Jörg Scheinfeld in NJW 19/2019: „Anfangsverdacht bei Anzeige gegen Unbekannt. Klerikaler Kindesmissbrauch und Legalitätsprinzip“

In der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) 19/2019, S. 1357 ff., ist am 2. Mai 2019 der Aufsatz "Anfangsverdacht bei Anzeige gegen Unbekannt. Klerikaler Kindesmissbrauch und Legalitätsprinzip" von Professor Dr. Jörg Scheinfeld, Beirat des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), sowie Sarah Willenbacher (beide Universität Mainz) erschienen.

Darin gehen die Autoren der Frage des Anfangsverdachts bei Anzeige gegen Unbekannt nach. Der NJW-Artikel nimmt Bezug auf die deutschlandweiten Strafanzeigen gegen Sexualstraftäter der katholischen Kirche im Oktober 2018 (https://weltanschauungsrecht.de/strafanzeigen-missbrauch-katholische-kirche). Die Strafrechtsprofessoren Holm Putzke, Rolf Dietrich Herzberg, Eric Hilgendorf, Reinhard Merkel, Ulfrid Neumann und Dieter Rössner hatten in Verbindung mit dem ifw in 27 Strafanzeigen ausgeführt, inwiefern sich aus den Ergebnisses der MHG-Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" vom September 2018 ein sogenannter Anfangsverdacht ergebe hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a StGB).

Dieser Ansicht der Strafrechtsprofessoren folgten nur einige der Staatsanwaltschaften und leiteten Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. Teilweise wurde auch in der öffentlichen Diskussion das Vorliegen eines Anfangsverdachts bestritten. Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) erklärte gegenüber der Online-Zeitschrift Legal Tribune Online (LTO): Die Missbrauchsstudie "nennt weder Namen von möglichen Tätern und Opfern noch konkrete Tatorte – also genau das nicht, was zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Person erforderlich ist." Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Argumentation der niedersächsischen Justizministerin "unplausibel" sei, "vor allem stünde die restriktive Sicht der Ministerin, wollten die Strafverfolgungsbehörden sie sich zu eigen machen, in krassem Widerspruch zu Ermittlungstätigkeiten, die mitunter schon bei legalem Verhalten eingeleitet werden."

Die Autoren behandeln in einem eigenen Kapitel die Position der Generalstaatsanwaltschaft (GenSTA) Koblenz, wie es die GenSTA in einem Schreiben an das ifw vom 6. Februar 2019 dargelegt hatte. Die GenSTA Koblenz hatte alle vier in ihrem Bezirk bei den Staatsanwaltschaften am Sitz von vier Bistümern gestellten Strafanzeigen an sich gezogen und allesamt abschlägig beschieden. Detailliert weisen die Autoren der GenSTA nach, dass Teile ihrer Begründung im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung stünden, sie gegen das Legalitätsprinzip verstoße und geeignet sei, das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Tätigkeit der Justiz zu erschüttern. "Sämtliche Begründungsansätze der GenSTA Koblenz vermögen nicht zu überzeugen."

Insgesamt ziehen Scheinfeld / Willenbacher das Fazit:

"Nach alldem hätte es im Nachgang der MHG-Studie nur eine richtige Entscheidung für die Staatsanwaltschaften in den Bistümern geben können: Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt einzuleiten - damit der Missbrauch von Schutzbefohlenen und Minderjährigen sowie gegebenenfalls eine Beihilfe dazu geahndet werden können. Stattdessen wurde zum Teil mit unstimmigen Begründungen das Ermitteln verweigert und diese Chance leichtfertig vertan sowie billigend in Kauf genommen, dass Beweismittel beiseitegeschafft und vernichtet werden."

Zum Artikel "Anfangsverdacht bei Anzeige gegen Unbekannt. Klerikaler Kindesmissbrauch und Legalitätsprinzip", NJW 19/2019, S. 1357 ff. (Paywall): hier

(JN)