Rechtsschutz

I. Rechtsstaatliche Grundlagen

Der Rechtsstaat zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass er alle seine Beziehungen zum Bürger rechtsverbindlich regelt. Er muss alle seine Handlungen auf gültige Rechtsvorschriften zurückfuhren, also sich dafür rechtfertigen können. Da ein großer Teil der Bürger moralische Regeln auch heute noch auf Religion zurückführt und das Recht zu seiner inneren Legitimation möglichst allgemein anerkannte ethische Mindestforderungen erfüllen soll, besteht ein enger Zusammenhang zwischen Recht und Moral und damit auch teilweise Religion. Der moderne pluralistische Rechtsstaat will möglichst alle Bürger unabhängig von ihren religiös-weltanschaulichen Überzeugungen integrieren. Die nähere Begründung dafür liefert die Liberale Rechts- und Staatstheorie, die nach der hier vertretenen Auffassung genau die des GG ist. Unser Rechtsstaat definiert sich nicht mehr religiös, wie sich klar aus dem GG ergibt. Ein wesentliches Kriterium des Rechtsstaats ist daher eine strenge Trennung von rechtlichen und "nur" moralischen (ethischen) Vorschriften. Rechtsregeln müssen allgemein, d.h. unabhängig von unterschiedlichen persönlichen Moralvorstellungen, rechtfertigungsfähig sein.

II. Generelle Rechtsschutzmöglichkeit

1. Selbst die besten Rechtsvorschriften helfen ohne die Erzwingbarkeit ihrer Einhaltung wenig. Damit stellt sich die Frage des Rechtsschutzes der Bürger und sonstigen Träger von Rechten. Generell sind die Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber dem Staat in Deutschland besonders stark ausgeprägt. Das ist in Art. 19 IV GG begründet. Dessen Abs. 1 lautet: "Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen." Diese Vorschrift ist ein formelles Hauptgrundrecht, auf das sich generell jeder Grundrechtsträger bis zum Bundesverfassungsgericht berufen kann. Es bezieht sich auf Rechte gegenüber der gesamten "öffentlichen Hand" (Bund, Länder, Gemeinden, Landkreise, öffentlich-rechtliche Institutionen wie z.B. Universitäten). Die erfolgreiche Beschreitung des Rechtswegs ist aber nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

2. Wichtig für den Rechtsschutz ist die vielen Bürgern nicht geläufige Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Recht. Rechte, die einer natürlichen oder Juristischen Person unmittelbar ("persönlich") zustehen, sind subjektive Rechte, z. B. das Recht des Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises oder das Recht auf Erhalt des Arbeitslohns, wenn die jeweiligen Voraussetzungen dafür vorliegen. Solche Rechte sind auch die gegen den Staat gerichteten Grundrechte, soweit jemand Träger speziell des fraglichen Grundrechts ist. Auch religiöse Vereinigungen können als solche ggf. ein religiöses Grundrecht geltend machen.

3. In der Öffentlichkeit zu wenig bekannt ist die Existenz von (nur) objektivem Recht. Speziell im Öffentlichen Recht gibt es nicht nur persönliche (und daher einklagbare) Rechtsansprüche von Bürgern und entsprechende Verpflichtungen der öffentlichen Hand. Vielmehr stehen häufig allgemeine Verhaltensregeln im Vordergrund, die der Gesetzgeber den öffentlichen Organen auferlegt, ohne dabei gleichzeitig dem Bürger einen persönlichen (von ihm erzwingbaren) Anspruch auf Einhaltung zu geben (objektives Recht). So schreiben z.B. Gesetze vor, dass der jeweilige Träger der Straßenbaulast nach seiner Leistungsfähigkeit und den Erfordernissen öffentliche Straßen ordnungsgemäß bauen und unterhalten muss. Das ist eine, wenn auch stark auslegungsbedürftige, rechtliche Verpflichtung. Möglicherweise können übergeordnete staatliche Organe im Fall der Missachtung teilweise Maßnahmen dagegen treffen (Straßenaufsicht), aber der die Straße nutzende Bürger kann mangels Einräumung eines subjektiven Rechts rechtlich nichts dagegen unternehmen. Er kann lediglich, wenn er wegen fehlender Warnschilder und Straßenmängeln einen Schaden erleidet, ggf. Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durchsetzen oder kommunalpolitisch tätig werden.

III. Objektives Recht und Religion

1. Die sogenannte objektive Funktion der Grundrechte besagt: Grundrechte gewährleisten nicht nur subjektives erzwingbares Recht, sondern wirken durch ihre Grundgedanken mittelbar lenkend auf die Auslegung und Anwendung des gesamten Rechts ein. Diese Funktion verlangt insbesondere vom Gesetzgeber und vom öffentlichen Dienst besondere Verfassungstreue. Zumindest im Bereich Religion scheinen viele, wenn nicht gar die Mehrheit der Entscheidungsträger bei der Einhaltung des Neutralitätsgebots überfordert zu sein, sei es aus Unkenntnis und fehlendem Problembewusstsein, sei es aus vermeintlicher oder wirklicher Opportunität oder gegenteiliger persönlicher Überzeugung.

2. Die Unterscheidung zwischen subjektivem und lediglich objektivem Recht macht sich stark zu Gunsten speziell der großen Kirchen und zu Lasten aller anderen religiösen bzw. weltanschaulichen Vereinigungen und mittelbar deren Anhänger bemerkbar. Denn die Kirchen werden auf vielen Ebenen einseitig, d.h. unter Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, begünstigt, ohne dass das verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre. Auf das riesige Ausmaß der den Kirchen und Religionsgemeinschaften eingeräumten einfachgesetzlichen und praktischen Vergünstigungen, insbesondere milliardenschweren Subventionen selbst für rein innerkirchliche Belange, kann hier nur unter Hinweis auf einschlägige Stichworte verwiesen werden.

Die Unterscheidung von subjektivem und objektivem Recht bedeutet hier, dass sich der Bürger - selbst bei offensichtlicher Verfassungswidrigkeit - juristisch nicht dagegen wehren kann. Dabei werden es etwa nichtreligiöse Humanisten oder Muslime nicht einsehen wollen, dass die theoretisch zur Einhaltung des GG verpflichteten öffentlichen Organe auch mit ihren Steuergeldern selbst bei besonders knappen Kassen zum größten Teil die Kirchentage finanzieren, die Gehälter von Bischöfen und anderen Geistlichen z. T. in vollem Umfang zahlen, ja sogar christliche Auslandsmission finanziell unterstützen. Schließlich müssen die Andersdenkenden (deren Belange im Bildungswesen und in Funk und Fernsehen aber kaum berücksichtigt werden) sogar die selbst von Rechnungshöfen kritisierte Überfülle von Theologieprofessuren und vieles andere mit ihren Steuergeldern mitfinanzieren. Man mag Vieles für skandalös und rechtsbrüchig halten: Mit rechtlichen Mitteln kann der Bürger regelmäßig nicht dagegen vorgehen. Denn die Gerichte können nur dann eingreifen, wenn jemand unmittelbar in seinen persönlichen Rechten verletzt wird. Bei rechtswidriger Verwendung von Steuermitteln für einseitig-religiöse Zwecke ist das genau so wenig der Fall wie beim Einsatz für militärische Zwecke, die der Steuerzahler nicht billigt. Man kann auch nicht rechtlich gegen die staatliche Verunglimpfung religiöser Minderheiten vorgehen: das kann nur die jeweilige Religionsgemeinschaft selbst. Es bleiben Aufklärungsarbeit und Petitionsrecht.

IV. Geltendmachung subjektiver Rechte und Religion

1. In vielen Bereichen des Komplexes Religion können Bürger subjektive Rechte geltend machen, etwa im Schulrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht. Aber auch Religionsgemeinschaften selbst haben vielfältige Rechte, deren Durchsetzung gegenüber dem Staat sie ggf. erzwingen können. Prinzipiell ist jede den Bürger unmittelbar benachteiligende abschließende Regelung rechtfertigungspflichtig und letztlich gerichtlich überprüfbar. Wer meint, durch einen staatlichen Eingriff (konkret benachteiligende Maßnahme) in seinen Rechten verletzt zu sein, wird häufig einen förmlichen schriftlichen Bescheid erhalten haben (Beispiel: Antragsablehnung). Er muss dann fristgerecht genau entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung vorgehen und "Widerspruch" bzw. "Einspruch" (manchmal auch gleich Klage bei Gericht) erheben. Es kommt dabei nicht auf den Gebrauch bestimmter Begriffe an, sondern auf eine (auch kurze) klare Beschreibung, wogegen genau man vorgeht (Datum, Betreff, Aktenzeichen) und was man erreichen will. Eine Begründung kann nachträglich vorgelegt werden. In der Regel wird die nächsthöhere Behörde über den Rechtsbehelf entscheiden, und anschließend ist der Rechtsweg zu den Gerichten gegeben.

2. In öffentlich-rechtlichen Religionsangelegenheiten sind i.d.R. nach Vorschaltung eines verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahrens die Verwaltungsgerichte zuständig, die den Sachverhalt (anders als die Zivilgerichte) von Amts wegen erforschen müssen. Allerdings sind auch dort religionsrechtliche Verfahren trotz einer insgesamt riesigen verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung alles andere als Routine. Man kann damit rechnen, dass die Richter sich i.d.R. völlig neu einarbeiten müssen. Da die sehr umfangreiche religionsrechtliche Literatur durch kirchlich gebundene oder kirchennahe bzw. insoweit "konservative" Autoren beherrscht wird und auch die Rechtsprechung speziell auf diesem Gebiet überwiegend recht kirchenfreundlich ist, haben es religiös-weltanschauliche Minderheiten schwer, ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Schon 1971 hat ein Rechtsgelehrter den Sachverhalt treffend auf den Punkt gebracht: "In wenigen Verfassungsrechtsfragen ist die Scheidelinie zwischen exegetischem Bemühen und schlichter ‚Ideologiejurisprudenz’ so schlecht markiert wie bei der Beurteilung der religiösen und weltanschaulichen Aktivitäten des Staates" (Fr. v. Zezschwitz). Daran hat sich bis heute - aus was für Gründen auch immer - nichts geändert. Je religionsnäher und damit ideologieträchtiger die Streitpunkte sind (Kopftuch, Kreuzsymbol), bzw. je stärker die Interessen der großen Kirchen betroffen sind (Arbeitsrecht, Steuerrecht), umso schwerer tun sich erfahrungsgemäß die Gerichte, auch die Interessen sogenannter Minderheiten ernst zu nehmen und juristische Argumente  zu deren Gunsten gleichberechtigt zu suchen (Untersuchungsgrundsatz) und zu würdigen. Häufig wird auch übersehen, dass sich die Verhältnisse von Mehrheit und Minderheit oft sogar verkehrt haben. Zwar spielt die Frage nach der Mehrheit bei subjektiven Rechten grundsätzlich keinerlei Rolle. Denn es ist das Wesen persönlicher Rechte, dass sie sich gegen alle anderen durchsetzen. Von Bedeutung können Zahlenverhältnisse aber sein, wenn das Recht eine Interessenabwägung erfordert. Das ist etwa der Fall, wenn gegenläufige Rechtspositionen verschiedener Grundrechtsträger einen Ausgleich verlangen oder die Verfassung eine Einschränkung zulässt (Kopftuchfall: staatliche Neutralitätspflicht einerseits, Grundrechte von Lehrern, Eltern und Schülern). Ob eine echte Kollision vorliegt, kann u. U. zweifelhaft sein.

3. Verwaltungsverfahren (Ausgangsverfahren und Rechtsbehelfsverfahren) sind dann kostengünstig, wenn man sich selbst vertritt. Man kann dabei auch fremde nichtanwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen, etwa bei Vorsprachen und dem Verfassen von Schriftsätzen. Nach Durchführung eines Widerspruchverfahrens (dessen abschließende zeitnahe Entscheidung durch eine Untätigkeitsklage beim zuständigen Gericht erzwungen werden kann) lassen sich Chancen und Risiken eines Prozesses oft viel besser einschätzen. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts wird sich häufig auch dann empfehlen, wenn (etwa in der ersten verwaltungsgerichtlichen Instanz) kein Anwaltszwang besteht. Ein Problem ist meist die Wahl eines geeigneten Anwalts mit Erfahrung im speziellen Bereich (Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht), bei dem man auch sicher sein kann, dass er persönlich hinter dem Prozessanliegen steht. Eine erste intensive Beratung, die nicht mit einem Mandat enden muss, kann die Entscheidung über Für und Wider eines Gerichtsverfahrens, über Chancen und Kostenrisiko erleichtern. In vielen Fällen braucht man einen langen Atem. Wichtige Grundsatzverfahren sind manchmal nur dann sinnvoll, wenn ein Kläger bereit ist, durch alle Instanzen und notfalls bis zum BVerfG zu gehen. Eine wichtige Hilfe kann sich aus dem Kontakt zu einer religiös-weltanschaulichen Vereinigung ergeben. Ggf. kann das ifw Anwälte vermitteln, u. U. (vor allem bei echten Grundsatzfragen) noch darüber hinaus behilflich sein.

4. Man unterscheidet im öffentlichen Recht verschiedene Arten von Gerichtsklagen: Anfechtungsklagen (Ziel: Aufhebung behördlicher Entscheidungen), Verpflichtungsklagen (Verpflichtung von Behörden, eine Entscheidung überhaupt oder eine inhaltlich bestimmte Regelung zu treffen), allgemeine Leistungsklagen (Verurteilung zu sonstigen Handlungen, Duldungen und Unterlassungen), Feststellungsklagen (Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechtsverhältnissen, wenn Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nicht möglich). Hervorzuheben ist die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes (Eilverfahren) in Fällen, in denen wegen der Dauer des Hauptsacheverfahrens schnell eine vorläufige Regelung erforderlich ist. Vielfach haben behördliche Entscheidungen nämlich kraft Gesetzes oder behördlicher Anordnung des Sofortvollzugs auch dann unmittelbare Geltung (können also ggf. mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden), wenn über den endgültigen Bestand der (angefochtenen oder begehrten) Entscheidung noch nicht entschieden ist.

5. Das BVerfG steht außerhalb des gesetzlichen Instanzenzugs (Beispiele: Verwaltungsgericht/Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof/Bundesverwaltungsgericht; Finanzgericht/Bundesfinanzhof). Verfassungsbeschwerde zum BVerfG kann gem. Art. 93 I Nr. 4 a GG jedermann erheben mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Recht verletzt zu sein. Die Einzelheiten dazu regelt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Wichtigste weitere Voraussetzung ist, dass man zuvor den gerichtlichen Instanzenzug vollständig und ordnungsgemäß ausgeschöpft haben muss. Weitere Erläuterungen: http://www.bundesverfassungsgericht.de Der Prozentsatz der erfolgreichen Verfassungsbeschwerden ist gering (ca. gut 2 %). Aber gerade im Religionsverfassungsrecht sind Verfassungsbeschwerdeverfahren sehr wichtig und gelegentlich erfolgreich.

Die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) ist erst nach vollständiger Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs einschließlich BVerfG möglich und wird wegen der Parallelität von Art. 9 EMRK und Art. 4 GG nur selten in Betracht kommen. Das Recht der EU ist zwar von allen Instanzgerichten automatisch zu beachten, es spielt aber im Religionsrecht einschließlich der Rspr. des EuGH (Brüssel) bisher in Deutschland nur eine geringe Rolle. Die Auswirkungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) von 2006 sind ein Kapitel für sich.

>> Europarecht; Grundrechte; Grundrechtsträger, Liberale Rechtstheorie; Recht, Moral und Religion; Neutralität; Öffentliches Recht; Privilegien; Religionsförderung.

Literatur:

  • VwGO Verwaltungsgerichtsordnung, Reihe Beck-Texte im dtv (jeweils aktuelle Textsammlung zum Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht; instruktive einführende Erläuterungen);
  • Model/Creifelds: Staatsbürgertaschenbuch. 33. A. München 2012, 1203 S. (sehr preiswert; unkritisch zum Religionsrecht).

© Gerhard Czermak/ ifw (2017)