Aufhebung des Nichtanwendungserlasses bzgl. des Erwerbs von Natrium-Pentobarbital gefordert

Ifw-Beirat Ulfrid Neumann fordert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit Schreiben vom 29.07.2023 erneut auf, den Nichtanwendungserlass des Amtsvorgängers Jens Spahn hinsichtlich des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2017 (3 C 19/15) aufzuheben und damit "schwerstleidenden Menschen ihr Schicksal dadurch zu erleichtern, dass ihnen unter den im Urteil des BVerwG festgelegten Voraussetzungen der Zugang zu einem letal wirkenden Medikament ermöglicht wird."

Bereits mit Brief vom 05.02.2022 wendete sich Neumann diesbezüglich an Lauterbach und erläuterte, warum er das Aufrechterhalten des Nichtanwendungserlasses für problematisch hält:

 "Zum einen ist eine Anweisung der Exekutive an die Verwaltung, ein rechtskräftiges Urteil eines obersten Gerichtshofs des Bundes in künftigen Fällen nicht zu befolgen, per se rechtsstaatlich außerordentlich problematisch. Zum andern ist der Hinweis auf die Möglichkeit, sich an Sterbehilfevereine zu wenden (so u.a. das OVG [OVG Münster, Urteil vom 02.02.2022 – 9 A 146/21), angesichts der insoweit ungeklärten Rechtslage fragwürdig. Schließlich dürfte es moralisch unvertretbar sein, Menschen, denen ein qualvoller Sterbeprozess bevorsteht, darauf zu verweisen, dass die Frage voraussichtlich im Kontext der anstehenden Beratungen zu einem Sterbehilfegesetz erörtert werden wird."

Das Bundesgesundheitsministerium beantwortete das Schreiben Neumanns im März 2022 damit, dass im Rahmen der anstehenden Gesetzgebungsvorhaben zur Suizidhilfe auch die Frage der Bereitstellung letal wirkender Medikamente beantwortet werden würde.

Genau jenes Gesetzesvorhaben endete jedoch auf absehbare Zeit im Juli 2023 mit der Ablehnung beider Gesetzesentwürfe durch den Bundestag.

Der Strafrechtler und Rechtsphilosoph nimmt darauf Bezug und erläutert die Notwendigkeit des umgehenden Ministerhandelns:

"Aus meiner Sicht ist es deshalb jetzt an der Zeit, den (demokratietheoretisch von vornherein problematischen) Nichtanwendungserlass, der eine menschliche Hilfe für schwerstleidende Sterbewillige blockiert, definitiv zu suspendieren. Zwar trifft die Argumentation Ihres Hauses zu, dass nach der Aufhebung des § 217 StGB durch das BVerfG die Suizidbeihilfe grundsätzlich wieder straflos ist und deshalb der Sterbewillige grundsätzlich auch medizinische Hilfe zur Realisierung seines Wunsches in Anspruch nehmen kann.

Die soziale Wirklichkeit sieht nach meinen Erfahrungen, die aus vielfältigen Gesprächen mit medizinischen Kollegen resultieren, allerdings anders aus. Viele Ärztinnen und Ärzte weigern sich, diese Hilfe zu leisten – nicht aus moralischen Bedenken heraus (die jedenfalls in extremen Fällen von vornherein verfehlt sein dürften), sondern aus Angst, sich […] einem Strafverfahren auszusetzen."