IFG-Anfrage: Reaktion des Staatsministers im AA, Niels Annen MdB (SPD), auf Aussagen des Kalifen der Ahmadiyya Muslim Jamaat am 22. Oktober 2019 in Berlin

Adressat der Anfrage: Auswärtiges Amt (AA)

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Datum: 22.11.2019

Inhalt der Anfrage

1. Text der Rede des Staatsministers Niels Annen auf der Veranstaltung "Islam und Europa" der Ahmadiyya Muslim Jamaat im Hotel Adlon in Berlin vom 22. Oktober 2019.

2. Stellungnahmen, Gesprächsnotizen oder Verwaltungsakte, mit denen Staatsminister Niels Annen, die erweiterte Hausleitung oder andere Organisationseinheiten des AA auf die Rede "Seiner Heiligkeit, Kalif und Oberhaupt der weltweiten Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Masroor Ahmad (aba)" in Berlin vom 22. Oktober 2019 reagiert haben.

Status der Anfrage

Anfrage abgeschlossen. Das AA übersandte folgendes Dokument:

  1. Antwortschreiben des AA vom 12.12.2019 (2 S.) auf die IFG-Anfrage des ifw vom 22.11.2019 (Aktenzeichen 505-511.E IFG 494-2019).

Darin antwortet das AA auf die erste Frage des ifw nach dem Text der Rede des Staatsministers Niels Annen (SPD) auf der Veranstaltung "Islam und Europa" der Ahmadiyya Muslim Jamaat im Hotel Adlon in Berlin vom 22. Oktober 2019: "Hierzu liegen keine amtlichen Informationen gem. § 2 Ziffer 1 IFG im Auswärtigen Amt vor. Ein Anspruch auf Informationszugang gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG besteht daher nicht. Das Grußwort von Staatminister Annen ist aufgrund des Hamburg- bzw. Wahlkreisbezuges im Bundestagsbüro erstellt worden. Das Grußwort wurde daher auch nicht im Auswärtigen Amt veraktet. Sie können das Grußwort jedoch unter folgendem öffentlichen Link ansehen, das im Video ungefähr bei Minute 32:10 beginnt: https://www.youtube.com/watch?v=X0_LsujNMPk&feature=youtu.be  Staatsminister Annen hat die Veranstaltung unmittelbar nach der Rede des Oberhauptes der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, verlassen. Der Leiter des Referats 612 im Auswärtigen Amt war bei der Veranstaltung ebenfalls anwesend." Laut Organigramm des AA bearbeitet dieses Referat das Aufgabenfeld "Religion und Außenpolitik".

Auf die zweite Frage des ifw nach Stellungnahmen, Gesprächsnotizen oder Verwaltungsakten, mit denen Staatsminister Niels Annen (SPD), die erweiterte Hausleitung oder andere Organisationseinheiten des AA auf die Rede "Seiner Heiligkeit, Kalif und Oberhaupt der weltweiten Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Masroor Ahmad (aba)" in Berlin vom 22. Oktober 2019 reagiert haben, antwortet das AA: "Hierzu liegen keine amtlichen Informationen gem. § 2 Ziffer 1 IFG im Auswärtigen Amt vor. Ein Anspruch auf Informationszugang gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG besteht daher nicht."

ifw-Kommentar

Das ifw bemängelt zwei Punkte:

  1. Unzulässige Privatisierung der Außen- und Menschenrechtspolitik im Büro des Staatsministers sowie der amtlichen Aktenführung im Youtube-Kanal "Muslim TV".
  2. Distanzlose Teilnahme des Staatsministers an der Veranstaltung des Kalifen einschließlich des unkritischen Applauses des Staatsministers für die verbalen Angriffe gegen Apostaten und religionsfreie Menschen.

Zu (1) Unzulässige Privatisierung der Außen- und Menschenrechtspolitik im Büro des Staatsministers sowie der amtlichen Aktenführung im Youtube-Kanal "Muslim TV".

Staatsminister Niels Annen (SPD) hielt auf der Veranstaltung "Islam und Europa" der Ahmadiyya Muslim Jamaat im Hotel Adlon in Berlin vom 22. Oktober 2019 eine Rede. In Deutschland hat die Religionsgruppe nach eigenen Angaben etwa 40.000 Mitglieder und betreibt 50 Moscheen. In Hessen (2013) und Hamburg (2014) erhielt sie den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR), weitere Anträge laufen z.B. in NRW. Zudem wurden sie als Partner für die Erteilung des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen ausgewählt.

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR veröffentlichte am 24. Oktober 2019 eine Pressemitteilung zur Veranstaltung, in der auf die Anwesenheit und die Rolle des Staatsministers Niels Annen hingewiesen wurde. Die Rede des Kalifen wurde vom Veranstalter im übersetzten deutschen Wortlaut veröffentlicht. Es wurde Fotomaterial des Kalifen und des Staatsministers in repräsentativem Rahmen veröffentlicht. Nach den Angaben des Veranstalters war Niels Annen als Staatsminister im Auswärtigen Amt "Ehrengast" der Veranstaltung. Die Rede des Staatsministers oder seine Reaktion auf die Rede des Kalifen wurde gleichwohl nicht veröffentlicht.

Die Anfrage des ifw an Staatsminister Annen und das AA vom 7. November 2019 mit der Bitte um Offenlegung wurde nicht beantwortet. Auf die Nachfrage des ifw an Niels Annen, dass er seine Reaktion erklären möge, reagierte er nicht.

Daraufhin stellte das ifw am 22. November 2019 eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG).

Am 12. Dezember 2019 verneinte das AA den Anspruch auf Informationszugang. Das AA verwies auf den Youtube-Kanal "Muslim TV" (betrieben von Ahmadiyya), um genaueres zur Position des Staatsministers zu erfahren.

Das AA vertritt die Position, dass ein Anspruch auf Informationszugang zu der Rede des Staatsministers nicht bestehe, weil die Behörde über die Rede keine amtlichen Informationen habe. Das ifw und die deutsche Öffentlichkeit möge sich nicht an die Bundesregierung, sondern an den Youtube-Kanal "Muslim TV" (Medienangebot der Ahmadiyya Muslim Jamaat mit Sitz in London) wenden. Die Rede sei in Annens Bundestagsbüro erstellt worden und nicht im Außenministerium veraktet worden.

Damit missachtet das AA die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung, die wiederum auf dem Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes beruht. Nur durch die ordnungsgemäße Aktenführung wird ein rechtsstaatlicher Verwaltungsvollzug, eine Rechtskontrolle durch Gerichte sowie Aufsichtsbehörden und eine Überprüfung durch die Parlamente gewährleistet. Die Bundesregierung kann diese Pflicht nicht auf das Bundestagsbüro ihres Staatsministers oder auf das private Medienangebot in Form des Youtube-Kanals "Muslim TV" der Ahmadiyya Muslim Jamaat auslagern.

Niels Annen wurde (gleich mehrfach) vom Veranstalter als Staatsminister des Auswärtigen Amtes angekündigt. Dem Veranstalter scheinen – entgegen der Auffassung des AA – Niels Annens weitere Rollen als Abgeordneter des Wahlkreises 20 "Hamburg-Eimsbüttel", SPD-Politiker oder deutscher Staatsbürger nicht prioritär gewesen zu sein. In der Rede nimmt Annen jedoch durchaus Bezug auf Hamburg und seinen Wahlkreis. So pflege man zur dortigen Ahmadiyya-Moschee eine "sehr enge, eine sehr gute Beziehung miteinander". Im Vordergrund stehen in Annens Rede jedoch außenpolitische, menschenrechtspolitische und religionspolitische Aspekte seines Amtes als Staatsminister. Nur ein Regierungsmitglied oder Diplomat ist in der Position, eine solche Aussage zu treffen: "Sie können sich darauf verlassen, dass Deutschland eine verlässliche und starke Stimme sein wird." Auch die Begleitung des Staatsministers Niels Annen durch den AA-Referatsleiter "Religion und Außenpolitik" legt einen amtlichen, außenpolitischen Bezug nahe.

Es ist eine politisch und administrativ untragbare Praxis, dass die Bevölkerung Informationen über die Position des Staatsministers und der Bundesregierung über einen privaten Medienanbieter wie "Muslim TV" beziehen soll, und zudem gezwungen wird, bei einem religiös nicht neutralen Anbieter wie "Muslim TV" für Klickzahlen, Reichweite und Monetarisierung zu sorgen. Die Stellungnahmen des Staatsministers sind vom AA zu verakten und ggf. zu veröffentlichen. Eine Privatisierung der amtlichen Aktenführung im Youtube-Kanal "Muslim TV" oder im Bundestagsbüro des Staatsministers ist unzulässig.

Um einstweilen genaueres zur Position des AA und des Staatsministers zu erfahren, hat das ifw auf diesem Youtube-Kanal die vom AA referenzierte Sendung "LIVE: Ansprache Seiner Heiligkeit aus Berlin | Kalif in Deutschland" ausgewertet.

  • Warum ist ein aufmerksamer Blick auf die Positionierung und das Verhalten von Staatsminister Niels Annen angebracht? Im Jahr 2019 feierte die iranische Botschaft in Berlin die Machtübernahme der Mullahs in Teheran im Jahr 1979. Staatsminister Annen nahm an dieser Jubiläumsfeier zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution teil. Mit der Machtübernahme der Mullahs waren weitreichende Menschenrechtsverletzungen, gewaltsame Islamisierung und staatsgetragener religiöser Terror verbunden, was bis in die Gegenwart anhält. Das Verhalten des deutschen Staatsministers auf der Jubiläumsfeier sorgte für heftige Kritik im In- und Ausland. Nachdem ein Journalist der Jerusalem Post in dieser Angelegenheit kritisch über Annen berichtet hatte, versuchte der Staatsminister den Journalisten von Informationen abzuschneiden und auf seinem Twitter-Kanal mundtot zu machen. Später wurde Staatsminister Annen juristisch gezwungen, die Twitter-Blockade des Journalisten aufzuheben. Seinerzeit machte Bijan Djir-Sarai, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, klar, dass er grundsätzlich gar nichts dagegen hat, dass sich die Bundesregierung mit dem iranischen Botschafter trifft - auf den Stil käme es dabei jedoch an. "Hier handelte es sich um eine Veranstaltung, oder, ich würde fast sagen 'Party', anlässlich von 40 Jahren Sieg der islamischen Revolution", so Djir-Sarai. "Das ist geschmacklos und geschichtsvergessen. Ein bisschen mehr Distanz hätte gut getan. Niels Annen hat genügend andere Möglichkeiten, einen Dialog mit dem Iran zu führen". Annen reagierte auf die Kritik mit den Worten: "Ich bereue da gar nichts."

Zu (2) Distanzlose Teilnahme des Staatsministers an der Veranstaltung des Kalifen einschließlich des unkritischen Applauses des Staatsministers für die verbalen Angriffe gegen Apostaten und religionsfreie Menschen.

Der Kalif wurde für die Veranstaltung am 22. Oktober 2019 mit der Aussage beworben, dass er sich weltweit "mit einer erfrischenden Lehre des Friedens und Mitgefühls energisch für die Sache des Islam" einsetze (S. 2 des Begleitheftes zur Veranstaltung "Islam & Europa. Ein Kampf der Kulturen?").

Betitelt wurde die Pressemitteilung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR zur Veranstaltung zwar einerseits mit dem Namen der Veranstaltung und der freundlichen Aussage "Muslimischer Kalif ruft zur Menschlichkeit auf", jedoch andrerseits mit der weniger freundlichen Aussage "Atheismus als größte Bedrohung für westliche Kultur".

Wie begründen die KdÖR der Ahmadiyya-Muslime und ihr globales Oberhaupt in einer Veranstaltung in Berlin die Aussage, dass vom Atheismus eine Kulturbedrohung für Deutschland und Europa ausginge – noch dazu die Größte? Welchen Anlass gibt es, dass der Kalif die große Gruppe der nichtreligiösen, konfessionsfreien Menschen in Deutschland als Kulturbedrohung oder Kulturzerstörer in Deutschland und Europa bezeichnet und gewissermaßen als Feinde der Gesellschaft brandmarkt? Dazu der Kalif: "Als muslimischer Religionsführer bin ich der Überzeugung, dass Sie Ihr Erbe und Ihre Kultur schützen sollten, indem Sie Ihre Bemühungen darauf konzentrieren, den Niedergang der Religion aufzuhalten und die Menschen zum Glauben und zur Religion zurückzubringen – sei es zum Christentum, zum Judentum oder zu einem anderen Glauben. Es darf nicht sein, dass im Namen des Fortschritts Werte und moralische Standards, die seit vielen Jahrhunderten Teil der Gesellschaft sind, plötzlich aufgegeben werden." Was der Kalif konkret damit meint, lässt er hier im Ungefähren. Zu den Werten und moralischen Standards, die der Kalif in Auflösung sieht, zählt er jedoch nicht – soweit bekannt – die individuellen Menschenrechte, auch nicht die (Weltanschauungs-)Freiheit und den säkularen Rechtsstaat. Der ARD-Journalist Constantin Schreiber berichtet in seinem Buch "Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird" auf Seite 23 über seinen Besuch in einer Berliner Ahmadiyya-Moschee und die dort verbreiteten islamistischen und demokratiefeindlichen Ansichten: "Weltliche Gesetze besäßen für Muslime nur eingeschränkt Geltung... Die Scharia steht über den deutschen Gesetzen. Es folgt die klare Ansage, ‚Rebellion gegenüber der eingesetzten Staatsautorität‘ sei erlaubt, ‚wenn es sich um ein Verhalten offenen Unglaubens handelt‘. Dialog der Religionen? Friedliche Koexistenz? Fehlanzeige." Laut Wikipedia ist zu den Zielen festzustellen: "Ahmadis glauben fest an die bevorstehende Vorherrschaft des Islam. Ihre Vision ist die Durchsetzung der Herrschaft des Islam – weltweit – unter Führung eines ihrer künftigen Kalifen… Der Missionseifer der Ahmadiyya gründet sich in der Vision von Mirza Ghulam Ahmad, von der ‚Eroberung Europas für den Islam‘."

Die Ahmadiyya kann als "religiöse, aber politische Bewegung" und einer "islamischen Sekte" (Necla Kelek) zugehörig bezeichnet werden.

Auch der Kalif hält den Koran für das "direkte Wort Gottes" und für die "abschließende und vollkommene religiöse Lehre". Dementsprechend sind Fundamentalismus und Gewalt entsprechend der einschlägigen Suren dogmatisch inhärent. Ebenso die Unterteilung der Menschheit in Gläubige und Ungläubige. Daher ist es in dem vorgenannten Kontext des Scharia-Islams immer relativ zu sehen, wenn der Kalif in seiner Rede auch vordergründig versöhnliche Aussagen trifft, wie zum Beispiel:

 "Daher besteht für Nicht-Muslime kein Grund zur Befürchtung, dass Muslime versuchen könnten, ihren Glauben gewaltsam zu verbreiten oder ihre Ansichten diesem Teil der Welt aufzuzwingen."

"Muslime glauben daran, dass der Heilige Qur‘an eine abschließende und vollkommene religiöse Lehre darstellt. Und aufgrund unserer Liebe und unseres Gehorsams dem Heiligen Qur’an gegenüber glauben wir fest daran, dass Religion eine Herzensangelegenheit ist."

Auf Gewalt will der Kalif nur mit friedlichen Mitteln reagieren. Zu der religiösen Verfolgung, der sich die Ahmadi-Muslime durch andere Muslime beispielsweise in Pakistan ausgesetzt sehen, heißt es auf ahmadiyya-islam.org: "Trotz der anhaltenden religiösen Verfolgung, der Ahmadi-Muslime in den unterschiedlichen muslimisch geprägten Ländern ausgesetzt sind, verbietet Seine Heiligkeit Mirza Masroor Ahmad ausdrücklich jede Anwendung von Gewalt. Am 28. Mai 2010 attackierten Terroristen zwei Moscheen der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Lahore, Pakistan. 86 Ahmadi Muslime wurden während des Freitagsgebets getötet und viele weitere verletzt. Trotz dieses barbarischen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, weist Seine Heiligkeit Mirza Masroor Ahmad die Ahmadi Muslime weltweit an, nur durch Gebete und mit friedlichen Mitteln zu antworten."

Auf diese bekannten Menschenrechtsverletzungen an Ahmadi-Muslimen durch andere Muslime nimmt denn auch Staatsminister Annen in seiner Rede vor dem Kalifen Bezug. Zur Situation in Pakistan äußert er sich außen- und menschenrechtspolitisch. Er stellt fest, dass die Lage große Sorgen bereite, es ferner im AA ein großes Privileg sei, im UN-Menschenrechtsrat mitzuwirken und dass sich die Bundesregierung für die Interessen der Religionsgruppe des Kalifen einsetzen werde ("Das darf ich unseren Freunden von der Ahmadiyya hier versprechen"). Dem Beobachter fällt auf, dass der Staatsminister jedoch die virulente Frage der Menschenrechte der religionsfreien Bevölkerungsgruppe nicht nur hinten anstellt, sondern gar nicht erwähnt. Um bei Annens Beispiel Pakistan zu bleiben: Nun ist es zwar bekanntermaßen auch so, dass Ahmadis aus Pakistan fliehen. Wie jedoch die Säkulare Flüchtlingshilfe e.V. / Atheist Refugee Relief (ARR) informiert, besteht in Pakistan die prekäre Situation, dass regelmäßig vor allem Atheisten vor Islamisten und vor religiös motivierter Lynchjustiz fliehen müssen. In Pakistan (wie auch anderen Ländern mit muslimischer Mehrheitsgesellschaft) werden Anders- oder Nichtgläubige neben diversen Diskriminierungen, immer wieder mit dem Vorwurf der Blasphemie überzogen (vielfach als Mittel bei persönlichen Auseinandersetzungen und um Andersdenkende und Angehörige von Minderheiten gefügig zu machen). So bedrohen in Pakistan immer wieder islamische Eiferer in Blasphemie-Verfahren Angeklagte, Richter und Anwälte mit dem Tod. In einigen Fällen sind Richter, die die Angeklagten freisprachen, von Islamisten umgebracht worden. Auch in Deutschland werden Ex-Muslime und religionsfreie Menschen in ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bedroht (vgl. Berichte der ARR und des Zentralrats der Ex-Muslime). In distanzloser und einseitiger Darstellung erwähnt Annen diese von islamischen Fundamentalisten herbeigeführte Gefährdung von Apostaten und religionsfreien Menschen nicht.

Stattdessen wertet der Staatsminister mit seinem Auftritt die Veranstaltung des Kalifen auf, sodass jener mit dem Aufruf zur Frontenbildung gegen Apostaten und religionsfreie Menschen noch einen offiziellen Rahmen erhält.

Der Aufruf zur Frontenbildung gegen religionsfreie Menschen mag zwar der "Überzeugung" des Kalifen entsprechen, ist jedoch für das Zusammenleben in Deutschland zumindest problematisch bzw. kann zur religiös motivierten Aufstachelung und Gewalt in Deutschland beitragen. Überdies ist es dem deutschen säkularen Rechtsstaat verfassungsrechtlich verwehrt, den "Niedergang der Religion aufzuhalten und die Menschen zum Glauben und zur Religion zurückzubringen – sei es zum Christentum, zum Judentum oder zu einem anderen Glauben."

Die Rede des Kalifen enthält darüber hinaus mehrere relativierende und größtenteils geschichtsklitternde Aussagen, u.a. zur Entwicklung der Menschenrechte, der Unterdrückung der Frau, Sklaverei, Kriegführung zum Schutz der "Religion an sich" und der "Grundsätze der Glaubensfreiheit" bezogen auf den Islam, sowie der Islamismuskompatibilität des Islam. Da der deutsche Staat der Ahmadiyya gestattet, an öffentlichen Schulen religiösen Bekenntnisunterricht durchzuführen, gebührt diesen Beobachtungen durchaus Beachtung.

Hierbei handelt es sich nicht um überraschend vorgetragene Positionen des Kalifen – sie sind allgemein bekannt und dürften auch dem Auswärtigen Amt und dem Büro des Staatsministers vor der Veranstaltung zugänglich gewesen sein.

Wenn nun Staatsminister Annen in seiner Rede vor dem Kalifen anmerkt, er sei "nicht bei jedem Spiegelstrich einig", stellt sich dem Beobachter die Frage, welche der Überzeugungen des Kalifen und der Ahmadiyya zu den "Spiegelstrich"-Differenzen des Staatsministers gehören, bzw. zu welchen Überzeugungen des  Kalifen und der Ahmadiyya er keine Differenzen sieht. Sind die individuellen Menschenrechte, Weltanschauungsfreiheit und der säkulare Rechtsstaat für den Staatsminister nur "Spiegelstrich"-Differenzen? Dies lässt der Staatsminister im Unklaren. Die oben genannten Inhalte der Ahmadiyya-Predigten über die ARD-Journalist Constantin Schreiber berichtet, wie auch die Aussagen des Kalifen am 22. Oktober 2019 in Berlin können zweifellos nicht als "Spiegelstrich"-Differenzen eines Staatsministers bezeichnet werden. Da geht es um den Kern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Ab Minute 1:14:08 kann man auf dem Video sehen, wie Staatsminister Niels Annen (SPD) den Worten des Ahmadiyya-Kalifen applaudiert. Wie bei der Mullah-Regime-Jubiläumsfeier gilt auch hier: Mehr Distanz hätte gut getan. 

Da sich laut Aktenlage des AA die Reaktion in diesem Applaus für die Worte des Kalifen erschöpft hat, bewertet das ifw die Reaktion des Staatsministers und des Auswärtigen Amtes als unangemessen distanzlos, unzureichend und nachbesserungsbedürftig.