Warum ein konfessionsfreier Franzose in Deutschland Kirchensteuer zahlt: Der Fall Herr B gegen das Erzbistum Berlin

Sachverhalt

Herr B. ist römisch-katholisch getauft, hat aber seit jeher eine atheistische Überzeugung und trägt diese auch nach außen. Zur katholischen Kirche hatte er weder in Frankreich noch in Deutschland je einen Bezug. Im laizistischen Frankreich gibt es seit dem Jahr 1789 keine Kirchensteuer mehr. Ein offizieller Austritt aus der katholischen Kirche ist nicht möglich.

Im Jahr 2013 verlegt Herr B. seinen Wohnsitz von Frankreich nach Deutschland. Im Rahmen seiner meldebehördlichen Anmeldung beim Bezirksamt gibt er an, konfessionslos zu sein.

Trotz der gegenüber der Meldebehörde angegebenen Konfessionslosigkeit übersendet die Kirchensteuerstelle beim Finanzamt Prenzlauer Berg ihm einen Fragebogen zur Feststellung der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft. Dabei beruft sich die Kirchensteuerstelle auf die §§ 88, 90 AO und zitiert diese Normen auch. Nach § 88 Abs. 1 AO ermittelt die "Finanzbehörde" den Sachverhalt von Amts wegen. Aufgrund dieser Formulierung und aufgrund der Tatsache, dass die Kirchensteuerstelle unter derselben Adresse firmiert wie das Finanzamt, obwohl es sich um eine rein kirchliche Einrichtung handelt, geht Herr B. davon aus, dass es sich um ein staatliches Auskunftsersuchen, das erzwingbar ist, handele und beantwortet dieses. Auch im Rahmen dessen gibt er an, konfessionslos zu sein. Eine Aufklärung darüber, dass das Schreiben tatsächlich von einer Religionsgemeinschaft stammt und es deshalb keinerlei rechtliche Verpflichtung gibt, das Schreiben zu beantworten, erfolgt dabei zu keinem Zeitpunkt. Dennoch beantragt das Erzbischöfliche Ordinariat zur Feststellung der Kirchenmitgliedschaft Auskunft aus dem Taufregister bei der Diözese in seinem Geburtsort in Frankreich und bittet im Falle der Ermittlung eines Taufeintrages um Übersendung einer Kopie der Taufbescheinigung. Anstatt sich bei etwaigen Zweifeln betreffend die Religionszugehörigkeit an Herrn B. selbst zu wenden, wird in einem kirchlich-internen Verfahren über die deutschen Grenzen hinweg unter Verstoß gegen deutsches und europäisches Datenschutzrecht eine Fahndung durchgeführt.

Die Diözese in Frankreich übersendet dem Erzbistum eine Taufbescheinigung, weshalb Herrn B. für das Jahr 2014 Kirchenlohnsteuer von seinem Gehalt abgezogen wird. Der monatliche Abzug endet erst, als Herr B. beim Amtsgericht seinen Austritt aus der deutschen katholischen Kirche erklärt, obwohl er nie Mitglied dieses Kirchensteuerverbandes geworden ist.

Verfahrensstand

Herr B. reicht im Juni 2016, vertreten durch die ifw-Mitglieder Jacqueline Neumann und Eberhard Reinecke, Klage beim Verwaltungsgericht Berlin gegen den Bescheid des Finanzamtes Prenzlauer Berg über katholische Kirchensteuer für den Veranlagungszeitraum 2014 ein. Ziel dieses Verfahrens ist es insbesondere, das Vorgehen der Kirche als Verstoß gegen die deutschen und europäischen Datenschutzgesetze zu qualifizieren und die in Berlin gängige Praxis der Ansiedlung der Kirchensteuerstellen in den Finanzämtern als verfassungswidrigen Verstoß gegen das Trennungsgebot zu beenden. Überdies geht es um die Frage, ob die Übersendung des Fragebogens in der praktizierten Form als Amtsanmaßung strafrechtlich relevant ist.

Ende Februar 2020 hebt das Erzbistum Berlin den Kirchensteuerbescheid überraschend auf. Aufgrund der Aufhebung muss das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vom Kläger für erledigt erklärt werden. Die vom ifw final angestrebte verfassungsgerichtliche Überprüfung der Praxis der Rasterfahndung und der Zwangskonfessionalisierung von Ausländern ist nun nicht mehr möglich. Da das Erzbistum Berlin seine Praxis bisher nicht geändert hat, bleibt vorerst nur der rechtspolitische Weg um Reformen anzustoßen.