf das Testimonial. War ihm wichtig, die Irritationen aus dem Weg zu räumen und ein kurzes "Ja, klar" auf die 7 Fragen zu antworten? Oder ein "Ja, aber", oder "Nein" zur Klarstellung? Eher nicht. Der erste Tweet erging im Rahmen des oben genannten Austausches mit einem unsachlichen Angriff auf Ahmad Mansour. Den zweiten Tweet sandte er an eine SPD-Kommunalpolitikerin, die sich mit einer Solidaritätsbekundung gemeldet hatte und an die Mazyek am 13. November 2019 erwiderte: "Danke, aber egal wie lange und welche Haltung man in Wort und Tat an den Tag legt, einige wollen, dass diese Stimme erlischt..."
Hierbei handelt es sich um eine irritierende und polarisierende Stellungnahme. Mazyek spricht über sich selbst in einer Opferrolle mit einem raunenden, unklaren und sinisteren Unterton vom "Erlöschen". Lichter oder Menschenleben "erlöschen", aber welche der Reaktion von Mansour, ifw oder anderen mag ihm nahegelegt haben, dass man wolle, dass seine Stimme erlösche? Und auch seine Haltung ist den Kommentatoren gerade nicht egal ("egal … welche Haltung") und keineswegs offensichtlich ("egal wie lange"). Im Gegenteil, das ifw und viele andere fordern gerade eine klare Auskunft von Mazyek und dem ZMD. Eine klare Aussage dazu, was seine konkrete Haltung zu zentralen staatsbürgerlichen Fragen des Rechtsstaates ist.
Wie die obige Auflistung aus den sozialen Medien zeigt, haben sich das ifw und sehr, sehr viele Personen mit einer Einordnung und Interpretation von Mazyeks Testimonial beschäftigt und seit 10 Tagen Bemühungen unternommen, seine Stimme zu den 7 Fragen (und weiteren) zu hören.
Offenkundig scheuen Mazyek und der ZMD bislang diese Sachdebatte. So bleibt er einerseits in sachlicher Hinsicht vage, andrerseits sucht er in überzogener und polarisierender Weise den personalisierten Konflikt.
Damit scheint er eigene oder Verbandsinteressen zu bespielen, erweist jedoch als "Botschafter" der Bundesregierung dem Rechtsstaatsverständnis, dem öffentlichen Vertrauen in den Rechtsstaat und der muslimischen Integration einen Bärendienst.
Was beabsichtigt die Bundesregierung?
Mit der Kampagne will die Bundesregierung "einer breiten Öffentlichkeit die Bedeutung unseres demokratischen Rechtsstaats stärker ins Bewusstsein rücken … Die Kampagne soll zugleich die Vorteile und Errungenschaften des Rechtsstaats anschaulich darstellen."
Darauf ist angesichts des lauten Schweigens des Justizministeriums im Islamverbandsfall zu erwidern: Mögen der Bundestag durch Anfragen und bei der Aussprache zur nächsten Regierungserklärung, ferner die SPD bei der politischen Willensbildung gegenüber dem SPD-geführten Justizministerium, die Medien und die Staatsbürger daran mitwirken, der Bundesregierung die Bedeutung unseres demokratischen Rechtsstaats und der Grundrechte stärker ins Bewusstsein zu rücken. Und die Vorteile und Errungenschaften des Rechtsstaats vor dem Hintergrund des politischen Islam anschaulich darstellen.
Das Justizministerium hätte sensibilisiert sein müssen. Bereits am 22. Oktober 2019 veröffentlichte die Zeitschrift "Emma" einen offenen Brief an Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und protestierte gegen diese Kampagne, insbesondere gegen ein gestelltes islamisch-jüdisches Religionsmotiv (hier). Die Gelder hätten vom Ministerium besser dafür eingesetzt werden sollen, die folgenden Informationen zu verbreiten:
- "dass jeder* hier glauben kann, was sie* will, solange der Glaube und daraus folgende Taten nicht gegen das Grundgesetz verstoßen,
- dass Menschen nicht verfolgt werden dürfen, wenn sie sich von der Religion lossagen möchten, in die sie hineingeboren wurden,
- dass auch Religionslosigkeit akzeptabel ist und durch das Grundgesetz geschützt.
Großartig wäre auch ein Plakat, das darauf hinweist,
- dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind – möglichst in mehreren Sprachen,
- dass Gewalt gegen Frauen und Kinder verboten ist,
- dass Frauen ein Recht auf Berufstätigkeit und ein eigenes Konto haben.
Und das Notruftelefon sollte groß abgedruckt werden: www.hilfetelefon.de/sicherdirhilfe, T 08000/116 016".
Man darf gespannt sein, was nach der regierungsamtlichen ZMD-Werbebotschaft für das Bundesjustizministerium und seinen Botschafter Mazyek an der Bestätigung der individuellen Grund- und Menschenrechte und der Unterordnung von Rechtsnormen aus Koran, Sunna und den Scharia-Regelungen unter das Grundgesetz so schwierig ist.
Also bitte, Justizministerium: Nehmen Sie endlich an der Sachdebatte teil, die durch Ihre Kampagnenmaßnahme mit dem Islamverband ausgelöst wurde. Wirken Sie auf klarstellende Antworten Ihres Rechtsstaatsbotschafters Mazyek hin oder ziehen Sie die Reißleine zu ihm. Korrigieren Sie dringend Ihre Kampagne, um weiteren Schaden vom öffentlichen Bild des Rechtsstaates abzuwenden. Das ifw (und viele andere) bleiben dran.