Rezension zu Claus Dieter Classen: Religionsrecht

Rezension von Gerhard Czermak (Friedberg/Bayern)

Die Neuauflage hat ihren Umfang trotz Aktualisierung bzw. Intensivierung, insbesondere im Bereich des europäischen Rechts, des Islam und des Arbeitsrechts, nur geringfügig ausgeweitet. Dieses neueste Lehrbuch steht in Konkurrenz zu G. Czermak/E. Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, 2. A. 2018, 396 S. und P. Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. A. 2018, 392 S. Die jahrelang angekündigte 5. A. von v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. A. 2006 ist nunmehr für 2022 angekündigt unter dem neuen Titel "Religionsverfassungsrecht", Untertitel "Staatskirchenrecht".

Erfreulich ist auch an der Neuauflage des Lehrbuchs von Classen, dass die kirchlichen Interessen nicht mehr so dominieren wie anderswo. In zahlreichen Punkten weicht Classen von den traditionellen einseitig kirchengeneigten Sichtweisen ab und trägt der religiösen Vielfalt Rechnung. So betont C., es würde den Sinn der Religionsfreiheit ins Gegenteil verkehren, würde man christlich geprägte Verhaltensweisen besonders schützen (S. 42). Juristische Definition von Religion sei etwas grundlegend anderes als religiöses Selbstverständnis. Weltanschauungen seien wie Religionen zu behandeln, denn der säkulare Staat könne transzendente und diesseitige Sinnstiftung nicht begründbar unterscheiden (45). Das Recht dürfe nicht zwischen gemeinwohlnahen und gemeinwohlfernen Religionen differenzieren (46). Bei der unterschiedlichen Behandlung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Religionsgemeinschaften sieht C. immerhin ein Problem (70). Eine Bevorzugung christlicher Traditionen bedürfe einer neutralen Rechtfertigung (74). Die bewusste staatliche Verwendung des Kreuzsymbols sei durch Art. 137 I GG untersagt (S. 104: unzulässiger Grundrechtseingriff), die gesetzliche Schulkreuz-Regelung in Bayern verfassungswidrig (75). Die starke Erweiterung der Religionsausübungsfreiheit durch die Rechtsprechung sieht Classen zu Recht kritisch (120 f., 205 f). Die Entscheidung des BVerfG zur Konkursunfähigkeit von Religionsgemeinschaften lehnt er mit differenzierter Begründung ab (S. 212). Der Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften mit seiner Sonderstellung lasse sich heute nicht sachlich legitimieren (158). Das Urteil des BVerfG zum Berliner Ladenschlussgesetz kritisiert C. deutlich (S. 325 ff.), und staatliche Militärseelsorger sowie die Erteilung von Lebenskundlichem Unterricht (auch in ihrer heutigen Form) durch diese sei verfassungswidrig (S. 296 ff.).

Andererseits beharrt der Autor aber im Ganzen doch mehr auf den praktisch bedeutsamen traditionellen Ansichten. So hält er den Ethikunterricht als Ersatzfach für nicht am Religionsunterricht Teilnehmende für zulässig. Das System der Staat-Kirche-Verträge problematisiert er weder rechtlich noch hinsichtlich der Legitimation, obwohl er andererseits salvatorisch, aber zutreffend erklärt, Kirchenverträge dürften nur solche Regelungen enthalten, die der Staat auch einseitig treffen dürfe (S. 38). Auf die zahlreichen fragwürdigen Einzelregelungen der Verträge geht die Darstellung aber nicht ein. Finanzielle Religionsförderung ist laut Classen kein Problem, wenn insbesondere Neutralität und Parität gewährleistet sind. Allgemeine Grundrechtsförderung sei zulässig, der Staat dürfe aber wegen unzulässiger Nähe zu einer Religion "nicht gezielt spezifisch religiöse Handlungen fördern" (S. 323). Dazu ist aber anzumerken, dass gerade das Erfordernis der Gleichbehandlung das Hauptproblem bei der Religionsförderung darstellt.

Hier wirkt sich das immer noch weitgehende Fehlen einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Neutralitätsgebot aus, obwohl auf der Umschlagrückseite "neue und erweiterte Überlegungen grundsätzlicher Art zur weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates" hervorgehoben werden. C. nennt zwar die Aspekte des Bewertungsverbots, die Verneinung der religiösen Indifferenz, die Gleichwertigkeit der positiven und negativen Religionsfreiheit, das Verbot einseitiger Beeinflussung, meint aber, dem Neutralitätsgrundsatz lasse sich nicht mehr entnehmen als dem Verbot der Staatskirche: Nichtidentifikation. Trotz fehlender Konkretisierung eines Neutralitätsbegriffs, der die Einzelaspekte zusammenfasst, verweist das Lehrbuch in vielen Zusammenhängen verbal auf die religiöse Neutralität. Unverständlich erscheint, dass Classen die grundlegenden und sehr bekannten Untersuchungen zur weltanschaulichen Neutralität von Stefan Huster[1] und Horst Dreier[2] weder im Text, noch in den Fußnoten oder auch nur im ausführlichen Literaturverzeichnis erwähnt.[3]

Traditionell (affirmativ) ist der Paragraph zur Hochschultheologie ausgefallen. Allerdings lehnt Classen Konkordats-Lehrstühle rechtlich ebenso ab wie auch die staatliche Militär- und Anstaltsseelsorger und die Abhaltung des Lebenskundlichen Unterrichts in der Bundeswehr durch Militärgeistliche. Gegen eine staatliche Finanzierung kirchlicher Militärseelsorge hat C. aber nichts einzuwenden.

Der auch rechtsdogmatisch interessante Abschnitt über Religion als Rechtsbegriff (einschließlich der nichtreligiösen Weltanschauungen) überzeugt. Vorbildlich prägnant ist z. B. die Formulierung: "Ein aus Sicht eines säkularen Staates begründbarer Unterschied zwischen transzendentaler und allein diesseitiger Sinnstiftung für das Leben ist nicht erkennbar" (S. 45). Leider fehlen hier Hinweise auf die weitgehende praktische Missachtung dieser Erkenntnis in Gesetzgebung und Verwaltung. Plausibel erläutert ist hingegen die Beschränkung der Religionsfreiheit auf Gruppenüberzeugungen im Gegensatz zu reinen Individualüberzeugungen, was noch nie so klar dargelegt wurde.

Viele Passagen, auch bei der eingehenden Behandlung der korporativen Religionsfreiheit, bekunden ein besonderes rechtsdogmatisches Interesse an dieser komplexen Materie. Mit Ausnahme des Strafrechts deckt das Lehrbuch alle wesentlichen Bereiche des Religions(verfassungs)rechts ab. An der gleichen Berechtigung von Nichtreligiösen wird zwar kein Zweifel gelassen, ihre Interessen werden aber im praktischen Detail meist nicht registriert. Insgesamt enthält das ansprechende Buch aus Sicht der säkularen Interessen und besonders der weltanschaulichen Gleichheitsgebote gleichermaßen Licht und Schatten. Die Heranziehung weiterer Literatur ist, wie gerade bei dieser ideologisch aufgeladenen Materie immer, dringend zu empfehlen.

Gerhard Czermak, Mai 2021

Claus Dieter Classen: Religionsrecht, 3. A. Tübingen 2021, 351 S. (Mohr Siebeck Lehrbuch), € 29.- ISBN 978-3-16-159979-8


[1] Stefan Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. A. 2017 und zahlreiche wichtige Abhandlungen.

[2] Horst Dreier, Staat ohne Gott, 2018, Kapitel "Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates …", S. 95-139.

[3] Auch der Verfasser dieser Kritik hätte sich gefreut, wenn seine Bemühung in dem konkurrierenden alternativen Lehrbuch Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, 2. A. 2018, Kap. zum Neutralitätsgebot S. 91-104 irgendwie von Nutzen hätte sein können. Die knappen Erläuterungen von Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. A. 2018, S. 65 f. zur Neutralität sind im Gegensatz zu Classen wesentlich hilfreicher.