Kirchliches Arbeitsrecht: ifw-Gutachten beim BVerfG im Fall „Egenberger“ eingereicht

I. Hintergrund der Verfassungsbeschwerde der Diakonie

Im März 2019 hat das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Diese richtet sich unmittelbar gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2018 (Az. 8 AZR 501/14) und mittelbar gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. April 2018 (Rs. C-414/16 - Vera Egenberger gegen Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.).

Der EuGH traf in 2018 eine wegweisende Entscheidung für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts. Die Luxemburger Richter urteilten, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion im Rahmen der Einstellungspolitik der Diakonie nur zulässig sei, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft bzw. Einrichtung darstellt. Entscheidend ist also die Nähe zum Verkündigungsauftrag. Nur wenn diese gegeben ist, darf zukünftig von Bewerber*innen eine Religionszugehörigkeit gefordert werden.

Durch das Urteil wird konfessionsfreien Ärztinnen und Kindergärtnerinnen, Krankenpflegerinnen und Bürokräften, Reinigungspersonal und Hausmeisterinnen etc. ein neuer Zugang zu dem von kirchlichen Organisationen dominierten sozialen Arbeitsmarkt eröffnet. Dies betrifft insbesondere die größte weltanschauliche Gruppe in Deutschland – die Gruppe der Konfessionsfreien, welche gegenwärtig 37,8 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen – positiv.

Gegen diese Öffnung wendet sich die Diakonie mit ihrer Verfassungsbeschwerde.

II. Unions- und verfassungsrechtliches Gutachten zur Verfassungsbeschwerde der Diakonie

Deshalb hat das ifw den renommierten Verfassungsrechtler Prof. Dr. Bodo Pieroth zusammen mit Akad. Rat Dr. Tristan Barczak beauftragt, ein Rechtsgutachten zu den Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde der Diakonie zu erstellen. In ihrem Gutachten kommen die Rechtsexperten zu dem Ergebnis, dass die Verfassungsbeschwerde unzulässig und unbegründet ist: "Weder handelt es sich bei der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs um einen ausbrechenden Rechtsakt im Sinne der Ultra-vires-Dogmatik, noch verletzt sie die als integrationsfest geschützte Verfassungsidentität im Sinne der Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Die Ultra-vires-Rüge ist unbegründet, da […] keine Kompetenzverletzung festzustellen ist […]. Art. 17 AEUV formuliert ein Gebot der Rücksichtnahme auf kirchliche Belange, nicht jedoch eine Kompetenzschranke. […] Die Voraussetzungen der Identitätskontrolle liegen ebenfalls nicht vor. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV lässt sich nicht als solches und erst recht nicht in seinen konkreten Ausgestaltungen als Teil der prinzipiell restriktiv auszulegenden Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG betrachten." Das Gutachten wurde von der Klägerin des Ausgangsverfahrens, Frau Vera Egenberger, zusammen mit ihrer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

III. Theologisches und rechtshistorisches Gutachten zur Verfassungsbeschwerde der Diakonie

Bei der Durchsicht der kirchlichen Verfassungsbeschwerde fällt ferner auf, dass u.a. wichtige kirchliche und theologische Voten in einseitiger Auswahl keine Erwähnung gefunden haben. Eine Auseinandersetzung mit den Infragestellungen des kirchlichen Arbeitsrechts in binnenkirchlichen Debatten und in der Theologie fand nicht statt. Das ifw hat daher den bekannten Experten Prof. Dr. Hartmut Kreß, Professor für Systematische Theologie in der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, zudem Lehrbeauftragter an der Juristischen Fakultät der Universität Düsseldorf und Beirat der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen der Diakonie in Württemberg, ebenfalls um ein Gutachten gebeten.

Das Gutachten von Prof. Kreß belegt die Berechtigung der Korrektur des kirchlichen Arbeitsrechts durch den Europäischen Gerichtshof und durch das Bundesarbeitsgericht. Es thematisiert darüber hinaus die Entstehungsgeschichte des sog. kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sowie die inneren Unschlüssigkeiten in der kirchlichen Theorie und Praxis im Bereich des Arbeitsrechts (Begriff der "Dienstgemeinschaft"). Damit bietet das Gutachten eine maßgebliche Ergänzung für die Bewertung der Verfassungsbeschwerde durch die Karlsruher Richter.

Das von Prof. Kreß erstellte Gutachten wurde vom ifw direkt beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Da das Gericht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Möglichkeit eingeräumt hat, sich zu der Verfassungsbeschwerde der Diakonie zu äußern, muss auch eine sachkundige säkulare Organisation wie das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) gemäß § 27a BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Das gebieten der Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Parität.

Das ifw wurde im Jahr 2017 von der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) gegründet. Seit seiner Gründung und verstärkt seit den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in der Sache "Egenberger" (Rs. C-14/16) und im "Chefarzt-Fall" (Rs. C-68/17) erhält das ifw zahlreiche Anfragen von Betroffenen, die von ihren Grundrechtsverletzungen durch das kirchliche Arbeitsrecht berichten. Bereits vor der Gründung des ifw unterstützte die gbs Reformansätze des kirchlichen Arbeitsrechts im Sinne des säkularen Rechtsstaates. Insbesondere Frau Ingrid Matthäus-Maier (Beirätin der gbs und des ifw) hat als Sprecherin der Kampagne "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz" (GerDiA) zahlreiche Menschen begleitet, die darüber geklagt haben, dass z.B. die Mitgliedschaft in der Kirche im Bewerbungsgespräch verlangt wird, des Öfteren (vor allem in den Neuen Ländern) verbunden mit einer Fristsetzung derart: "In spätestens 2 Jahren müssen Sie aber beigetreten sein." Wenn sich Menschen jedoch nur taufen lassen, um Zugang zu einem Arbeitsplatz bei den vielerorts marktbeherrschenden Sozialkonzernen Diakonie und Caritas mit ihren 1,3 Millionen Beschäftigten zu erhalten, kann von einer Freiwilligkeit der Kirchenmitgliedschaft keine Rede mehr sein, sondern eher von einer "Zwangskonfessionalisierung" (vgl. Matthäus-Maier, Über die lange Geschichte der Grundrechtsverletzungen durch das kirchliche Arbeitsrecht – Ein Plädoyer für rechtspolitische Reformen, in: Neumann/Czermak/Merkel/Putzke (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Weltanschauungsrecht, Nomos 2019, S. 313-332).

Hinzu kommt, dass die Kirchen lediglich 1,8 Prozent zur Finanzierung von Diakonie und Caritas beitragen. 98,2 Prozent stammen aus staatlichen Mitteln (vgl. Untersuchungen des gbs-Beirats Carsten Frerk, Caritas und Diakonie in Deutschland, Alibri 2005). Nicht nur, aber gerade auch aus diesem Grund, haben sich Diakonie und Caritas an das für "alle geltende Gesetz" (Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV), namentlich die Grundrechte, zu halten.