Staatsleistungen - kein Ende in Sicht 2.0?
Eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter 14 Landesregierungen ergab, dass die Ablösung der Staatsleistungen die Kirchen für die Mehrheit keine Priorität hat. Es sei ein schlechter Zeitpunkt, hieß es nach dem Bericht des epd etwa aus Thüringen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Andere Länder verwiesen auf zentrale Fragen, die noch geklärt werden müssten. Einigkeit besteht unter den Ländern jedenfalls offenbar darin, den über 102 Jahre alten Verfassungsauftrag weiter zurückzustellen. Eine äußerst teure Entscheidung: Epd berichtet, dass dieses Jahr rund 638 Millionen Euro von den Ländern vornehmlich an die evangelische und katholische Kirche bezahlt werden.
Im Mai 2023 verlautbarte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der aktuell den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz inne hat, bei einem Empfang der katholischen Kirche in Hannover: "Die Ministerpräsidenten aller Bundesländer sind sich einig, dass die Leistungen, die wir für die Kirchen verwenden, dort sehr gut aufgehoben sind" und, dass er derzeit wichtigere Themen sehe, mit denen sich die Politik auseinandersetzen müssen. Damit waren die Verhandlungen vorerst gescheitert und eine neue Initiative ist nicht in Sicht.
Weil spielt mit seiner Aussage auf die von Carsten Frerk, dem Leiter der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, längst widerlegte Caritas-Legende an.
Für das Scheitern der Verhandlungen hat ifw-Beirat Johann-Albrecht Haupt kein Verständnis und kommentiert die beispiellose Verweigerungshaltung von Bund und Länder gegenüber dem ifw mit deutlichen Worten: "Wenn die Länder 102 Jahre nach dem Wirksamwerden des Verfassungsauftrags meinen, jetzt erst noch ,zentrale Fragen‘ klären zu müssen, fasst sich der mittlerweile mit zig Milliarden Euro an die Kirchen zur Kasse gebetene Steuerzahler an den Kopf." Er wirft zudem die Frage auf, was die Verantwortlichen in dieser Zeit gemacht haben und konstatiert: "Die immer wieder zum Handeln ermahnten Politiker sollten angesichts des Zeitablaufs schamrot werden, wenn sie immer wieder von einem ,schlechten Zeitpunkt‘ sprechen. Die Länder missachten in dieser Frage die in hehren Sonntagsreden weihevoll gelobte Verfassung permanent, wenn sie die Verwirklichung des in dieser Verfassung explizit enthaltenden Ablösungsgebots weiter ad infinitum auf die lange Bank schieben."
Der Verwaltungsjurist entkräftet auch das immer wieder vorgeschobene Argument, der angeblich zu hohen finanziellen Belastung: "Die Angst der Länder vor einer gewaltigen finanziellen Belastung ist zudem völlig unbegründet. Denn die Verantwortlichen in den Kirchen haben die Gesetze, Verträge und sonstigen Rechtstitel von 1919, die nach dem Wortlaut des Artikels 138 WRV abzulösen sind, bisher nicht einmal konkret benannt oder quantifiziert, sodass niemand weiß um welche Beträge es eigentlich geht. Außerdem ist es nicht etwa unzulässig (wie die Politiker immer wieder behaupten), sondern im Gegenteil geradezu geboten, die in all den Jahren seit 1919 an die Diözesen und Landeskirchen gezahlten Staatsleistungen - über 20 Milliarden Euro - auf eine etwaige Ablösungsentschädigung anzurechnen."
Ähnlich argumentierte schon ifw-Beirat Bodo Pieroth in einem breit rezipierten Interview mit der WELT. Er hält die diskutierten Ablösesummen "nicht nur für viel zu großzügig gegenüber den Kirchen, sondern für geradezu verfassungswidrig."
Abschließend befindet Haupt: "Denn der säkulare Staat, der den Religionsgemeinschaften seit den 1920er Jahren eine äußerst ergiebige Finanzquelle verfassungskräftig zur Verfügung stellt, ist, sieht man von einer anfänglichen Übergangsfrist ab, nicht mehr darüber hinaus für das finanzielle Wohl der Kirchen verantwortlich. Diese Auffassung setzt sich zunehmend selbst in der traditionell kirchenfreundlichen Staatsrechtslehre durch."
In dem Abbruch der Gespräche und der offenbar gewordenen Verweigerung, die Staatsleistungen nunmehr zeitnah abzulösen, sieht Haupt einen "Skandal" und fordert eindringlich eine Neuauflage der Gespräche. Diese sollten jedoch nach Ansicht Haupts "unter Beteiligung der Öffentlichkeit" geführt werden. Damit spielt er auf die abgeschlossenen Geheimberatungen Anfang des Jahres an, die auch das "Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen" (BASTA) bereits scharf kritisiert hatte.