Informationsfreiheit: Der Fall Seyran Ateş / Bundesrechnungshof

Sachverhalt

Mit E-Mail vom 03.02.2021 beantragt die ifw-Beirätin Seyran Ateş Zugang zu den Prüfergebnissen des Bundesrechnungshofs (BRH) zur Förderung von Islamic Relief Deutschland e.V. und Islamic Relief Worldwide aus den Mitteln des Auswärtigen Amtes. Ateş stützt ihr Begehren auf § 96 Abs. 4 Bundeshaushaltsordnung (BHO), § 1 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) sowie Art. 5 Abs. 1 GG (Informations- und Pressefreiheit) betreffend ihr Transparenzinteresse als Bürgerin und ihre publizistische Tätigkeit. 

Verfahrensstand

Mit Bescheid vom 09.02.2021 lehnt der Bundesrechnungshof die Herausgabe ab. Der daraufhin am 07.03.2021 eingereichte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2021 zurückgewiesen. Hiergegen hat Ateş am 19.05.2021 beim Verwaltungsgericht Köln Klage eingereicht.

Rechtliche Problematik

Der ablehnende Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

1.

Der BRH beruft sich auf den Ausschlusstatbestand des § 3 Nr. 4 IFG. Er trägt vor, dass der Prüfbericht als "Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD)" eingestuft worden sei und deshalb nicht herausgegeben werden könne.

Diese Rechtsauffassung geht fehl. Die Entscheidung über die Beibehaltung oder Aufhebung der Einstufung liegt im Ermessen des BRH. Indem der BRH den Antrag unter Hinweis auf die Einstufung schlicht abgelehnt hat, hat er dies verkannt. Bereits aufgrund des vorliegenden Ermessensnichtgebrauchs ist die Entscheidung rechtswidrig und aufzuheben.

Die Klägerin kann sich insofern auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stützen (BVerwG, Urt. v. 22.03.2018 – 7 C 30/15 –, juris-Rn. 17):

"§ 96 Abs. 4 Satz 1 BHO normiert, wie die Bezugnahme auf den Dritten zeigt, einen individuellen Ermessensanspruch auf Information"

"§ 96 Abs. 4 BHO vermittelt einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Informationsantrag, der sich bei einer Reduzierung des Ermessens auf Null oder im Fall der Selbstbindung des Bundesrechnungshofs zu einem unmittelbaren Informationszugangsanspruch verdichten kann."

Nach der Rechtsprechung des VG Köln, Urt. v. 31.01.2019 – 6 K 9164/16, juris-Rn. 61 f. ist das Ermessen des BRH in Bezug auf Informationsbegehren von Medienvertretern grundsätzlich auf Null reduziert:

"Die Beklagte hat den Antrag des Klägers ermessensfehlerhaft abgelehnt. Die Entscheidung nach § 96 Abs. 4 S. 1 BHO steht im pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 40 VwVfG) der Beklagten. Dies bringt bereits der Wortlaut der Regelung mit dem Wort "kann" zum Ausdruck, mit dem der Behörde regelmäßig - wie auch hier - auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen eingeräumt wird. Die behördliche Ermessensausübung unterliegt gemäß § 114 S. 1 VwGO der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte. […] Der Entscheidung der Beklagten liegt jedenfalls ein Ermessensdefizit zugrunde. § 96 Abs. 4 BHO normiert einen individuellen Ermessensanspruch auf Informationen, der sich bei einer Reduktion des Ermessens auf Null oder im Fall der Selbstbindung des Bundesrechnungshofs zu einem unmittelbaren Informationszugangsanspruch verdichten kann. Allerdings ist das dem Bundesrechnungshof eröffnete Ermessen angesichts der Bedeutung der Presse- und Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in Bezug auf Informationsbegehren von Medienvertretern grundsätzlich auf Null reduziert, sofern nicht im Einzelfall der Zugangsgewährung ausnahmsweise ein schutzwürdiges privates oder öffentliches Vertraulichkeitsinteresse entgegensteht. Bei ihrer Entscheidung hat die Beklagte das Informationsrecht und die Pressefreiheit des Klägers sowie das Transparenzgebot auf der einen Seite und die Rechte der Betroffenen, Vorschriften über die geheime oder vertrauliche Behandlung des Prüfungsergebnisses sowie den Schutz der wirksamen externen Finanzkontrolle auf der anderen Seite in die Ermessenserwägungen einzubeziehen.

Vorstehendes dürfte für Ateş aufgrund ihrer journalistischen und publizistischen Tätigkeit gelten.

Im Rahmen der vorzunehmenden Überprüfung der Aufhebung oder Beibehaltung der Einstufung ist zu berücksichtigen, dass eine als Verschlusssache eingestufte Information nur dann nicht dem Anspruch auf Informationszugang unterliegt, wenn die materiellen Gründe für eine solche Einstufung tatsächlich vorliegen (statt aller: BVerwG, Urt. v. 28.2.2019 – 7 C 20/17, NVwZ 2019, 1050, 1053; BeckOK InfoMedienR/Schirmer, 30. Ed. 1.11.2020, IFG § 3 Rn. 157).

Ausweislich der einschlägigen Rechtsprechung, beschäftigen sich die Gerichte sehr umfassend mit den materiellen Voraussetzungen einer Einstufung als Verschlusssache und erwarten von der auskunftsverweigernden Stelle einen detaillierten Vortrag mit Bezug auf Einzeldokumente und deren Gefahrenpotential für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder. Ein bloßer Hinweis auf die Einstufung als "VS-NfD" genügt dem nicht.

Diese Anforderungen hat der BRH trotz ausführlichen Vortrages auch im Widerspruchsverfahren nicht beachtet. 

Stattdessen wird ohne nähere Erläuterung pauschal darauf verwiesen, dass die Prüfungsergebnisse in erheblichem Umfang verfassungsschutzrechtliche Informationen enthielten. In welchem Zusammenhang diese mit den zuwendungsrechtlichen Prüfergebnissen stehen und warum eine Trennung ausscheidet, wird nicht erläutert. Nebulös wird insofern nur auf eine frühere Aussage des Auswärtigen Amtes in anderem Zusammenhang im Mai 2020 verwiesen, wonach bei "Weitergabe des hier maßgeblichen Prüfungsergebnisses" eine "missverständliche Darstellung in der Öffentlichkeit zu befürchten" sei, welche die internationalen Beziehungen der BRD "unverhältnismäßig stark belasten könnte". Bei der Gefahr einer "missverständlichen Darstellung in der Öffentlichkeit" handelt es sich indes nicht um einen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Ausschlussgrund für den Informationszugang. Vielmehr mutet dieses Argument willkürlich an und offenbart ein höchst problematisches Demokratieverständnis des BRH und des Auswärtigen Amtes sowie eine Qualifizierung der Bürgerinnen und Bürger als unmündig. Da diese Äußerung des Auswärtigen Amtes, auf die sich der BRH hier maßgeblich stützt, überdies bereits ein Jahr alt ist, wäre es im Mindestmaß erforderlich gewesen, das Auswärtige Amt erneut zu kontaktieren und um eine aktuelle Einschätzung und Konkretisierung dieser Aussage zu bitten.   

2.

Eine vollständige Verweigerung der Herausgabe der Prüfergebnisse dürfte im Übrigen auch unverhältnismäßig sein. In jedem Fall hätte die Herausgabe z. T. geschwärzter Akten als milderes Mittel geprüft werden müssen. Insofern kann sich die Klägerin auch hier auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stützen: 

BVerwG, Urt. v. 22.03.2018 – 7 C 30/15 –, juris-Rn. 41 f. (Sachverhalt: Anspruch aus § 96 Abs. 4 BHO auf Auflistung aller abschließend festgestellten BRH-Prüfungsergebnisse für einen bestimmten Zeitraum und für bestimmte Ministerien):

"1. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass sich der Schutz "der entsprechenden Akten bei den geprüften Stellen" nicht auf die Teile des Vermerks des Bundesministeriums mit eigenständigen Schlussfolgerungen und Bewertungen des Ministeriums in Dokument Nr. 7 erstreckt.

[…] Im Übrigen kommen für den Fall, dass aus diesem Teil des Vermerks Rückschlüsse auf geschützte Aktenteile möglich sind, auch Schwärzungen der Passagen in Betracht."

Ferner: BVerwG, Urt. v. 15.11.2012 - 7 C 1.12, juris-Rn. 5f. (Sachverhalt: Begehr auf Informationszugang zu Ergebnisberichten einschließlich eventueller Beanstandungen nach alter Rechtslage § 1 Abs. 1 IFG gegen den Bundesrechnungshof):

"Der Schutz der Vertraulichkeit werde allein gemäß § 3 Nr. 4 IFG bewirkt. Auch sei Vertraulichkeit kein Wesensmerkmal der Rechnungsprüfung. Schützenswerten privaten Belangen sei gemäß §§ 5 und 6 IFG im Einzelfall durch Schwärzung Rechnung zu tragen." […]

"Die abschließende Prüfungsmitteilung und das Übersendungsschreiben unterlägen nicht dem Beratungsgeheimnis. Beim abschließenden Prüfungsvermerk könne, soweit er im Einzelfall dem Beratungsgeheimnis unterfallende Informationen enthalte, dem durch Schwärzung oder Erstellung einer Reinschrift Rechnung getragen werden."

Zum Vortrag der Klägerin auf Herausgabe z. T. geschwärzter Akten als milderes Mittel äußert sich der BRH im Widerspruchsbescheid nur insofern, als dass eine Zerlegung der Prüfergebnisse in einen nicht als vertraulich eingestuften und einen als vertraulich eingestuften Teil ausscheide. Eine Prüfung teilweiser Schwärzungen der Prüfergebnisse (z. B. Namensnennungen), hat er unterlassen. Auch die Frage, ob es in den Prüfergebnissen womöglich eigenständige Schlussfolgerungen des BRH (z. B. in Form eines abschließenden Prüfvermerks) gäbe, welche nicht der Geheimhaltung unterliegen, bleibt unbeantwortet.

Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) unterstützt den Einsatz für Transparenz und die Kontrolle politischer Prozesse und koordiniert den Beitrag der Giordano-Bruno-Stiftung zu den Verfahrenkosten.