Religiöse Symbole in der Bundeswehr: Der Fall des Herrn K
Sachverhalt
Auf dem Gelände einer Bundeswehrkaserne in NRW befinden sich verschiedene religiöse Symbole, u.a. ein christliches Kreuz aus Eichenholz, sowie ein Glockenturm auf dem Antreteplatz, dessen Spitze gleichfalls ein Kreuz ziert. In der darin hängenden Glocke ist die Inschrift "Eine feste Burg ist unser Gott" geprägt. Herr K. ist als Rüstungskontrollstabsoffizier in dieser Kaserne eingesetzt.
Bis ins Jahre 2015 befindet sich am Appellplatz auf dem Kasernengelände das christliche Symbol des Kreuzes in schlicht gehaltener Form aus Birkenholz, aufgestellt von der Arbeitsgemeinschaft katholischer Soldaten zum Zwecke der Durchführung von Feldgottesdiensten.
Im Jahre 2015 wird das Birkenkreuz entfernt und durch den Kasernenkommandanten stattdessen ein wesentlich größeres massives Kreuz aus Eiche mit einer Höhe von ca. 3 Metern auf dem Appellplatz/Antreteplatz errichtet.
Mittlerweile befindet sich das Kreuz im Grünbereich südlich des Stabsgebäudes. Der Glockenturm mit Kreuz und innen hängender Glocke mit der Inschrift "Eine feste Burg ist unser Gott" befindet sich weiterhin am Antreteplatz.
Im Jahre 2016 beschäftigt sich Herr K. intensiv mit der Geschichte des Christentums. Dabei musste er zur Kenntnis nehmen, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Heranziehung des religiösen Symbols des Kreuzes in der Vergangenheit verübt wurden. Diese religionskritische Auseinandersetzung führte dazu, dass er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und es nicht ertragen kann, bei der Dienstausübung weiterhin mit der Symbolik des christlichen Kreuzes und der christlichen Inschrift in Berührung zu kommen.
Herr K. muss täglich die Grünfläche, auf welcher sich das Kreuz befindet, passieren, wenn er zum Mittagessen in die Truppenküche geht oder aber zum Stabsgebäude im Rahmen von Dienstgängen gelangen möchte. Dabei ist das Kreuz deutlich zu sehen und nicht etwa durchgängig von Baumbestand oder anderen Bepflanzungen verdeckt. In den letzten Monaten wurden weitere Bäume gerodet, so dass die Sichtbarkeit des Kreuzes noch verbessert wurde.
Mit dem Glockenturm und dem darauf befindlichen Kreuz sowie der Glocke mit der dortigen Inschrift ist er im Rahmen jeder Dienstausübung auf dem Appellplatz unausweichlich konfrontiert.
Ihm ist es daher nur unter starken psychischen Belastungen möglich, seine tägliche Dienstausübung vor dem Hintergrund der religiösen Symbole des Kreuzes und der Glocke mit der Inschrift "Eine feste Burg ist unser Gott" zu tätigen.
Verfahrensstand
Das Vorhandensein der christlichen Symbole verletzt Herrn K. in seinem Grundrecht der negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 GG. Zudem verstößt das Vorhandensein der Symbole gegen das Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates.
Deshalb beantragt Herr K., vertreten durch seinen Rechtsanwalt Sven Tamer Forst, beim Kasernenkommandanten, das oben genannte Eichenkreuz sowie den Glockenturm samt Glocke mit der Inschrift "Ein feste Burg ist unser Gott" zu entfernen.
Nachdem das Landeskommando NRW den Antrag bzw. die zuletzt erhobene weitere Beschwerde zurückweist, wird beim zuständigen Truppendienstgericht Süd ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und in diesem Rahmen beantragt, den ablehnenden Bescheid aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, das Eichenkreuz sowie den Glockenturm vom Kasernengelände zu entfernen. Dieser Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird bereits Anfang Mai 2019 eingereicht. Erst Anfang November 2019 gibt es eine schriftliche Rückmeldung des Gerichts mit Angabe des Aktenzeichens und Übersendung des Verwaltungsvorgangs.
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet bereits im Jahr 1995 (1 BvR 187/91):
"Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Glaubensfreiheit. Die Entscheidung für oder gegen einen Glauben ist danach Sache des Einzelnen, nicht des Staates. Der Staat darf ihm einen Glauben oder eine Religion weder vorschreiben noch verbieten. Zur Glaubensfreiheit gehört aber nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>). Insbesondere gewährleistet die Glaubensfreiheit die Teilnahme an den kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet. Dem entspricht umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese Freiheit bezieht sich ebenfalls auf die Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt. Art. 4 Abs. 1 GG überläßt es dem Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkennt und verehrt und welche er ablehnt. Zwar hat er in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. Insofern entfaltet Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>). Dem trägt auch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 WRV dadurch Rechnung, daß er ausdrücklich verbietet, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen."
Die negative Religionsfreiheit umfasst ausweislich der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur das Recht, kultischen Handlungen fernzubleiben, sondern bezieht sich ebenfalls auf die Freiheit von religiösen Symbolen, sofern er diesen in einer vom Staat geschaffenen Lage ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt ist.
Die letztere Konstellation ist vorliegend in Bezug auf die beiden genannten Symbole gegeben.
Herr K. hat keine Möglichkeit, sich dem christlichen Symbol des Kreuzes zu entziehen, da er, wie oben ausgeführt, nahezu täglich im Rahmen seiner Dienstausübung das Kreuz passieren muss. Dasselbe gilt für den Glockenturm mit der Inschrift, weil auf dem Appellplatz zwingende Dienstausübungen stattfinden.
Zwar ist keine Beeinflussung durch das Kreuz zu erwarten. Doch aus seiner Sicht – und nur auf diese kommt es bei einem Symbol an – wird er durch das Kreuz in seiner weltanschaulichen Identität verletzt, weil ihm einerseits vom Staat vor Augen geführt wird, welche Weltanschauung die richtige bzw. erwünschte ist, und andererseits aus seiner Sicht dem Kreuz als religiösem christlichen Zeichen zudem eine menschenverachtende Symbolik innewohnt.
Die Verletzung des Art. 4 GG resultiert letztlich aus dem bloßen Vorhandensein des religiösen Symbols bei der konkreten Dienstausübung.
Die grundrechtlich verbürgte positive Religionsfreiheit anderer Soldaten ist nicht zu berücksichtigen. Zwar beinhaltet die negative Religionsfreiheit nicht das Recht, die positive Ausübung der Religionsfreiheit anderer zu verbieten. Auch besteht kein Vorrang. Allerdings existiert vorliegend gar keine Kollision der Grundrechte.
Denn es besteht kein subjektives Recht eines einzelnen Soldaten, ein Kreuz oder anderes religiöses Symbol während seiner Dienstausübung auf staatlichem Grund aufgestellt oder aufgehängt zu erhalten. Vielmehr hält das Bundesverfassungsgericht fest, dass Art. 4 I GG dem Einzelnen und den religiösen Gemeinschaften grundsätzlich keinen Anspruch darauf verleiht, ihrer Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen. Aus der Glaubensfreiheit folge im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen (BVerfG, 1 BvR 187/91).
Mithin stehen sich nicht gegenläufige jeweils gegen den Staat gerichtete Grundrechte gegenüber. Eine Abwägung zweier Grundrechte kann also nicht erfolgen.
Auch aus § 36 Soldatengesetz lässt sich keine Einschränkung des Neutralitätsgebots und des Grundrechts des Antragstellers ableiten. Denn danach besteht lediglich ein Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung. Diese Aspekte erfordern indes nicht das Vorhandensein der hier gegenständlichen religiösen Symbole an Orten auf dem Kasernengelände, mit denen jeder bei seiner Dienstausübung zwingend in jedenfalls Sichtweite in Berührung kommt.
In Bezug auf die Neutralitätspflicht des Staates führt das Bundesverfassungsgericht unter anderem in seinem Urteil vom 14.12.1965, 1 BvR 416/60 (Rz 32, zitiert nach juris) folgendes aus:
"Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse (vgl. auch BVerfGE 12, 1 (4); 18, 385 (386); BVerfG NJW 1965, 1427 f.)."
Im bereits oben zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.05.1995 (1 BvR 187/91) heißt es sodann:
"Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt. Er darf daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Dieses Gebot findet seine Grundlage nicht nur in Art. 4 Abs. 1 GG, sondern auch in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV. Sie verwehren die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagen die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; st. Rspr.). Auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz kommt es dabei nicht an (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>). Der Staat hat vielmehr auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>). Auch dort, wo er mit ihnen zusammenarbeitet oder sie fördert, darf dies nicht zu einer Identifikation mit bestimmten Religionsgemeinschaften führen (vgl. BVerfGE 30, 415 <422>)."
Mit der Aufstellung (oder auch nur Duldung) der streitgegenständlichen christlichen Symbole wird in eindeutiger Form der christliche Glaube privilegiert und damit die unzulässige Identifikation herbeigeführt. Gerade in einer staatlichen Einrichtung wie der Bundeswehr dürfen die Soldaten nicht einem religiösen Symbol ausgesetzt sein, welchem sie nicht ausweichen können. Denn durch diese Verletzung des Neutralitätsgebots am täglichen Arbeitsplatz wird der Eingriff in die negative Religionsfreiheit umso intensiver.
Eine Rechtfertigung des Vorhandenseins der streitgegenständlichen religiösen Symbole ergibt sich auch nicht aus Art. 141 WRV iVm. Art. 140 GG. Denn diese Vorschrift garantiert den Religionsgemeinschaften lediglich die Möglichkeit, religiöse Handlungen durchzuführen und dies auch nur, soweit hierfür ein Bedürfnis besteht. Zudem verstößt die Militärseelsorge ohnehin gegen das Trennungsgebot des Art. 137 III WRV.
Eine Berufung auf die Dienstvorschriften ZDvA-2500/1 und ZDvA-2500/2 hat keine Grundlage. Denn diese Verwaltungsvorschriften sind von einer sehr starken Fürsorge für die großen christlichen Kirchen geprägt. Bereits aufgrund dieser Subjektivität und Einseitigkeit entsprechen die Vorschriften nicht dem Grundgesetz und sind damit als unwirksam anzusehen.
Darüber hinaus ist auf die ZDvA-2500/2 Nr. 403 zu verweisen, wonach die Militärgeistlichen bei der Seelsorge jede Unterstützung erfahren sollen, was auch das Bereitstellen geeigneter Räume und die Mitwirkung bei der äußeren Gestaltung von Gottesdiensten betrifft. Dies hat allerdings nichts zu tun mit der Frage der neutralitätswidrigen Aufstellung nach außen erkennbarer Glaubenssymbole auf dem staatlich-öffentlichen und einsehbaren Gelände.
Im Februar 2020 weist das Truppendienstgericht den Antrag zurück. Hiergegen wird ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht gestellt. Im Dezember 2020 weist der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde unter Verweis auf die fehlende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zurück. Hiergegen wird im Januar 2021 Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Mit Beschluss vom 17. März 2022 entscheidet das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Damit ist der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft und die Anrufung des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) möglich.
Am 20.07.2022 wird sodann beim EGMR Beschwerde eingelegt und dort die Verletzung des Art. 9 Abs. 1 EMRK in Gestalt der negativen Religionsfreiheit gerügt. Sie umfasse nämlich nicht nur das Recht, kultischen Handlungen fernzubleiben, sondern beziehe sich ebenfalls auf die Freiheit von religiösen Symbolen, soweit der Betroffene diesen in einer vom Staat geschaffenen Lage ohne Ausweichmöglichkeit - wie hier - ausgesetzt ist. Die Beschwerde wird unter Wiederholung und Vertiefung der bereits in den innerstaatlichen Verfahren dargelegten Erwägungen begründet. Insbesondere damit, dass der Beschwerdeführer durch die religiöse Symbolik in seiner weltanschaulichen Identität in zweierlei Hinsicht verletzt wird: Zum einen bringt der Staat - zudem unter Verletzung seiner Neutralitätspflicht gemäß Art. 9 Abs. 2 EMRK - damit die von ihm präferierte Weltanschauung zum Ausdruck und zum anderen ergibt sich die Verletzung aus dem Umstand, dass für den Beschwerdeführer beiden religiösen christlichen Symbolen eine menschenverachtende Symbolik innewohnt. Bei seiner Dienstausübung kann er sich den verfahrensgegenständlichen christlichen Zeichen nicht entziehen.