Bekenntnisfreie Schulen

I. Das Problem

1. Immer noch tut man sich schwer mit einer Begriffsdefinition. Im Schulartikel des GG, Art. 7, heißt es in seinem gern unvollständig zitierten Abs. III 1: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach." Die Schulpraxis der Bundesrepublik kennt keine Schulen mit einer solchen Bezeichnung. In der Diskussion über die Schularten in religiös-weltanschaulicher Hinsicht und im Streit um Religions- und Werteunterricht spielen die Bekenntnisfreien Schulen deswegen kaum eine Rolle. In ihnen, die im GG sonst nirgendwo erwähnt sind, ist jedenfalls eine Abweichung vom üblichen Schulcharakter mit Religionsunterricht zu sehen. Art. 7 III 1 GG lässt also öffentliche Schulen mit und ohne staatlichen Religionsunterricht zu. Das ergibt sich indirekt auch aus der Zulässigkeit von öffentlichen "Weltanschauungsschulen", Art. 7 V. Die GG-Kommentare und Lehrbücher halten sich in der Frage der Bekenntnisfreien Schulen meist vornehm zurück.

Der Text des Art. 7 III 1 GG nimmt bei nüchterner Betrachtung dem Religionsunterricht, ebenso wie auch die für die neuen Bundesländer umstrittene "Bremer Klausel" (Art. 141 GG), den Charakter der Selbstverständlichkeit. Damit ist freilich zur Zulässigkeit der Bekenntnisfreien Schulen als Regelschulen noch nichts gesagt. Die nahezu einhellige Rechtsmeinung lehnt sie als Regelschulen insbesondere mit der Begründung ab, die Bremer Klausel wäre sonst überflüssig. Seriös kann zur Regelschulfrage aber erst nach einer begrifflichen Klärung Stellung genommen werden.

2. Der Begriff "Bekenntnisfreie Schulen" war schon zur Weimarer Zeit, von der er ins GG übernommen wurde, streitig. Die SPD konnte gegenüber dem Zentrum als verbliebener Koalitionspartei in der Nationalversammlung nur durchsetzen, dass neben den als Regelschule vorgesehenen (herkömmlichen, d. h. christlichen) Simultanschulen (Gemeinschaftsschulen ohne speziell konfessionelle Ausrichtung) auch Konfessionsschulen und weltliche Schulen als Antragsschulen zulässig waren, wobei die Begriffe "bekenntnisfreie Schule" und "Weltanschauungsschule" nicht definiert wurden. Nach 1919 hat man beides zunächst gleichgesetzt, später aber differenziert. "Bekenntnisfrei" waren dabei sowohl Weltanschauungsschulen im eigentlichen Sinn (Vermittlung bekenntnisähnlicher nichtreligiöser Überzeugungssysteme) wie auch schlicht-weltliche Schulen. Das hatte aber nur theoretische Bedeutung. Weil das erforderliche Reichsvolksschulgesetz nicht zustande kam, blieb es bei der alten Rechtslage, d. h. praktisch beim Konfessionsschulsystem.

II. Die Lösung

1. Auch aus der Entstehungsgeschichte des GG lässt sich keine Klarheit gewinnen. Im Prinzip sind unter dem GG zwar in religiös-weltanschaulicher Hinsicht alle in Art. 7 GG genannten Schulformen als öffentliche zulässig. Regelschule kann aber nur eine Schulform sein, die der Religionsfreiheit (hier speziell: Glaubensfreiheit im Sinn von Beeinflussungsfreiheit) voll entspricht, also keinen unzulässigen Zwang ausübt. Bekenntnisfreie Schulen als Weltanschauungsschulen im engeren Sinn (s. oben I 2) können daher ebenso wie Bekenntnisschulen nicht öffentliche Regelschulen sein. Wenn aber, wie das BVerwG sagt, die Weltanschauungsschule nur ein Unterfall der Bekenntnisfreien Schule ist, muss es auch noch mindestens eine andere Fallgruppe geben. Mit Art. 4 GG ohne weiteres vereinbar wäre eine religiös-weltanschaulich "neutrale" weltliche Schule auch dann, wenn sie zwar den Faktor Religion und Weltanschauung angemessen berücksichtigt (offene Neutralität), jedoch keinen staatlichen Religionsunterricht anbietet. Das entspricht der späteren Weimarer Auffassung. Verfassungsrechtlich spricht nichts gegen eine solche Auslegung des Art. 7 III 1 GG, die den Ländern mehr Spielraum lässt. Sie entspräche vielmehr der allgemeinen Betonung des Gestaltungsspielraums der Länder in Schulfragen.

2. Die Folge wäre freilich eine erhebliche Änderung der religionspolitischen Lage. Ein solches Modell könnte durchaus verbunden sein mit einem von den Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften angebotenen, also außerstaatlichen Religions- und Weltanschauungsunterricht, wie das in Berlin unter der Geltung des Art. 141 GG noch heute der Fall ist. Die nach dieser Auslegung bestehende Parallelregelung des Art. 7 III 1 bzw. 141 GG ist erklärbar: Konkreter Anlass für eine abweichende Regelung war 1949 besonders das Land Bremen, für das man eine Sonderregelung brauchte. Die (unklare) Regelung über die "bekenntnisfreien Schulen" in Art. 7 III 1 GG geht über Art. 141 GG in gewisser Weise hinaus. Denn trotz der Formulierung des Art. 141 GG, Art. 7 II 1 finde "keine Anwendung", kann damit sinnvollerweise nicht gemeint sein, dass in diesen Ländern keine Änderung möglich sei. Die Geltung der Bremer Klausel schließt nicht aus, dass diese Länder Religionsunterricht einführen oder auch wieder abschaffen können. Darüber besteht weitgehend Einigkeit. Art. 141 GG schreibt keinen Zwang vor, sondern betont die selbständige Gestaltungsmöglichkeit der Länder. Umso weniger gibt es einen Grund, den Ländern mit Geltung des Art 7 III zu verwehren, von den dort textlich eingeräumten zwei Möglichkeiten bei Einhaltung des Art. 4 I, II GG alternativ oder kumulativ Gebrauch zu machen.

Die "bekenntnisfreie Schule" mag nicht als Regelschule gewollt gewesen sein, aber das sagt für die heutige Verfassungsauslegung nichts aus. Das auch deswegen, weil die Frage im Parlamentarischen Rat nicht aussagekräftig erörtert wurde. Dagegen spricht auch nicht der Wortlaut des Art. 7 III 1, denn er hat nicht die erkennbare Funktion, ein rechtliches Regel-Ausnahme-Verhältnis zu begründen. Der (hier ohnedies unklare) Wille des historischen Verfassungsgebers ist außerdem kein zwingendes Argument (s. unter Auslegung). Im Übrigen galt nach 1949 in der schulrechtlichen Praxis auch die Glaubensfreiheit noch nichts (Konfessionsschulzwang), und Ungereimtheiten werden beim GG ja auch sonst hingenommen. Es gibt nach allem keinen überzeugenden Grund, Schulen ohne Religionsunterricht nicht auch als Regelschule zuzulassen, wenn sie nur "neutral" konzipiert sind. Politische Mehrheiten müssten ohnehin erst gefunden werden. D. h. aber: Religionsunterricht, ohnehin eine gravierende Abweichung vom Trennungsgebot, ist selbst innerhalb des Art. 7 GG – entgegen der h. M. – nicht der verfassungsrechtliche Normalfall, sondern eine von zwei Optionen. Bei dieser Auffassung wäre der große Streit um die Geltung des Art. 141 GG in den neuen Bundesländern (insb. bezüglich LER in Brandenburg) gar nicht entstanden.

Auslegung; Bremer Klausel; Ethikunterricht; Glaubensfreiheit; Regelschulproblematik; Religionsunterricht; Schularten; Trennungsgebot.

Literatur:

  • BVerwGE 89, 368 = NVwZ 1992, 1192, U. v. 19.2.1992 – 6 C 5/91 (Weltanschauungsschulen; Unterfall der bekenntnisfreien Schule).
  • Kreß, Hartmut: Religionsunterricht oder Ethikunterricht? Baden-Baden 2022.
  • Link, Christoph: "Bekenntnisfreie" Schulen, in: Staat – Kirche – Verwaltung. Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag. München 2001, 397-407 (dort S. 400 auch eine Kurzwiedergabe der Position von U. K. Preuß, die der hier vertretenen ähnlich ist).

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