Regelschulproblematik

I. Schularten in religiös-weltanschaulicher Hinsicht

1. Dass eine der nach dem Grundgesetz in religiös-weltanschaulicher Hinsicht zulässigen Schularten vorliegt (s. insb. Argument aus Art. 7 V GG), bedeutet noch nicht, dass sie – wie insbesondere die Bekenntnisschulen (Konfessionsschulen) – auch als Regel- oder gar ausschließliche Schulform zulässig ist. Denn dann, wenn Eltern und Schüler zumindest faktisch (mangels zumutbarer Alternative) gezwungen sind, eine Schule zu besuchen, die ihrer religiös-weltanschaulichen Überzeugung nicht entspricht bzw. widerspricht, verstößt das im Ergebnis gegen die Religionsfreiheit bzw. das Elternrecht. Das ist in Nordrhein-Westfalen immer noch häufig der Fall.

2. Konkret handelt es sich um die Rechtsfrage, ob die Religionsfreiheit (nach hier vertretener Terminologie speziell: Glaubensfreiheit) das persönliche Recht garantiert, keiner einseitigen religiös-weltanschaulichen Beeinflussung ausgesetzt zu werden und ob dieses Grundrecht durch die Etablierung der umfassenden staatlichen Schulaufsicht bzw. Schulhoheit der Länder in Verbindung mit der möglichen Schaffung unterschiedlicher religiös-weltanschaulicher Schularten ausgehebelt werden kann. Letztere Ansicht war in den 1950 er Jahren vorherrschend mit folgender Begründung: Art. 7 GG enthält hinsichtlich der bekenntnismäßigen Gestaltung des Schulwesens vollständig alle verfassungsrechtlichen Schranken. Art. 4 GG steht dem nicht entgegen, denn: "Es ist nicht möglich, allen Eltern eine ihren Wünschen entsprechende Schulart zur Verfügung zu stellen." Wenn an einem Ort nur eine einzige Schule besteht, bedeutet das meist, dass die Minderheiten zur Vermeidung unzumutbarer Schulwege ihr Kind in einer nicht ihren Wünschen entsprechenden Schule erziehen und unterrichten lassen müssen. Das bedeutet, zumindest nach früherer Ansicht, keinen unzulässigen Eingriff in die "Gewissensfreiheit"[1] (so das BVerfG 1957 im Konkordatsurteil). Mit dieser, auch nach damaligem Diskussionsstand nicht qualifizierten, Ansicht wurde die Bekenntnisschule als Regel- und damit Zwangsschule für lange Zeit abgesegnet, eine Auffassung, die 1967 auch der erkennbar stark kirchlich orientierte BayVerfGH zumindest bei christlichen Minderheiten (nicht: bei nichtchristlichen) als "klaren Verstoß" gegen das Grundrecht der "Glaubens- und Gewissensfreiheit" wertete.

II. Neutrale Grundversorgung

Nach heute so gut wie allgemeiner und richtiger Ansicht kann der Staat zwar alle in Art. 7 V GG angesprochenen Schularten auch als öffentliche zur Verfügung stellen (zulässige Teilidentifikation), aber er muss dann eine Art. 4 GG Rechnung tragende Grundversorgung gewährleisten, die religiös-weltanschaulich neutral und somit Jedermann zumutbar ist. Denn Art. 7 I GG (Schulhoheit) begründet nur eine partielle und insoweit umfassende Landeskompetenz (Kulturhoheit der Länder, Art. 70 GG), aber keine Außerkraftsetzung von Grundrechten des GG. Denn Bundesrecht geht stets vor Landesrecht, Art. 31 GG (s. näher Landesrecht und Religion). Daher entbehrt auch die selbst von Juristen teilweise immer noch geübte Kritik am Kruzifix-Beschluss des BVerfG von 1995 jeder ernsthaften Grundlage, und zwar speziell im Hinblick auf eine angebliche Missachtung des föderalen Prinzips.

Erhebliche grundrechtliche Probleme gibt es immer noch in NRW und Teilen von Niedersachsen, wo noch heute öffentliche Konfessionsschulen regional bzw. örtlich faktischen Regelschulcharakter haben (s. Bekenntnisschulen IV). Ob Bekenntnisfreie Schulen als Regelschulen eingeführt werden dürften, wird in einem eigenen Artikel erörtert.

>> Bekenntnisfreie Schulen; Bekenntnisschulen; Christliche Gemeinschaftsschulen; Glaubensfreiheit; Kreuz im Klassenzimmer; Landesrecht; Schularten; Schulaufsicht

Literatur

  • Czermak, Gerhard: Religions- und Weltanschauungsrecht, 2. A. 2017, § 13 V.
  • Ponitka, Rainer, Die staatliche Bekenntnisschule in Nordrhein-Westfalen, in: ders. (Hg.), Konfessionslos in der Schule, Aschaffenburg 2013, 57-72.
 


  • [1] so mit Zitat BVerfGE 6,309/339 f., 1957 – Konkordatsurteil

© Gerhard Czermak / ifw (2017)