VG Karlsruhe: Keine sarglose Bestattung für Christen
Nach dem Urteil des VG Karlsruhe vom 19.09.2019 (12 K 7491/18) besteht ein Recht auf Bestattung in Tüchern nur, wenn die Religion des Verstorbenen eine Glaubensregel kennt, die eine sarglose Bestattung gebietet. Eine solche Bestattung sei daher zwar für bestimmte Religionsgemeinschaften (etwa den Islam) erlaubt, das christliche Klägerpaar habe darauf aber keinen Anspruch. Ein Kommentar von Marcus Licht.
Hintergrund
Die Kläger waren ein Ehepaar christlichen Glaubens. Die Ehefrau ist Mitglied der Evangelischen Landeskirche in Baden-Württemberg, der Ehemann Mitglied des "Zentralrats orientalischer Christen in Deutschland e. V".
Die Eheleute baten zunächst die zuständige Behörde, die sarglose Bestattung ihrer Körper in Leintüchern im Voraus zu genehmigen, was unter Verweis auf die gesetzlichen Vorschriften abgelehnt wurde. Zur Begründung wurde angeführt, das Gesetz sehe eine Tuchbestattung eindeutig nicht für Christen vor. Außerdem könne eine solche Entscheidung erst bei Vorliegen eines Todesfalls getroffen werden.
Das Gericht hatte auf Grundlage des § 39 Abs. 1 S.3 des Bestattungsgesetzes Baden-Württemberg zu entscheiden, wonach eine sarglose Bestattung in Tüchern erlaubt ist, sofern die Religionszugehörigkeit des Verstorbenen dies "vorsieht" (und keine gesundheitlichen Gefahren zu befürchten sind). Die Vorschrift musste vom Gericht verfassungskonform ausgelegt werden, besonders im Hinblick auf die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.
Die Bestattung im Christentum
Das Klägerpaar hatte argumentiert, die Erdbestattung im Leintuch sei ein urchristlicher Ritus und leite sich direkt aus der Bibel ab. Auch Jesus sei mit diesem Ritus beerdigt worden. Es bestehe eine enge Verzahnung zwischen Taufe und Bestattung. Als Täufling komme der Mensch nackt auf die Erde und werde nackt in die Erde zurückgelegt. Täufling und Leichnam würden beide lediglich in ein Leintuch gehüllt. Das Verleugnen der engen Beziehung zwischen Taufe und Grablegung zerstöre nicht zuletzt das Fundament des Christentums.
Die Bestattung im Leinentuch sei eine Gemeinsamkeit von Juden, Christen und Muslimen, die der Islam konsequent bewahrt habe, während die Sargbestattung für Christen auf Tradition beruhe. Im Mittelalter sei die sarglose Bestattung demgegenüber noch üblich gewesen und werde außerdem auch in der Gegenwart noch bei christlichen Glaubensgemeinschaften praktiziert, etwa von den Kartäusern und den Trappisten.
Man dürfe koptischen Mitbürgern als erste nachfolgende christliche Gemeinschaft nicht die Erdbestattung in Leinen verweigern, wenn diese sich auf den Bestattungsritus der Vorfahren berufen. Die Amtskirche in Deutschland zwinge jedoch ihre Mitglieder in den Sarg und fördere auf diesem Weg das Trennende.
Entscheidung des Gerichts
Das Gericht gab den Klägern zunächst darin recht, dass ihr Anliegen auch schon vor dem Todesfall zu beantworten sei. Es könne ihnen nicht zugemutet werden, im Ungewissen darüber zu bleiben, ob ihr Bestattungswunsch aus Rechtsgründen scheitern würde oder nicht.
In der Sache entschied das Gericht jedoch gegen die Kläger. § 39 Abs. 1 S. 3 BestattG sei so auszulegen, dass die Religionszugehörigkeit nur dann eine sarglose Bestattung "vorsieht", wenn die Religionsgemeinschaft des Verstorbenen eine Glaubensregel kennt, die eine sarglose Bestattung gebietet.
Der Gesetzgeber habe an der christlichen Bestattungspraxis nichts ändern wollen. Die Ermöglichung der Tuchbestattung aus religiösen Gründen solle insbesondere der Integration von Bürgern mit islamischer Religionszugehörigkeit dienen. Der Islam erfülle jedenfalls die Anforderungen nach Auffassung des Gesetzgebers, denn dieser verbiete die Sargbestattung. Auf den Islam beschränkt ist die Ausnahmeregel jedoch nicht, so das Gericht.
Die Ermöglichung dieser Bestattungsart habe der Verwirklichung der Religionsfreiheit gedient. Deren Schutzbereich sei aber nur für solche Verhaltensweisen eröffnet, die aufgrund einer Glaubensregel als verpflichtend empfunden werden.
Die gesetzliche Regelung stelle keine unzulässige Diskriminierung dar. Das Kriterium des "Vorsehens" der Religionsgemeinschaft sei sachlich gerechtfertigt, weil es eine Abgrenzung zu individuellen Wunschvorstellungen ermögliche. Andernfalls würde der Sargzwang unterlaufen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürften die staatlichen Organe prüfen und entscheiden, ob eine entsprechende Glaubensregel nachgewiesen wurde. Dafür müsse substantiiert und nachvollziehbar dargelegt werden, dass eine bestimmte Verhaltensweise nach gemeinsamer Glaubensüberzeugung als verpflichtend empfunden wird. Abzustellen sei auf die konkrete, gegebenenfalls auch innerhalb einer Glaubensrichtung bestehende Religionsgemeinschaft (vgl. BVerfG, 1 BvR 2202/13; BVerfG, Urteil 1 BvR 1783/99; BVerwG, 6 C 8/91).
Die Kläger hätten in der mündlichen Verhandlung jedoch eingeräumt, dass es ein Gebot der sarglosen Bestattung im Christentum nicht gebe und dass eine Bestattung im Sarg sie auch nicht in Gewissensnot bringen würde. Der religiös motivierte Wunsch der Kläger und die bloße Erlaubtheit der Tuchbestattung im Christentum genügten den gesetzlichen Voraussetzungen nicht, so das Gericht.
Beurteilung
Die Gesetzesauslegung durch das Gericht ist nachvollziehbar und entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Zweifelhaft ist aber, mit welcher Rechtfertigung abweichende Bestattungsrituale vom deutschen Rechtssystem nur so eng toleriert werden.
Bestattungsvorschriften greifen neben der Religionsfreiheit noch in ein weiteres Grundrecht ein: die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs.1 GG. Im liberalen Rechtsstaat ist nicht die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger begründungsbedürftig, sondern jegliche Einschränkung ihrer Freiheit. Einschränkungen dürfen nur verfassungsrechtlich legitimen Zwecken dienen und auch dann nur so weit in die Grundrechte eingreifen, wie es für den verfolgten Zweck erforderlich ist. Die Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 GG bedarf also einer genauen Begründung, für die reine "Tradition" jedenfalls nicht ausreichend ist.
Da die Tuchbestattung für Muslime erlaubt ist und insofern offenbar keine zwingenden (gesundheitlichen) Gründe entgegenstehen, ist der Sargzwang hingegen schwer zu rechtfertigen. Wenn der Gesetzgeber eine solche Ausnahmeregel nur für eine bestimmte Religion schafft, dann zeigt er damit, dass sich der allgemeine Sargzwang nicht rational und weltanschaulich neutral begründen lässt.
Statt zuzulassen, dass sich alle Verstorbenen nach ihren individuellen Würdevorstellungen bestatten lassen können, wird unter Berufung auf die Religionsfreiheit eine Ausnahmeregel der Tuchbestattung geschaffen, die für Christen und Atheisten mangels verbindlicher "Glaubensregel einer Religionsgemeinschaft" nicht offenstehen soll.
Die traditionelle christliche Vorstellung einer Beerdigung wird im geltenden Recht offenbar vor die Wünsche des Verstorbenen und dessen Angehörigen gestellt, selbst wenn sich dies weder mit Aspekten der Hygiene und des allgemeinen Gesundheitsschutzes noch mit der Würde des Verstorbenen begründen lässt.
Sarg- und Friedhofszwang sind keineswegs selbstverständlich. Grundlage dafür war der christliche Glaube an die "leibliche Auferstehung der Toten", die bis zum Tag des "Jüngsten Gerichts" in "geweihter Erde" ruhen sollten.
Mittlerweile ist die Feuerbestattung die Regel und wird von der Mehrheit der Deutschen bevorzugt. Geblieben sind jedoch sowohl der christlich inspirierte Friedhofszwang als auch der Zwang zur Verwendung von Metall- bzw. Holzsärgen, obwohl bei Feuerbestattungen weder das eine noch das andere notwendig ist. Die Beschaffung der teuren Holzsärge stellt dabei nicht selten eine erhebliche finanzielle Belastung für Angehörige dar; selbst bei Feuerbestattungen dürfen die günstigeren Pappsärge nicht verwendet werden.
Zur Überreglementierung des deutschen Bestattungsrechts und weiteren verwandten Rechtsfragen siehe auch:
https://weltanschauungsrecht.de/Bestattungswesen
https://weltanschauungsrecht.de/blinder-fleck-des-deutschen-rechtssystem