VG Mainz: Diskriminierung der gbs-Hochschulgruppe durch den AStA der Universität Mainz war rechtswidrig
Am 22. September 2021 gab das Verwaltungsgericht Mainz einer Klage der gbs-Hochschulgruppe (HSG) in allen Punkten statt, die sich gegen die jahrelange Benachteiligung der HSG durch den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) an der Universität Mainz richtete (Az.: 3 K 585/20.MZ).
Das Urteil reiht sich ein in eine bereits lange Kette von Entscheidungen, in denen Organe der studentischen Selbstverwaltung an ihre Pflicht zur politischen Neutralität und zur Achtung der Meinungsfreiheit erinnert werden mussten (so schon etwa das BVerwG im Jahr 1979 (Az. 7 C 58/78); ebenso VGH Kassel, NVwZ-RR 2005, 114; OVG Bremen, NVwZ 1999, 211 u.v.m). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Mainz gewährleistet, dass sich die humanistische Hochschulgruppe nun wieder gleichberechtigt auf dem Campus beteiligen kann und bestärkt, dass öffentliche Einrichtungen und insbesondere Universitäten dem Schutz der Meinungsfreiheit verpflichtet sind.
Die Vorgeschichte des Verfahrens
Die Vorgeschichte des Verfahrens und viele der Äußerungen und Attacken des AStA wurden im Humanistischen Pressedienst und in der ifw-Rubrik Rechtsfälle bereits detailliert dargestellt und können wie folgt kurz zusammengefasst werden:
Der AStA ist das exekutive Organ der Studierendenschaft (studentische Selbstverwaltung) und setzt sich aus den Hochschulparteien zusammen, die im Studierendenparlament die Mehrheit bilden.
Anfang 2017 begann der AStA, die gbs-Hochschulgruppe mit allen verfügbaren Mitteln zu benachteiligen und so ihre Möglichkeiten zur politischen Teilnahme auf dem Campus zu erschweren. So wurde die HSG dauerhaft von der Hochschulgruppenmesse ausgeschlossen, auf der sich insbesondere Erstsemester über die verschiedenen Hochschulgruppen informieren können. Auch regelmäßig gewährte Förderungen und die Nutzung der vom AStA verwalteten Plakatwände, auf denen Campus-Veranstaltungen üblicherweise beworben werden können, wurden der HSG verweigert. Ihre Registrierung als Hochschulgruppe wurde ihr entzogen.
Entzündet hatte sich der Streit an dem Vorwurf des AStA, die Giordano-Bruno-Stiftung habe mit der Verleihung ihres Ethikpreises an Peter Singer im Jahre 2011 eine Person ausgezeichnet, die durch behindertenfeindliche Ansichten und Äußerungen auffalle. Versuche der Hochschulgruppe, eine zwar kritische, aber auch faire Auseinandersetzung mit dem Philosophen herbeizuführen, schlugen mehrfach fehl.
Über die Jahre kamen diverse Begründungen hinzu, um die Benachteiligung zu rechtfertigen. So wurde behauptet, die HSG selbst habe wegen ihrer "Verteidigung" Peter Singers eine behindertenfeindliche Einstellung. Zudem sei Hamed Abdel-Samad, mit dem die Hochschulgruppe eine Veranstaltung durchführte, ein Antisemit und ein islamophober Rassist, der den Islam grundsätzlich in eine extremistische Ecke dränge, pauschale Religionsverunglimpfung betreibe und keine Gelegenheit zur Kritik zuließe.
Der Prozess und das Urteil
In den über 150 Seiten des Schriftwechsels, der Klage und ihren Anlagen, die den gesamten Streit zwischen gbs-HSG und AStA auf politischer, philosophischer und rechtlicher Ebene wiedergaben, war nahezu jedes erdenkliche (Gegen-)Argument enthalten. Demnach verzichteten in der mündlichen Verhandlung das Gericht und die Parteien auf einen ausführlichen Aktenvortrag, woraufhin die Vorsitzende an die Beklagtenseite das Wort richtete und die wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkte präsentierte. Während dieselben rechtlichen Hinweise und Erklärungsversuche in den Plenardebatten zwischen AStA und HSG noch belächelt und mit Kopfschütteln quittiert wurden, schienen sie von Seiten des Gerichts mehr Eindruck hinterlassen zu haben. So gab es von der Beklagten kaum noch Gegenrede und die Diskussion vor Gericht fiel eher kurz aus, auch wenn der Vertreter des AStA (Linke Liste) sich weiter uneinsichtig zeigte und wiederholt betonte, dass der AStA die HSG gerne weiter ausschließen dürfen würde.
Die konkreten Äußerungen des AStA spielten in der folgenden Verhandlung kaum eine Rolle. Das Gericht begnügte sich hierzu schon mit der Feststellung, dass hinreichende Beweise für Intoleranz nicht erbracht wurden. An einer Facebook-Stellungnahme der HSG, in der eine differenzierte Auseinandersetzung und Distanzierung in Bezug auf Peter Singer und ein Bekenntnis zur offenen Debattenkultur enthalten waren, sei nichts auszusetzen.
Ausschlaggebend war vor allem die Frage, inwieweit die vom AStA vorgebrachten Vorwürfe überhaupt eine Rolle hätten spielen dürfen.
Im Rahmen seiner Kompetenzen ist der AStA mit Hoheitsrechten ausgestattet; er verwaltet einen großen Teil der Semesterbeiträge, die alle eingeschriebenen Studierenden zu zahlen haben und hat konkrete, im Hochschulgesetz festgelegte Aufgaben. Wie für alle Verwaltungsbehörden gilt insofern eine strikte Pflicht zur weltanschaulichen und politischen Neutralität - so die ständige Rechtsprechung, auf die vom Verwaltungsgericht verwiesen wurde.
Ein AStA muss also alle Studierenden vertreten und insbesondere Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und Chancengleichheit im hochschulinternen Diskussionsprozess achten. Zu den Aufgaben des AStA gehört es nach dem Hochschulgesetz auch, "die Meinungsbildung in der Gruppe der Studierenden zu ermöglichen" und "auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung die politische Bildung, das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft ihrer Mitglieder zur aktiven Toleranz sowie zum Eintreten für die Grund- und Menschenrechte zu fördern".
Erstaunlicherweise hatte sich der AStA hingegen selbst auf die Grenzen des hochpolitischen Mandats berufen und argumentiert, er dürfe mit einer Hochschulgruppe der gbs überhaupt nicht kooperieren, weil der evolutionäre Humanismus der Giordano-Bruno-Stiftung eine Weltanschauung sei; Weltanschauungen seien jedoch Religionen gleichzusetzen und die Förderung von Religionen gehöre nicht zum Aufgabenbereich des AStA. Am Rande sei angemerkt, dass dies den AStA jedoch nicht davon abhielt, z.B. mit der Muslimischen Hochschulgruppe weiterhin zusammenzuarbeiten.
Gleichzeitig sah sich der AStA veranlasst, öffentlich die gesetzliche Verankerung eines allgemeinpolitischen Mandats zu fordern. Dies würde praktisch bedeuten, dass die Semesterbeiträge der Studierenden ohne Einschränkung für den persönlichen politischen Aktivismus des AStA zu Verfügung stünden. Nach der hierfür gelieferten Begründung des AStA war dieser sich offenbar bewusst, dass die Vertretung aller Studierenden nach aktueller Rechtslage keinen allgemeinpolitischen Aktivismus zulässt. Eine entsprechende Zurückhaltung in Bezug auf Peter Singer und Hamed Abdel-Samad ließ er freilich vermissen.
Hierzu stellte das Verwaltungsgericht fest: Die Studierenden können sich auf Meinungsfreiheit berufen, die Organe der studentischen Verwaltung hingegen nicht. Den Studierenden steht auf Grund ihrer zwangsweisen Mitgliedschaft gegenüber der Studierendenschaft ein Abwehranspruch zu, nicht zu deren gesetzlichen Aufgaben gehörende Tätigkeiten zu unterlassen.
Das Gericht erinnerte den AStA daran, dass auch die kaschierte Verfolgung einer eigenen Politik unzulässig sei und dementsprechend im Rahmen der Förderung der politischen Bildung auch nicht nur einseitig bestimmte politische Sichtweisen Berücksichtigung finden dürften.
Mit den Worten des Gerichts:
"[Der Beklagten] kommt im Rahmen der ihr gesetzlich nach § 108 Abs. 4 Satz 2 HochSchG a.F. zugeschriebenen Obliegenheit der Förderung der staatsbürgerlichen Bildung der Studierenden eine dienende Rolle zu, in der sie sich – formal und inhaltlich – neutral zu verhalten hat, auch wenn eine Hochschulgruppe aus ihrer Sicht eine Haltung einnimmt, die nicht dem Mehrheitsbild in ihren Reihen oder der allgemeinen Auffassung in der Gesellschaft entspricht. Dieser Meinungsunterschied kann inhaltlich unter den Studierenden diskutiert werden, er darf jedoch nicht dazu führen, dass die Studierendenschaft und ihre Organe eigene politische Vorstellungen und Forderungen formulieren und diese zur Grundlage von beschränkenden Maßnahmen gegenüber einem Teil der Studierendenschaft machen."
[…]
"[…] der AStA verlangt auch im Zusammenhang mit der Zulassung zu Hochschulgruppenmessen von der Klägerin [in unzulässiger Weise] die Einnahme einer bestimmten inhaltlichen Haltung als Voraussetzung für die Teilhabe an der von ihm betriebenen Einrichtung, auf der die Hochschulgruppen ihre Meinungen und Veranstaltungen (insbesondere den Erstsemesterstudierenden gegenüber) vorstellen und präsentieren können […]."
Weiterhin merkten die Richter an, dass seitens des AStA zahlreiche andere Gruppen mit den unterschiedlichsten politischen, religiösen und weltanschaulichen Hintergründen anerkannt worden seien, weshalb die Zurückweisung der HSG auch Zweifel an der Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) aufwerfen würde. Im Übrigen spreche schon nach den tatsächlichen Umständen nichts dafür, dass der Vorhalt gerechtfertigt sei, bei der HSG handele es sich lediglich um eine im universitären Umfeld agierende Weltanschauungsgemeinschaft.
Die Wirkung des Urteils
Die Wirkung des Urteils ist nicht auf den konkreten Fall begrenzt. Es beweist, dass Rechtsschutz verfügbar und wirksam ist, wenn durch öffentliche Einrichtungen die Meinungsfreiheit und die dafür unerlässliche Chancengleichheit nicht gewährleistet wird.
Die Diskussionen zwischen dem AStA und der gbs-Hochschulgruppe hatten aufgezeigt, dass bei vielen Vertretern der studentischen Organe (sicherlich auch über die Universität Mainz hinaus) ein fundamental anderes Verständnis von Meinungsfreiheit besteht. Ein Gedankensystem, wonach sich Personen nicht von Ideen trennen lassen, Meinungsvielfalt als Gefahr angesehen wird, in dem nicht tolerierte Ideen und Denker verdammt werden und diejenigen, die sich nicht ohne jede Differenzierung distanzieren möchten, über "Kontaktschuld" ebenfalls zur persona non grata erklärt werden. Eine Herangehensweise, bei der im politischen Meinungskampf für die "richtige Sache" auch ein Handeln außerhalb der gesetzlichen Regeln als legitim angesehen wird.
Durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz wird die Meinungsfreiheit und Debattenkultur in den Universitäten gestärkt und der Hochschulgruppe "Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung" sollte es nun auch wieder möglich sein, sich mit gleichen Chancen für eine offenere Gesellschaft und mehr Toleranz einzubringen.
Marcus Licht