Beabsichtigte Leihmutterschaft - kein zulässiger Kündigungsgrund
Auch in zweiter Instanz bekam der Domkantor Gerd-Peter Münden im Wege einer Kündigungsschutzklage gegen die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Braunschweig Recht zugesprochen. Nach dem Arbeitsgericht Braunschweig erklärte das Landesarbeitsgericht Hannover die im März 2022 erfolgte Kündigung ebenfalls für unwirksam. Die fristlose Kündigung wurde seinerzeit mit der Absicht Mündens, gemeinsam mit seinem aus Kolumbien stammenden Ehemann dort eine altruistische Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen, begründet.
Hartmut Kreß wies auf den Prozess schon im Jahr 2022 hin und geht im Rahmen eines lesenswerten Lexikoneintrags zur Leihmutterschaft an diesem Beispiel auf die Problematik des kirchlichen Arbeitsrechts wie folgt ein:
"An dem Vorgang wird eine spezifisch deutsche Problematik sichtbar. Die evangelische Kirche kündigte ihrem Arbeitnehmer im Rahmen des kirchlichen Arbeitsrechts, das in wesentlichen Punkten – unter anderem: Durchgriffsmöglichkeit des Arbeitgebers auf private Angelegenheiten – vom allgemein geltenden staatlichen Arbeitsrecht abweicht. Andere europäische Staaten kennen kein derartiges Sonderarbeitsrecht der Kirchen. Nach seiner Entlassung reichte der Kantor im März 2022 bei einem staatlichen Gericht Kündigungsschutzklage ein (Norddeutscher Rundfunk 23.3.2022). In den zurückliegenden Jahren haben deutsche staatliche Arbeitsgerichte ungeachtet der Besonderheiten der kirchlichen Moral wiederholt zugunsten der Beschäftigten, ihrer Selbstbestimmungsrechte und ihres Rechts auf Privatsphäre entschieden. Dies erfolgte auch deswegen, weil der Europäische Gerichtshof in zwei Grundsatzurteilen ("Chefarztfall"; "Fall Egenberger") im Jahr 2018 die Grundrechte von kirchlich Beschäftigten gegenüber den kirchlichen Arbeitgebern gestärkt hat.
Der aus Braunschweig berichtete Fall unterstreicht, dass die Positionen der Kirchen zur Biomedizin, hier konkret zur Leihmutterschaft, der kritischen Analyse bedürfen. Dies gilt erst recht angesichts ihrer Machtstellung als Arbeitgeber. In der Bundesrepublik Deutschland sind die Kirchen aus historischen Gründen nach dem Staat der größte Arbeitgeber; von ihnen werden ca. 1,8 Mio. Menschen beschäftigt. Die kirchlich-religiösen Standpunkte zur Biomedizin und Biomoral sind auf mehreren Ebenen kritisch zu diskutieren: innerreligiös und binnenkirchlich, im Licht ethischer Kriterien, die rational verallgemeinerbar sind, sowie auf der Basis der staatlichen Rechtsordnung und der staatlich garantierten Grundrechte."
Die beiden Urteile reihen sich damit in mehrere jüngere Entscheidungen zugunsten der Beschäftigten und deren Recht auf Selbstbestimmung und Privatsphäre ein und schränken so den Spielraum des besonderen Arbeitsrechts, dass die beiden Kirchen für sich beanspruchen, weiter ein.
Die Leihmutterschaft ist in Deutschland derzeit noch verboten, die Bundesregierung hat allerdings Ende März 2023 eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin eingesetzt, in der u.a. Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft geprüft werden sollen (Arbeitsgruppe 2). Die Arbeitsgruppe 1 soll die Möglichkeiten der Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen.