Zusammenfassung des Beitrags von Lothar Jaeger: „Sexueller Missbrauch durch katholische Kleriker – Anerkennung und Entschädigung“

Lothar Jaeger, Vorsitzender Richter am OLG Köln a. D. und Mitautor des Standardwerkes "Schmerzensgeld", stellt in seinem aktuellen Aufsatz (VersR 18/ 2022, 1129–1142) heraus, dass "Opfer von sexuellem Missbrauch und von körperlichen Misshandlungen", die Kleriker "im Rahmen ihrer kirchlichen Tätigkeit verübt haben" zu entschädigen sind. Jaeger verweist darauf, dass sich bislang vor allem Gerecke/Roßmüller sowie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags umfassend mit der Frage der Haftung der Katholischen Kirche nach Amtshaftungsgrundsätzen begründet auseinandergesetzt haben.

Ausführlich und gleichwohl mit der Routine eines Praktikers sowie einem geschulten dogmatischen Blick schließt sich Jaeger mit überzeugender und ausführlicher Begründung der Ansicht von Gerecke/Roßmüller an, wonach auf Basis der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die "Katholische Kirche aus § 839 BGB, Art. 34 GG (analog) für die von den Klerikern begangenen Straftaten" für Schadensersatz und Schmerzensgeld haftet (Amtshaftungsanspruch). Mit Betonung hält der Autor etwa fest, das den juristischen Laien irritieren kann, dass es nämlich nach dem Amtshaftungsrecht keinen direkten Schadensersatzanspruch der Missbrauchsopfer gegen den klerikalen Sexualstraftäter selbst gibt; vielmehr wird die Schuld von Gesetzes wegen auf die Diözese übergeleitet, der Täter kann von ihr nur in Regress genommen werden. Vor dem Hintergrund dieser klaren Rechtslage ist es auch nachvollziehbar, dass Jaeger schwere Vorwürfe gegen die Katholische Kirche erhebt, weil sie ihre eigene Schuldnerstellung gegenüber den Missbrauchsopfern nicht offenlegt: "Durch die [Anerkennungs-]VO und durch die Behauptung der Freiwilligkeit der Leistung werden die Ansprüche der Missbrauchsopfer verschleiert."

Der Autor hebt im Weiteren hervor, dass die Kirche bislang den vollen Schadensersatz, der dem Prinzip der Totalreparation folgt, verweigert. Zudem kritisiert er die Praxis der Bestimmung der Höhe von Anerkennungsleistungen der Kirche. Diese Leistungen sind, wie Jaeger zu Recht sinngemäß festhält, deutlich zu gering und die Verfahren zur Entschädigung zu intransparent. Jaeger fordert auch von staatlichen Gerichten, und das ist ein weiterer wichtiger Punkt, eine deutliche Anhebung des Schmerzensgelds, damit die Missbrauchsopfer im Vergleich zu anderen Schmerzensgeldempfängern angemessen behandelt werden. Exemplarisch stellt Jaeger anhand dreier tatsächlicher Schicksale dar, dass die ihnen geleisteten Zahlungen in Höhe von 8.000, 20.000 und 35.000 € nicht halbwegs kompensieren können, was die Taten ihnen an Jahren von Lebensglück genommen haben. Er meint, der klerikale Missbrauch "rechtfertigt ein besonders hohes Schmerzensgeld, das mindestens im höheren bis oberen fünfstelligen, gegebenenfalls im sechsstelligen Bereich liegen sollte." In dem Zusammenhang weist er auch auf ein gegen das Erzbistum anhängige Verfahren hin, in dem das Missbrauchsopfer 805.000 Euro einklagt.

Ebenso wie unser ifw-Direktor Jörg Scheinfeld, hält es Jaeger für angemessen, dass die Bistümer generelle auf die Einrede der Verjährung verzichten und ihre Haftung anerkennen.

Nach umfassenden Ausführungen zur komplexen Schmerzensgeldberechnung und dem bislang in der Öffentlichkeit unterbeleuchteten Anspruch auf (erhebliche!) Entschädigung durch die erlittene Verletzung der Menschenwürde, geht der Autor zuletzt auf die mögliche Verjährung der Rechtsansprüche ein und stimmt auch insoweit den Erwägungen von Gerecke/Roßmüller zu. Es liege für viele Fälle nahe, dass eine etwaige Erhebung der Verjährungseinrede als treuwidrig anzusehen sein würde, da die Kleriker zum Teil in perfider Weise, Jaeger beschreibt z.B. ein Schweigeverlangen, Androhung von "Höllenqualen" usw., eine Offenbarung der Opfer und damit auch die Geltendmachung von Ansprüchen verhinderten. Jedenfalls in solchen Fällen von "sakralen Drohungen" hält Jaeger das Berufen auf die Verjährung für treuwidrig.

Ein Beitrag, den alle mit derartigen Sachverhalten befassten Jurist:innen kennen sollten.