Grundrechtsausübung

I. Voraussetzungen
Wer Träger (Inhaber) eines Grundrechts ist, also im Wesentlichen natürliche und ggf. Juristische Personen (s. auch Grundrechtsträger; Sonderprobleme: Bioethik, Embryonenschutz), ist dennoch nicht immer in der Lage, seine Berechtigung selbst wahrzunehmen und vor Gericht einzuklagen. Ein Problem besteht vor allem bei Minderjährigen. Es geht um das geistig-physische und das rechtliche Können, um Fragen des erforderlichen Lebensalters, des Vertretungsrechts, des Prozessrechts und der Kollision von Grundrechten, insbesondere von Kindes- und Elterngrundrecht. Daher ist es auch problematisch, für diese unterschiedlichen Fragen zusammenfassend und missverständlich – jedoch weithin üblich – von Grundrechtsmündigkeit zu sprechen.

II. Schutz der Minderjährigen
Im Allgemeinen ist man sich mit dem BVerfG[1] darin einig, dass Jugendliche mit zunehmendem Alter immer stärker eine geschützte Persönlichkeit (Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG) ausbilden, so dass bei der Grundrechtsausübung altersmäßig zu differenzieren ist. Man muss daher an geistig-physische Eigenschaften anknüpfen. Das GG enthält hierzu keine Regelungen, sondern setzt sie voraus. Beispiel: Dem Kleinkind wird allgemein Würde zugesprochen, es kann sie aber nicht persönlich geltend machen. Volle Grundrechtsausübungsfähigkeit besteht stets mit der Volljährigkeit (Ausnahme: Geschäftsunfähigkeit). Aber auch vorher werden Ausnahmen anerkannt, indem Gesetze die Handlungsfähigkeit (Geschäftsfähigkeit) vorverlagern (z.B. § 106 BGB: beschränkte Geschäftsfähigkeit Minderjähriger; § 1303 II BGB: Ehemündigkeit).[2] Aber auch ohne Gesetze wird im Einzelfall die Grundrechtsausübungsfreiheit vorverlegt.[3] Auch auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit und das Petitionsrecht werden sich Jugendliche selbständig berufen können.

III. Religiöse Kindererziehung
Bezüglich Religion und Weltanschauung sind die Regelungen des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15.7.1921 (RelKErzG) von besonderer Bedeutung. Sie gelten als Bundesrecht fort. Das Gesetz entscheidet Streitigkeiten zwischen den Eltern oder zwischen Eltern und Kind. Es verlangt von den Eltern (Sorgeberechtigten) Einigkeit. Besonders wichtig ist § 5 RelKErzG, wonach Kinder mit Vollendung des 12. Lj. nicht gegen ihren Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden dürfen. Nach Vollendung des 14. Lj. steht dem Kind allein die Entscheidung über sein Bekenntnis zu. Zur speziellen Frage, ob in Bayern und im Saarland bezüglich des Religionsunterrichts Anderes gilt, s. unter Erziehung.

>> Bioethik; Embryonenschutz; Erziehung; Grundrechtsträger; Religionsunterricht.

Literatur:

  • Jarass/Pieroth: GG, 13. A. 2014, zu Art. 19; A. v. Mutius: Grundrechtsmündigkeit, Jura 1987, 272 ff.


[1] BVerfGE 47, 46/74 = NJW 1978, 583, Sexualkunde.
[2] vgl. BVerfGE 59, 360/388.
[3] BVerfGE 47, 46/73 f. (Sexualkunde: Minderjährigkeit bei Verfassungsbeschwerde wurde akzeptiert).

© Gerhard Czermak / ifw (2017)