Zusammenfassung des Beitrages von Ulfrid Neumann: „Der ,Wille Gottes‘ – ein Argument im parlamentarischen Diskurs?

Unser ifw-Beirat Ulfrid Neumann beleuchtet in seinem Beitrag in dem Werk "Gottloser Staat? – Im interdisziplinären Gespräch mit Horst Dreier" (Hrsg. Michael Kühnlein) Horst Dreiers sinngemäße These, dass der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates Genüge getan ist, soweit eine gesetzliche Regelung zumindest säkular begründbar ist. Neumann widerspricht mit guten und differenziert herausgearbeiteten Argumenten Dreiers Ansicht und fordert eine säkulare Begründung des Staates für das von ihm gesetzte Recht.

Neumann veranschaulicht seine Auffassung anhand mehrerer Beispiele und stellt zuvor klar, dass zwar "de lege lata keine Pflicht zur Begründung von Gesetzen" bestehe, sich "Begründungspflichten" aber "jedenfalls aus Legitimationsbedürfnissen" aus der "Argumentations- und Demokratietheorie" heraus ergeben.

Er zweifelt im Übrigen an, dass es sich nur "ganz selten" so verhalte – wie Dreier aber annimmt –, dass eine glaubensabhängig begründete Norm nicht auch glaubensunabhängig begründet werden könne. Als überzeugende Gegenbeispiele führt Neumann die "Strafbarkeit des Ehebruchs, der Ermöglichung des Beischlafs der Tochter mit ihrem Verlobten […] und der einfachen männlichen Homosexualität", sowie als aktuelles Beispiel den nunmehr als nichtig beurteilten Straftatbestand der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" (§ 217 StGB) an.

Unser Autor hebt hervor, dass der Verzicht auf die Begründung des Gesetzes eine verfassungsgerichtliche Kontrolle erschwert, da "das Verfassungsgericht bei der Überprüfung des Gesetzes auf das […] Prinzip der Verhältnismäßigkeit zurückgreift" und damit auf die Ziele des Gesetzgebers. Neumann konstatiert in dem Zusammenhang, dass die Gesetzbegründung der Gesetzesentwürfe zur Rekonstruktion des Gesetzgeberwillens herangezogen werden darf und erläutert zudem am Beispiel der nicht-obligatorischen Begründung, etwa bei dem Verwerfen einer strafrechtlichen Revision, dass diese, soweit sie fehlerhaft ist, auch entsprechende Konsequenzen zeitigt, und sich das bei der Gesetzesbegründung ähnlich verhält.

Sodann erläutert Neumann, warum die Begründungsneutralität als Legitimitätsbedingung anzusehen ist, und er illustriert die These beispielhaft: "Die Wiedereinführung eines Straftatbestands der Homosexualität als ,Verstoß gegen die Sexualmoral des Christentums und des Islam‘ wäre selbst dann illegitim, wenn man bereit wäre, einen Straftatbestand der (männlichen) Homosexualität mit säkularen Argumenten zu rechtfertigen." Neumann entlarvt dabei auch den Umstand, dass Normen, auch wenn sie in Wahrheit religiös begründet sind – wie z.B. der nichtige § 217 StGB oder die Knabenbeschneidung gemäß § 1631d BGB – "im Gewande der religiösen Neutralität" erscheinen und typischerweise nicht explizit religiös begründet werden. Abschließend bringt Neumann daher konsequenterweise zum Ausdruck, dass bei seiner Forderung nach einer Begründungsneutralität "die Gefahr von Scheinargumentationen" nicht übersehen werden darf.

Ein lesenswerter Beitrag, der zum Nach- und Weiterdenken anregt sowie zur Fortführung der Diskussion einlädt.