Warum eine Muslima Kirchensteuer zahlt: Der Fall Herr und Frau X gegen das Evang.-Luth. Kirchensteueramt

Sachverhalt

Das besondere Kirchgeld ist eine spezielle Kirchensteuer für Kirchenmitglieder, deren Ehepartner keiner Kirche angehört ("glaubensverschiedene Ehe"). Muss das Kirchenmitglied mangels eigenen Einkommens selbst keine Kirchensteuer zahlen (sog. Hausfrauenehe), hat aufgrund seines gut verdienenden konfessionsfreien Partners aber doch einen höheren Lebensstandard und somit persönlich eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als ohne die Ehe, besteuert die Kirche mit dem besonderen Kirchgeld den sogenannten "Lebensführungsaufwand" des einkommenslosen kirchenangehörigen Ehegatten. Grundlage für die Berechnung dieses Lebensführungsaufwandes ist das "gemeinsam zu versteuernde Einkommen" des Ehepaares. Damit zahlt mittelbar auch das Nichtkirchenmitglied Kirchensteuer.

Vorliegend hat der Kläger und Ehemann als Kirchenmitglied eine eigenes Einkommen, welches weit über dem Durchschnittseinkommen liegt. Eigentlich müsste der Ehemann deshalb nur die Kircheneinkommensteuer zahlen. Dennoch wird auch das besondere Kirchgeld (bKG) bei ihm berechnet. Die Kirche nimmt eine Vergleichsberechnung vor und der höhere Betrag wird festgesetzt. Das bKG ist in der Regel dann höher als die Kircheneinkommensteuer, wenn das Einkommen des nichtkirchlichen Ehepartners höher ist als das 1,5 fache des Einkommens des kirchlichen Ehepartners. Damit wird hier das Einkommen der muslimischen Ehefrau, welche kein Kirchenmitglied ist, als erfolgreiche Unternehmerin aber deutlich mehr verdient als ihr Ehemann, entscheidend für die Kirchensteuer. 

Verfahrensstand (abgeschlossen)

Herr und Frau X reichen im März 2017, vertreten durch das ifw-Beiratsmitglied Eberhard Reinecke, Klage gegen den Bescheid des Evangelisch-Lutherischen Kirchensteueramtes über das besondere Kirchgeld für den Veranlagungszeitraum 2014 ein. Ziel dieses Verfahrens ist es insbesondere, festzustellen, dass die Klägerin durch die Heranziehung ihres Ehemannes zum besonderen Kirchgeld in ihrer Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 EMRK verletzt und in verbotener Weise i.S.d. Art. 14 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK diskriminiert wird. Das bKG zielt eindeutig darauf ab, Kirchensteuer indirekt von Nicht-Kirchenmitgliedern zu erheben. Im Ergebnis hängt durch die Art und Weise der Berechnung des bKG die Kirchensteuer aufgrund der Kirchgeld-Tabelle (Bemessungsgrundlage ist das gemeinsam zu versteuernde Einkommen) auch weiterhin von dem Einkommen des nicht der Kirche angehörenden Ehegatten ab (Halbteilungsgrundsatz). Die Ausgestaltung des bKG stellt mithin eine Umgehung des aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 EMRK fließenden Verbots der Erhebung von Kirchensteuern von Nichtmitgliedern dar. Verletzt wird sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Weltanschauungsgemeinschaft der Klägerin (Art. 137 Abs. 3 WRV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 140 GG) als auch ihre Religionsfreiheit als Mitglied der muslimischen Gemeinschaft. 

Überdies stellt sich die Heranziehung zum besonderen Kirchgeld aber auch deshalb als rechtswidrig dar, weil sie unter Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zustande gekommen ist und die unzulässige Datenverwendung ein Verwertungsverbot hinsichtlich der gewonnenen Tatsachenkenntnisse nach sich zieht.

Der Kläger wird durch die streitgegenständlichen Bescheide in seinen Rechten, insbesondere in Art. 2 Abs. 1 GG, verletzt, weil die Beklagte ohne gültige Rechtsgrundlage und entgegen der Rechtslage ein besonderes Kirchgeld gegen den Kläger festgesetzt hat, welches im vierstelligen Bereich höher ist als die eigentlich festzusetzende Kircheneinkommensteuer. Die Beklagte hat gegen den Kläger trotz dessen eigenen Einkommens ein besonderes Kirchgeld festgesetzt. Die Beklagte begründet dies letztlich allein mit der sog. Vergleichsberechnung, wonach der höhere Betrag aus KiESt auf das eigene Einkommen und bKG auf das Einkommen beider Ehegatten festzusetzen sei.

Im Frühjahr 2018 weist das Finanzgericht die Klage ab. Das Gericht geht unzutreffend davon aus, dass das Besteuerungsrecht der Beklagten in Bezug auf das besondere Kirchgeld unter Berücksichtigung des den Religionsgemeinschaften zuzubilligenden weiten Gestaltungsspielraums nicht auf einkommenslose Kirchenangehörige beschränkt sei. Ferner befasst sich das Gericht nicht mit der Rechtmäßigkeit der Vergleichsberechnung. Hierzu haben die Kläger indes umfassend vorgetragen. Das ist insbesondere deshalb relevant, weil die Vergleichsberechnung der eigentliche Grund für die Heranziehung zum besonderen Kirchgeld ist.

Die Kläger fechten sodann die Nichtzulassung der Revision durch das erstinstanzliche Gericht mit der Beschwerde an, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO). Das Finanzgericht konnte die massiven verfassungsrechtlichen Zweifel an dem Kirchgeldbescheid nicht ausräumen. Überdies stellen die Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter, da dieser mindestens seit dem Jahr 2013 verschiedene Funktionen in der evangelischen Kirche inne habe.

Der Befangenheitsantrag bleibt erfolglos. Zur Begründung führt der Vorsitzende Richter aus, dass er bereits vor der erstmaligen Befassung mit der hiesigen Angelegenheit alle Ämter niedergelegt habe. Im Rahmen der daraufhin beantragten Akteneinsicht stellt RA Reinecke fest, dass in der ihm überlassenen Gerichtsakte, die an dieser Stelle durchpaginiert war, Blatt 180 - 182 fehlten. Zudem ergeben sich Zweifel an den Ausführungen des Vorsitzenden Richters zu seiner erstmaligen Befassung mit der Sache. Die Akteneinsicht dürfte insofern nicht vollständig gewesen sein. Nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan bestimmt der Vorsitzende Berichterstatter und Mitberichterstatter. Ausweislich einer Mitteilung wird auch die Fristverlängerung in vorliegender Sache durch den Vorsitzenden bewilligt. In der Akte befindet sich allerdings kein Hinweis darauf, auf wessen Auftrag die eingegangene Beschwerdebegründung und der eingegangene Befangenheitsantrag an die Beklagte weitergeleitet wurden. Zu erkennen ist nur, dass dieses "auftragsgemäß" erfolgt, d. h., dass es eine richterliche Verfügung dazu gibt. Weder zu diesem Zeitpunkt, noch zum Zeitpunkt des Einganges der Stellungnahme der Beklagten (u. a. auch zum Befangenheitsantrag), ist die weitere Sachbearbeitung erkennbar oder erkennbar, wen der Vorsitzende als Berichterstatter berufen hat. Es ist davon auszugehen, dass dies regelmäßig spätestens mit Eingang der Beschwerdebegründung erfolgt. Es ist daher ungeklärt, ob die Angaben des Vorsitzenden in seiner dienstlichen Äußerung zur erstmaligen Kenntnis vom Befangenheitsantrag zutreffend sind. Nur durch Aktenergänzung kann überprüft werden, ob der Vorsitzende Richter sich gemäß § 51 FGO i. V. m. § 47 Abs. 1 ZPO einer Tätigkeit in der Sache enthalten hat. Die ergänzende Akteneinsicht wurde indes nicht gewährt. Zur Begründung führte der BFH aus, dass die in der Gerichtsakte fehlenden Seiten, Blatt 180 - 182, nicht existieren. 

Darüber hinaus hat der BFH die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Begründet wurde dies mit dem "geringen Einkommen" des Herrn X. Für dieses würde, so der BFH, keine Kirchensteuer anfallen, weshalb die Erhebung des besonderen Kirchgeldes als gerechtfertigt erschiene. Da Herr X ein Jahreseinkommen von über 80.000 Euro erzielte und hierfür Kirchensteuer hätte entrichten müssen, ist die Entscheidung u. E. jedoch unzutreffend. Dementsprechend ist eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht worden. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hat am 6. Oktober 2021 jedoch beschlossen, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen.

Mithin wird das ifw nunmehr seine Anstrengungen auf den rechtspolitischen Raum konzentrieren. Überdies hat die evangelische Landeskirche Bayern das besondere Kirchgeld bereits abgeschafft. Dieser Strategie sollten sich die anderen 19 Landeskirchen und die betroffenen katholischen Bistümer anschließen.