Was hat die Kirche gelernt?
Vor ungefähr drei Wochen endete der sogenannte "Hebammenfall". Ein katholisches Krankenhaus der Caritas, das auch nichtkatholische und ungläubige Mitarbeiter beschäftigt, hatte einer Hebamme gekündigt, weil sie aus der Kirche ausgetreten war. Die Hebamme fühlte sich begreiflicherweise diskriminiert. Sie klagte, das Landesarbeitsgericht Hamm wies ihre Klage ab, die Hebamme ging in die Revision. Das Bundesarbeitsgericht, eingeklemmt zwischen dem Bundesverfassungsgericht, das die Sonderrechte der Kirche wie Kronjuwelen hütet, und dem eher laizistischen europäischen Antidiskriminierungsrecht, legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor (C-630/22).
Aus dem Verlauf der mündlichen Verhandlung am 5. September 2022 erschloss sich, dass die Europa-Richter massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kündigung hegten. Obwohl die Caritas sich vom kirchenfreundlichen Lager der arbeitsrechtlichen Community zum Durchhalten ermuntert fühlen durfte (vgl. Spelge, ZAT 2023,11 und Thüsing, EiR, 6. Juli 2022), kam sie kurz vor Weihnachten der sich abzeichnenden Niederlage in Luxemburg zuvor, streckte die juristischen Waffen und erkannte die Unwirksamkeit der Kündigung an. Damit war der EuGH aus dem Spiel. Mit Anerkenntnis-Urteil 14. Dezember 2023 (2 AZR 130/21) stellte das BAG die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Die Hebamme darf bleiben. Das ist schön.
Aber: Hat die Kirche etwas gelernt? Und wenn ja, was?
Die Caritas zog mit dem Argument in den Streit, sie könne als katholische Einrichtung selbst entscheiden, wann sie wen gleichbehandle und wann wen nicht. Das gehe die Gerichte nichts an. Das Gegenargument des Europarechts ist denkbar einfach und seit Langem bekannt: Wenn die Kirchenmitgliedschaft für die Arbeit nicht nötig ist, kann sie auch keine Kündigung rechtfertigen. Kirchensteuerzahlerinnen sind als solche offenkundig keine besseren Hebammen als Nichtkirchensteuerzahlende. Es gibt keine katholische Geburtshilfe. Wie es ja auch keine evangelischen Parkverbote oder muslimische Tempolimits gibt.
Hat die Caritas diese Logik akzeptiert? Ist mit dem Anerkenntnis insoweit alles in Ordnung? Leider nein. Es kann jederzeit ein neuer Hebammenfall auftauchen. Die Kirche hat sich durch das Anerkenntnis nur für den konkreten Fall gebunden. Sie könnte ihre bisherigen Ansichten bei einem neuen Fall erneut auftischen und, wenn es ihr gefällt, bis zum ihr bisher zugeneigten Bundesverfassungsgericht durchfechten. Der Rückzieher im Hebammenfall wäre dann nichts weiter als ein Ausdruck opportunistischer Prozess-Schläue.
Möglich ist allerdings auch, dass die Caritas sich entschlossen hat, ausgetretene Kirchenmitglieder künftig nicht mehr schlechter zu behandeln als andere. Das wäre ein anerkennenswerter Sinneswandel.
Es gibt noch eine dritte Option, die für alle Katholiken eigentlich die beste wäre: Wenn nämlich der Rückzieher im Hebammenfall – jenseits aller rechtlichen Erwägungen – der Anfang einer Besinnung der kirchlichen Arbeitgeber auf das religiöse Fundament ist, dem allein sie ihre Sonderrolle verdanken. Und dieses religiöse Fundament bezieht seine Kraft und Stärke nicht aus teuer erkaufter Rechtsmacht und juristischer Schläue, sondern aus dem Bekenntnis zu den christlichen Kardinaltugenden, deren wichtigste auf Lateinisch "caritas" heißt: Liebe. Ob sich die Caritas daran erinnert hat? Jedenfalls ist nicht überliefert, dass Jesus Christus versucht hätte, zweifelnde Apostel wie Petrus oder Thomas durch Gerichtsprozesse oder Strafandrohungen zur Räson zu bringen.