Ämterhoheit

I. Fehlende staatliche Kompetenz
Nach Art. 137 III WRV/140 GG ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes (Selbstverwaltungsrecht, Selbstbestimmungsrecht). Satz 2 bestimmt dann noch eigens: „Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde“. Von unterschiedlichen Graden der Mitwirkung mit unterschiedlichen rechtlichen Auswirkungen ist nicht die Rede. Diese besondere Garantie, heute eigentlich eine Selbstverständlichkeit, erklärt sich aus einer langen Geschichte des kirchlichen Kampfes gegen staatliche Bevormundung. Die Ämterhoheit ist ein Unterfall des Selbstverwaltungsrechts und gehört zu seinem Kernbereich. Sie umfasst geistliche und andere kirchliche Ämter, nämlich ihre Errichtung, rechtliche Ausgestaltung, Ausbildung und Einsatz des Personals. Weil religiöse Fürsorge (sog. cura religionis) im eigentlichen Sinn (Sorge für das Seelenheil) keine Aufgabe des modernen säkularen Staats mehr ist und keine institutionelle Gemeinsamkeit bestehen soll (Art. 137 I WRV, Trennung von Staat und Religion), so kann man sagen: Alles, was religiöse Ämter anbelangt, geht den Staat nichts an. Der Staat hat generell keine religiöse Kompetenz. Staatsämter werden daher gem. Art. 33 III GG unabhängig vom religiösen Bekenntnis vergeben. Umso mehr verbietet sich die Einflussnahme auf innerkirchliche Ämterbesetzung, in welcher Form auch immer.

II. Ausnahmsweise staatliche Mitwirkung?
1. Demgegenüber kann man aber erstaunt feststellen, dass es in der Bundesrepublik noch eine ganze Reihe von Fällen gibt, in denen der Staat trotz des vermeintlich sehr klaren Wortlauts der Bundesverfassung doch auf verschiedene Weise bei der Besetzung kirchlicher Ämter mitwirkt. Die Suche nach einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gestaltet sich schwierig. Allerdings sind zahlreiche Mitwirkungsrechte vertraglich vereinbart. Auch der EGMR untersagt in st. Rspr. alle derartigen Regelungen.

2. Am bekanntesten ist die auch heute noch tatsächlich praktizierte staatliche Mitwirkung bei der Besetzung von katholischen Bischofsstühlen. Teilweise werden – vertragsbedingt – vor der Bischofsernennung die Domkapitel einbezogen (Kapitelwahlrecht), wodurch die Kirche einer gewissen formalen Bindung unterworfen ist, die sogar im Widerspruch zum kirchlichen Gesetzbuch steht (can. 377 § 1 und 5 CIC 1983). Viel diskutiert wird die sog. Politische Klausel, wonach (teilweise auch von evangelischen Landeskirchen) beim Staat angefragt wird, ob gegen den zu Ernennenden politische Bedenken bestehen. Vor Amtsantritt leisten in einzelnen Bundesländern Bischöfe heute noch einen staatlichen Treueid, in Bayern in die Hand des Ministerpräsidenten (statt zur NS-Zeit: des Reichsstatthalters). Die staatliche Mitwirkung bei der Bischofsernennung ist ein Restbestand der Befugnis absoluter Monarchen, die Bischofsernennung zu beeinflussen, wenn nicht zu bestimmen. Sie ist im religionsneutralen Staat ein Fremdkörper. Der Treueid ist überdies historisch Ausdruck monarchiestaatlichen Misstrauens und auch insoweit funktionslos geworden. Ein solcher Ausdruck symbolträchtiger Kooperation, wie er insbesondere in Bayern praktiziert wird, ist nicht nur unpassend, sondern nach richtiger Auffassung GG-widrig.[1] Ein Verstoß gegen den Kernbereich kirchlicher Unabhängigkeit i.S. des Art. 137 III GG kann nicht mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, er geschehe mit Willen der Kirche („volenti non fit iniuria“), denn daraus erwächst keine staatliche Befugnis. Staatsrechtlich sind Bischöfe ganz normale Bürger, ihre Amtspflichten sind rein kirchlich.

3. Ein staatlicher Treueid wurde im Übrigen nach dem 1. Weltkrieg erst wieder im Reichskonkordat von 1933 (Art. 16) eingeführt und entsprach einem Wunsch Hitlers. Bevor die Bischöfe von ihrer Diözese Besitz ergreifen, hatten sie in die Hand des Reichsstatthalters in dem zuständigen Land bzw. des Reichspräsidenten einen Treueid nach folgender Formel zu leisten: „Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, dem Deutschen Reich und dem Lande... Treue. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtmäßigen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte.“ Dahl-Keller hat darauf hingewiesen, dass sich die kath. Kirche seit langem gegen den staatlichen Treueid ausspricht; sie unternimmt aber nichts dagegen.
Heute gibt es den staatlichen Treueid noch in den Ländern Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Er ist vor dem Ministerpräsidenten oder einem hohen Staatsvertreter zu leisten. Der neue Bischof von Paderborn sprach 1923 von gemeinsamer Verantwortung und Unterstützung. Dazu sprach Hendrik Wüst als Ministerpräsident von NRW von vertrauensvollem Miteinander. Wörtlich: "Unsere Gesellschaft braucht eine starke Stimme der Kirchen". Die christlichen Werte böten "Orientierung und Zuversicht". Nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurden die Treueide auf Drängen des Hl. Stuhls weitgehend abgeschafft, ausgenommen Deutschland und Luxemburg. Auch innerhalb der deutschen katholischen Kirche ist der Treueid sehr umstritten. 

III. Vertragsrecht
Vertragsrechtlich sind von beiden christlichen Konfessionen sogar bezüglich der Übertragung einfacher geistlicher Ämter gegenüber dem Staat verschiedene Anstellungsvoraussetzungen zu erfüllen, insbesondere die deutsche Staatsangehörigkeit und grundsätzlich eine mindestens dreijährige deutsche Hochschulausbildung. Ferner gibt es staatliche Mitwirkungsrechte bei der Bestellung von Seelsorgern in der Anstaltsseelsorge. In der Militärseelsorge ist das problematische Zusammenwirken von Staat und Kirche auch im Hinblick auf die Ämterhoheit besonders deutlich. Das Militärseelsorgeamt wird zu den sog. konfessionsgebundenen Staatsämtern gezählt, zu denen auch die Theologieprofessoren gerechnet werden, ferner – besonders bedenklich – bisher immer noch die stark umstrittenen Konkordatslehrstühle. Insoweit haben die bayerischen Bischöfe 2013 darauf verzichtet, von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen.[2] .

Anstaltsseelsorge; cura religionis; Kirchenrecht; Staatsämter; Konkordate; Militärseelsorge; Selbstverwaltungsrecht; Trennungsgebot; Theologische Fakultäten; kirchlicher Treueid; Staatskirchenverträge.
 
 
Literatur:

  • Czermak/Hilgendorf: Religions-und Weltanschauungsrecht, 2. A. 2018, S. 246 f.
  • Dahl-Keller, U.: Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung. Berlin 1994, 231 S.
  • Jasper, Christian: Religiös und politisch gebundene öffentliche Ämter. Anschauungsgebundene Vergabe von Staatsämtern im Spannungsfeld zwischen besonderen Gleichheitssätzen und gegenläufigem Verfassungsrecht. Berlin 2014, 550 S.
  • Renck, Ludwig: Die Bischofsernennung in den Konkordaten, BayVBl 1995, 682-684.
  • Renck, Ludwig: Nochmals: Bekenntnisneutraler Staat und Bischofsernennung, BayVBl 1997, 553 f. (Replik auf Pirson, Dietrich, BayVBl 1996, 641-644 und Müller, Markus H., BayVBl 1996, 644-649).
  • Solte, Ernst-Lüder: Die Ämterhoheit der Kirchen, HdbStKirchR II (1995), 561-572 (trad. Überblick).
 


  • [1] so etwa L. Renck; H.-R. Lipphardt; auch de Wall)
  • [2] Kritisch zu den Konkordatslehrstühlen C. D. Classen, Religionsrecht, 3. A. 2021, S. 289 f.; S. Korioth in: Dürig/Herzog/Scholz, GG (Loseblatt), Art. 136 WRV Rn. 70

© Gerhard Czermak / ifw (2017/2024)