Erziehung

I. Elternrecht und staatliche Schulerziehung

Die Einwirkung auf Kinder und Jugendliche im Sinn einer bestimmten Religion oder Weltanschauung erfolgt traditionell in erster Linie durch die Eltern. Sie ist ein wichtiger Teilaspekt des Elternrechts, wonach die Erzigggehung insgesamt "zuvörderst" Sache der Eltern ist (Art. 6 II GG). Die Eltern bestimmen, rechtlich gesehen, den Gesamtplan der Erzieggghung, in den die öffentliche Hand (auch Gemeinden, etwa in Kindergärten) nicht ohne verfassungsrechtlichen Grund eingreifen darf. Da dem Staat wegen Art. 7 I GG ein eigenständiger schulischer Erziehungsauftrag zugestanden wird, ergeben sich daraus Konflikte (s. hierzu näher "Schulaufsicht" sowie die dort genannten weiteren Artikel). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die öffentliche Schule auf die r-w Erziehungsvorstellungen der Eltern so weit wie möglich Rücksicht zu nehmen hat. Zwar kann der Staat schon wegen der unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen nicht allen Wünschen gerecht werden. Doch darf er diesen Vorstellungen nicht entgegenarbeiten, soweit das möglich ist. Hieraus ergibt sich das Erfordernis der r- w Neutralität des Unterrichts.

Neutralität ist zwar ein normativ gut fundiertes und striktes Gebot des GG und gilt allgemein als tragender Verfassungsgrundsatz (s. Neutralität). Dennoch gibt es kein Verfassungsgebot, das in der Rechts-, Staats- und Schulpraxis derart massiv auf nahezu allen Ebenen missachtet wird, wie das der r-w Neutralität (s. insb. Privilegien der Kirchen). Andere Erziehungsträger als Eltern und Staat kennt das GG nicht. Wenn Art. 133 I 3 BayVerf auch die "anerkannten Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften" als "Bildungsträger" akzeptiert, so kommt dem schon wegen des Vorrangs des GG (Art. 31 GG) keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. hierzu einerseits den Art. Landesrecht, andererseits Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 137 III WRV/140 GG). Die r-w Gemeinschaften können das elterliche bzw. (schulbezogen-partielle) staatliche Erziehungsrecht in keiner Weise einschränken. So bedarf religiöse Erziehung in einer kirchlichen Einrichtung im Einzelfall stets der elterlichen Zustimmung (Recht der Aufenthaltsbestimmung und des Umgangs), solange die Kinder diese Fragen nicht alleine entscheiden dürfen.

II. Elternrecht und Kindesrecht

Problematisch ist das Verhältnis von Elternrecht und Kindesrecht, da beide Grundrechtsträger sind. Hierzu schreibt Matthias Jestaedt zutreffend: "Die Antworten, die Rechtsprechung und Lehre auf diese Fragen geben, sind eher bunt denn klar...".[1] Jedenfalls können sich Kinder nicht auf ihr Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen, soweit im Konfliktfall das (fremdnützige) Elternrecht reicht. Eine autonome Selbsterziehung ist Kindern ja nicht möglich. Insoweit sind wesentliche Gesichtspunkte nach wie vor geregelt im Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. 7. 1921 (RKEG, auch RelKErzG). Dieses Reichsgesetz gilt nach der für die Rechtspraxis maßgeblichen und heute kaum noch bestrittenen Meinung (s. aber die Sondermeinungen in Bayern und im Saarland, s.u.) als Bundesrecht fort, da es zum bürgerlichen Recht gehört (Art. 74 I Nr. 1 GG). Es gilt übrigens auch noch in Österreich. Problematisch war seinerzeit die christliche Mischehe. Das Gesetz ist säkular angelegt und verwirklicht in noch heute akzeptabler Weise den Gedanken des stufenweisen Hineinwachsens in die (im GG nicht geregelte) Religionsmündigkeit.

Gesellschaftlich und juristisch sowie medizinisch heftig umkämpft ist seit einem Urteil des Landgerichts Köln von 2012 die Frage der Zulässigkeit der Beschneidung von Jungen im Säuglings- und Kindesalter, die auch nach Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes durch den Bundestag Ende 2012 nicht verstummt ist. Auf den gesonderten Artikel hierzu wird verwiesen.

III. Gesetz über die religiöse Kindererziehung

Das RKEG knüpft an das elterliche Personensorgerecht (BGB) an. Nach § 1 RKEG bestimmt über die r-w Erziehung die freie, aber jederzeit widerrufliche Einigung der personensorgeberechtigten Eltern. Verträge über die religiöse Erziehung sind nach § 4 RKEG ungültig. Nichtreligiöse Weltanschauungen sind in Art. 6 ausdrücklich gleichgestellt. Wenn ein Kind nachträglich in einem anderen "Bekenntnis" als bisher erzogen werden oder nicht mehr am Religionsunterricht teilnehmen soll, ist nach § 2 RKEG ebenfalls stets die Zustimmung beider Eltern notwendig. Bei Nichteinigung kann die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden, das u.a. Kinder ab 10 Jahren anhören muss. Die praktisch wichtigste Bestimmung ist § 5. Er lautet: "Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs steht dem Kinde die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Hat das Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden." Demzufolge kann jeder 14-jährige ohne Eltern den bürgerlich (nicht ohne weiteres: innerkirchlich) wirksamen "Austritt" aus der Kirche erklären. Das müsste für die Teilnahme am Religionsunterricht erst recht entsprechend gelten, wird aber zumindest in Bayern nicht anerkannt, s. unten.

IV. Sonderprobleme der Religionsmündigkeit in Bayern und dem Saarland

Die dortigen Sonderregelungen der schon vor dem GG vorhandenen Landesverfassungen (bis 1991 auch Rheinland-Pfalz) weichen hinsichtlich des Religionsunterrichts von der 14-Jahre-Regelung des § 5 RKEG ab und verlangen die Vollendung des 18. Lebensjahres (Art. 137 I BayVerf., Art. 29 II 3 SaarlVerf.). Die Gültigkeit dieser Vorschriften ist umstritten, die Zahl der dabei zu berücksichtigenden ungewöhnlichen Rechtsfragen groß. Das RKEG gilt zwar unstreitig gem. Art. 125 Nr. 1 GG als Bundesrecht fort und die Gültigkeit der dortigen auf 14 Jahre festgesetzten "Religionsmündigkeit" (s. Grundrechtsausübung) ist gesichert. Streitig ist, ob die Sonderregelungen der genannten Landesverfassungen gem. Art. 125 Nr. 2 GG als partielles Bundesrecht fortgelten und den Art. 5 RKEG wirksam abgeändert haben und ob sie nicht durch spätere anderweitige Rechtsänderungen obsolet geworden sind[2]. Eine gerichtliche Klärung ist anscheinend nicht erfolgt. Zumindest in Bayern hält man offiziell die 18-Jahre-Grenze aufrecht (Art. 46 IV 2 EUG), die laut BayVerf sonderbarerweise sogar "kirchliche Handlungen und Feierlichkeiten" betrifft. Über 14 Jahre alten Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen wollen, aber nicht die Zustimmung beider Eltern erhalten, kann man daher für den Notfall raten, gem. Art. 5 RKEG aus der Kirche "auszutreten", da sie dann automatisch nicht am Religionsunterricht teilnehmen.

>> Beschneidung; Elternrecht; Glaubensfreiheit; Grundrechtsausübung; Kirchenaustritt; Landesrecht; Neutralität; Religionsfreiheit; Schulaufsicht; Selbstverwaltungsrecht.

Literatur:

  • Gericke, Cornelia: Elterliches Erziehungsrecht und die Religion des Kindes. Eine Untersuchung der Bedeutung und Auswirkungen der grundrechtlich geschützten religiösen Einstellungen und Weltanschauungen der Eltern im Rahmen der §§ 1666 und 1671 BGB im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M. u.a., 2001, 226 S.
  • Jestaedt, Matthias: Das elterliche Erziehungsrecht im Hinblick auf Religion, HdbStKirchR Bd.2, 2.A. 1995, 371-414 (eine äußerst nützliche und thematisch umfassende Darstellung mit ausf. Darstellung zum RKEG).
  • Langenfeld, Christine: Staatlicher Bildungsauftrag und religiöse Selbstbestimmung, in: Grote, R./Marauhn, T. (Hg.): Religiogggnsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskgggirchenrecht. Berlin u.a. 2001, 311-359.
  • Loschelder, Wolfgang: Grenzen staatlicher Wertevermittlung in der Schule, ZBR 2001,6 ff. Renck, Ludwig: Schule und kirchliches Erziehungsrecht, BayVBl 2006,713-719.
  • Renck, Ludwig: Schule und religiöse Erziehungshilfe, BayVBl 2003,134-139.
  • Renck, Ludwig: Die Rechtsstellung der Bekenntnisgemeinschaften im Schulrecht, BayVBl 1994,39-41 (hierzu sehr kons. Replik von Helmut Lecheler in BayVBl 1994,41-43 und Duplik von Renck, BayVBl 1994,713-716.
  • Richter, Ingo: Verfassungsfragen einer Werteerziehung. Die doppelte Ohnmacht. In: Religion, Ethik, Schule. Bildungspolitische Perspektiven in der pluralen Gesellschaft. Münster u.a. 1998, 39-58.
  • Umbach, Dieter C.: Grundrechts- und Religionsmündigkeit im Spannungsfeld zwischen Kindes- und Eltegggrnrecht, in: Verantwortlichkeit und Freiheit, FS für Willi Geiger zum 80. Geb., Tübingen 1989, 359-377.
  • Vellmer, Anja: Religiöse Kindererziehung und religiöse begründete Konflikte in der Familie, Frankfurt 2010.
 


  • [1] a.a.O. 382
  • [2] für Fortgeltung etwa M. Jestaedt, dagegen z. B. D. C. Umbach, jeweils eingehend, a. a. O.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)