Rezension zu Michael Halmich / Andreas Klein: Sterbehilfe / Suizidbeihilfe in Österreich

Michael Halmich/Andreas Klein, Sterbehilfe / Suizidbeihilfe in Österreich – VfGH-Erkenntnis / Diskussion zur Neuregelung 2021 / Rechtliche & ethische Aspekte zur Selbstbestimmung am Lebensende, Wien 2021

Ein wertvoller Beitrag zur Debatte um Hilfe zum Suizid

Rezension von lic.iur. Ludwig A. Minelli, Rechtsanwalt, Forch-Zürich

Gegen Ende März 2021 ist dieses Werk erschienen, das seinem Vorwort gemäss versucht, «ein umfassendes rechtliches als auch ethisches Hintergrundwissen zur Verfügung zu stellen», um damit die richtigen Antworten auf jene Fragen finden zu können, die sich Österreich stellen, nachdem dessen Verfassungsgerichtshof am 11. Dezember 2020 den Weg für Suizidhilfe auch in der östlichen k. & k. Alpenrepublik ab 1. Januar 2022 geöffnet hat. In seinem Urteil hat er das seit 1933 in § 78 des österreichischen Strafgesetzbuches enthaltene absolute Verbot der Hilfe zu einem Suizid als verfassungswidrig erklärt.

Das Werk beginnt mit begrifflichen Klarstellungen, zeigt den grundrechtlichen Rahmen auf, an welchem sich eine Regelung zu orientieren hat, beleuchtet den Rechtsrahmen zur Therapie am Lebensende, untersucht das erwähnte Urteil, erläutert die ethische Perspektive und schliesst mit einer Aufzählung der Fragen, die sich zur «Neuregelung der Suizidbeihilfe ab 2022» dem österreichischen Gesetzgeber allenfalls stellen.

Die Autoren folgen dabei einer grundsätzlich liberalen Linie, wie sie durch die einschlägigen Grundrechte und die Urteile des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 und das Erkenntnis des Wiener Verfassungsgerichtshof denn ja auch gefordert wird, und setzen sich insbesondere im Kapitel über Ethische Perspektiven höchst sachkundig und wirkmächtig mit den verschiedensten Argumenten auseinander, die von Seiten der Gegner der Selbstbestimmung am Lebensende seit Jahren unermüdlich vorgetragen werden.

Ein insgesamt erfreuliches Buch, insbesondere wenn es sich darum handelt, zu verstehen, worum es überhaupt im Bereich der Selbstbestimmung am Lebensende geht –, wenn da nicht angemerkt werden müsste, dass es editorisch leider ungenügend begleitet worden ist. Auf nicht weniger als 29 der 133 Seiten musste der Rezensent nicht nur Druckfehler anmerken. So etwa scheint Andreas Klein nicht wahrgenommen zu haben, dass der Deutsche Bundestag mit der Einfügung des § 217 im deutschen Strafgesetzbuch im Herbst 2015 die in Deutschland seit 1871 bestehende vollständige Freiheit zur Hilfe beim Suizid beseitigt und so eingeengt hat, dass diese praktisch nicht mehr geleistet werden konnte. Kritisch ist anzumerken, wenn er (S. 70) behauptet, diese Entscheidung sei «zugunsten der Legalität der Suizidbeihilfe» getroffen worden, oder gar (S. 71), das Parlament habe sich «2015 mehrheitlich zu einer Liberalisierung bzw. Neuregelung durchgerungen». Insofern hat eben das deutsche Bundesverfassungsgericht auch nicht, wie auf S. 115 behauptet wird, «privaten Institutionen die Erlaubnis zur Beihilfe» eingeräumt; es hat schlicht die vor 2015 bestehende Freiheit wieder hergestellt.

Was im Buch zudem bedauerlicherweise fehlt, ist ein Hinweis darauf, dass in der Schweiz – die darin nur am Rande erwähnt wird – Hilfe zum Suizid seit etwa 1985 und damit seit 36 Jahren problemlos funktioniert, und dass die Schweizer Regierung am 29. Juni 2011 verkündet und seither wiederholt bestätigt hat, auf sämtliche Bemühungen zum Erlass einer besonderen gesetzlichen Regelung dieser Art von Sterbehilfe zu verzichten. Sie hatte nach einer mehrjährigen Diskussionsphase erkannt, dass die seit langem bestehenden allgemeinen Gesetze im Straf-, Arzt- und Medizinrecht absolut ausreichend sind, um Missbräuche im Umgang mit Hilfe zum Suizid zu vermeiden. Ob für diese Lücke im besprochenen Werk bei dessen Autoren blosse Unkenntnis massgebend war, oder aber die in ehemals monarchisch-obrigkeitlich organisierten Staaten offenbar herrschende Angst vor einer Freiheit ohne gesetzliche Gebrauchsanweisung, bleibe hier dahingestellt.

Wäre ich Börsenjournalist, würde mein Rat lauten: Kaufen! Dann kritisch lesen. So ergibt sich eine Wissensdividende.

LINK zum Buch

Michael Halmich/Andreas Klein, Sterbehilfe / Suizidbeihilfe in Österreich – VfGH-Erkenntnis / Diskussion zur Neuregelung 2021 /– Rechtliche & ethische Aspekte zur Selbstbestimmung am Lebensende. Educa Verlag, Wien 2021. Broschiert, 133 S., ISBN 978-3-903218-23-9, ca. 32 €.