Kirchensteuerrecht

I. Bedeutung und Einordnung

Das Recht, von Mitgliedern unter (im Einzelnen streitiger) Mitwirkung des Staats öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben zu erheben, ist das wichtigste und umstrittenste Recht derjenigen Religionsgemeinschaften, die den Charakter einer Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. des Art. 137 V WRV/ 140 GG haben. Das deutsche Kirchensteuerrecht ist etwas Ungewöhnliches (s. Kirchensteuer). Die deutsche Kirchensteuerpraxis wirkt erheblich mit bei der Aufrechterhaltung volkskirchlicher Strukturen, die den soziologischen Gegebenheiten längst nicht mehr entsprechen. Die Kirchensteuer ist entgegen landläufiger Meinung keineswegs die wichtigste kirchliche Einnahmequelle, sondern es sind die staatlichen Subventionen (s. Religionsförderung). Die Kirchensteuereinnahmen werden zu ca. 70-80 % für Gehälter und Kirchenverwaltung verwendet und nur zu maximal 10 % für allgemein-öffentliche Sozialeinrichtungen. Seit langem belegen repräsentative Umfragen, dass eine sehr große Mehrheit der Bevölkerung das Kirchensteuersystem ablehnt, und das war auch schon in der alten Bundesrepublik so. Dennoch ist politisch kein Änderungswille erkennbar, obwohl die Kirchensteuer in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtlich problematisch (s. unten) und das Ansehen der Kirchen in der Bevölkerung stark gesunken ist.

II. Verfassungsrechtliche Grundlagen

1. Oberste Rechtsgrundlage des Kirchensteuerrechts ist seit 1919 Art. 137 VI WRV/140 GG. Er lautet: "Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben." Die Kirchensteuern sind insofern Steuern, als sie öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben sind, die mit staatlichen Zwangsmitteln beigetrieben werden können und von den Religionsgemeinschaften als den Steuergläubigern ohne Zweckbindung zur allgemeinen Aufgabenerfüllung verwendet werden. Ihrer Funktion nach sind die Kirchensteuern aber nichts anderes als Mitgliedsbeiträge, also den Vereinsbeiträgen einschließlich der Gewerkschaftsbeiträge völlig vergleichbar. Diese können notfalls mit Hilfe der Gerichte zwangsvollstreckt werden. Nahezu 100 % der Kirchensteuer werden als Steuer vom Einkommen erhoben (Annexsteuer, "Huckepackverfahren"). Die Kirchenlohnsteuer ist nur eine besondere Erhebungsart der Kircheneinkommensteuer). Steuern wie die mögliche Kirchengrundsteuer spielen praktisch keine Rolle.

2. Soweit Religionsgemeinschaften (theoretisch wegen Art. 137 VII WRV auch Weltanschauungsgemeinschaften) "Kirchensteuer" erheben wollen und die landesrechtlich (z. T. problematisch hoch) festgelegten formalen Mindestvoraussetzungen erfüllen, gilt das Folgende. Nach allgemeiner juristischer Ansicht einschließlich der des BVerfG sind die Länder lediglich verpflichtet, die Voraussetzungen zur Erhebung der Steuer durch die Kirchen (nur diese sind Steuergläubiger) zu schaffen und eine zwangsweise Beitreibung vorzusehen. Denn die genannten "Bürgerlichen Steuerlisten" waren amtliche Zusammenstellungen der Ergebnisse der Veranlagung zu den Reichs-, Landes- und Gemeindesteuern, die es längst nicht mehr gibt. Einzelgewährleistungen zur Ausgestaltung des Landes-Kirchensteuerrechts enthält die Bundesverfassung nicht. Insbesondere sind verfassungsrechtlich nicht vorgeschrieben der Kirchensteuereinzug durch die staatlichen Finanzämter unter Mitwirkung der Arbeitgeber und die in allen Bundesländern geregelte (und seit langem innerkirchlich umstrittene) Anbindung des Kirchensteuertarifs an die Einkommensteuer.

Dennoch haben die Kirchensteuergesetze der Länder mit Hilfe ergänzender staatlicher und kirchlicher Rechtsvorschriften ein sehr komplexes Rechtssystem geschaffen, wie die erste große juristische Gesamtdarstellung von Felix Hammer aus dem Jahr 2002 beweist. Häufig wird nicht oder nur teilweise gesehen, dass das derzeitige Kirchensteuerrecht zahlreiche Merkwürdigkeiten zu Gunsten der Kirchen aufweist und insgesamt in dieser Beziehung noch nie kritisch insgesamt durchforstet wurde.

III. Gemeinsame landesrechtliche Grundsätze und Bundessteuerrecht

Die Kirchensteuergesetze der 16 Bundesländer sind im Detail manchmal recht unterschiedlich. Nach allen gelten aber folgende Grundsätze: Kirchensteuerpflichtig sind (wegen Verweisung der Gesetze auf das innerkirchliche Mitgliedschaftsrecht) unabhängig vom Lebensalter alle (gültig) Getauften, die nicht gegenüber dem Staat den "Kirchenaustritt" erklärt haben (s. Kirchenmitgliedschaft). Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer ist die Einkommensteuerschuld, nicht das zu versteuernde Einkommen. Die Kirchensteuer ist somit eine Annexsteuer (mit allen damit verbundenen Nachteilen betreffend die Steuergerechtigkeit). Da die Kirchensteuer ihrer Funktion nach nichts anderes ist als ein in besonderer Form erhobener Mitgliedsbeitrag, ist ihre Erhebung und Verwaltung grundsätzlich Sache der Kirchen als alleinige Steuergläubiger.

Sämtliche Kirchensteuergesetze räumen jedoch den Kirchen (ohne diesbezügliche verfassungsrechtliche Verpflichtung) das (problematische, s. u.) Wahlrecht ein, die Kirchensteuern selbst zu verwalten oder die Kirchensteuerverwaltung gegen ein Entgelt von (je nach Bundesland) ca. 2,5 bis 4% des vereinnahmten Aufkommens auf die staatlichen Finanzämter zu übertragen. Die großen Kirchen haben davon überall Gebrauch gemacht. Einzige Ausnahme ist teilweise Bayern, wo die Erhebung der Kircheneinkommensteuer (nicht: Kirchenlohnsteuer) nach wie vor seit Jahrzehnten in beiden Kirchen durch kirchliche Steuerämter erfolgt. Der Steuerhebesatz wird von Kirchen und Staat einvernehmlich festgelegt und beträgt je nach Bundesland 8 oder 9% der Einkommen- bzw. Lohnsteuer. Die Kirchenlohnsteuer muss von den Arbeitgebern (unabhängig von der ggf. weltanschaulich abweichenden Einstellung von Einzelarbeitgebern) ohne Kostenerstattung eingezogen werden. Zur Durchführung des Kirchenlohnsteuereinzugs wurde bis 2012 die Kirchenzugehörigkeit in die Lohnsteuerkarte eingetragen. An die Stelle dieses Eintrags ist seit 2013 die elektronische Lohnsteuerkarte getreten.

Fast alle Bundesländer ermöglichen mittlerweile statt einer Kirchensteuer ein Besonderes Kirchgeld für Fälle, in denen der Ehepartner keiner Kirche angehört (s. Besonderes Kirchgeld). Nach dem Einkommensteuergesetz des Bundes wird die Kirchensteuerschuld bei der Einkommensteuerfestsetzung in voller Höhe als Sonderausgabe von der Einkommensteuerschuld (Bemessungsgrundlage) abgezogen. Diese steuerliche Absetzbarkeit bedeutet erhebliche Steuermindereinnahmen in der Größenordnung von meist ca. 25-30% des Kirchensteuerbetrags. 2007 waren es bei den großen Kirchen zusammen jährlich bei einem Steueraufkommen von 8,8 Mrd. (2014: ca. 10,7 Mrd.) nicht weniger als ca. 3,5 Mrd. Euro, d.h. ein Mehrfaches dessen, was von den Kirchensteuern für allgemeine soziale Zwecke ausgegeben wird – kein gutes Geschäft für den Staat. Die Mindereinnahmen in Form eines Steuergeschenks an die Kirchensteuerzahler gehen ungeachtet der Diskussionen um Finanznot und Subventionskürzungen zu Lasten aller Steuerzahler.

IV. Einzelkritik

1. Das hier in Grundzügen skizzierte deutsche Kirchensteuersystem ist rechtspolitisch und innerkirchlich seit langem umstritten, was aber gleichwohl bisher ohne Einfluss auf die Parteipolitik ist (s. näher Kirchensteuer). Die großen Kirchen halten mit aller Kraft am gegenwärtigen (für sie nicht weiter optimierbaren) System fest. Es ist effizient und garantiert ein Höchstmaß an Steuerertrag. Auch vermeidet der Automatismus die Konfrontation mit dem einzelnen Mitglied. Die Kirchen haben sich das System daher auch vertraglich absichern lassen. Die aufgezählten Rechtsfakten bedeuten jedoch keineswegs, dass nicht erhebliche verfassungsrechtliche Probleme bestünden und die Fülle von Rechtsfragen insgesamt sehr groß ist. Einige wichtigere Probleme seien im Folgenden angesprochen.

2. Es bestehen folgende gravierende Verfassungsprobleme. Der Kirchensteuereinzug erfolgt landesgesetzlich durch staatliche Behörden, obwohl Art. 137 I WRV nach allg. Auffassung die organisatorische Trennung von Staat und Religion vorschreibt. Der Eintrag der Kirchenzugehörigkeit in die Lohnsteuerkarte war verfassungswidrig, weil im Widerspruch zu Art. 136 III 1 WRV/140 GG stehend. Verfassungswidrig ist auch die Verpflichtung der Arbeitgeber (auch der konfessionsfreien) zu einer kostenlosen Dienstleistung, deren Sinn lediglich in der Ermöglichung der kostengünstigen Erhebung eines religiösen Mitgliedsbeitrags liegt. Letzteres steht in Konflikt zum religiösen Differenzierungsverbot (Anknüpfungsverbot) des Art. 3 III GG und ganz allgemein zu Art. 4 GG. Ohne diese (vom BVerfG freilich mit eigenartiger Begründung abgesegneten) nach hier vertretener Auffassung groben Verfassungswidrigkeiten (s. Kirchenlohnsteuer) müsste das Kirchensteuersystem erheblich geändert werden (kircheneigene Mitgliedsverwaltung, kircheneigene Steuerverwaltung).

3. Der sogenannte Kirchenaustritt, der zum Entfall der Kirchensteuerpflicht führt, erfolgt gerade nicht gegenüber einem kirchlichen Organ, sondern gegenüber einer staatlichen Behörde (Amtsgericht, Standesamt). Er erzeugt unstreitig unmittelbar nur Wirkungen im staatlichen Recht (ist also gar kein Kirchenaustritt im eigentlichen Wortsinn). Praktisch hat dabei hauptsächlich das Ausscheiden aus dem Kirchensteuerverband Bedeutung (Beendigung der Kirchensteuerpflicht, s. Kirchemitgliedschaft). Wieso dabei je nach Gesetzeslage trotz erfolgten Kirchenaustritts noch eine gewisse Nachbesteuerung spätestens sogar bis zum Ende des auf den Austritt folgenden Monats zulässig sein soll (so das BVerfG in Beschränkung noch kirchengünstigerer Regelungen), ist angesichts der elektronischen Datenverarbeitung unverständlich. Selbst im Kleinen wird also – Religionsfreiheit hin oder her – ein Kirchenbonus verfügt. Der Zwölftelungsgrundsatz mag noch eher hinnehmbar sein. Er besagt: Die Einkommensteuer (Maßstabssteuer für die Kirchensteuer) ist eine Jahressteuer, die durch 12 geteilt und mit der Zahl der Monate multipliziert wird, in denen noch eine Kirchensteuerpflicht besteht. Es ergibt sich dann ein monatlicher Durchschnittsbetrag auch für die Kirchensteuer. Dabei ist aber nicht einzusehen, warum nicht auf den Tag genau abgerechnet werden kann, wie das z. B. bei der Kfz-Steuer seit Jahrzehnten geschieht.

4. Eine große praktische Bedeutung hat die Behandlung glaubens- und konfessionsverschiedener Ehen.

a) In Fällen der sog. glaubensverschiedene Ehe, in denen nur ein Ehepartner einer kirchensteuerberechtigten Religionsgemeinschaft angehört, hat man bis 1965 die Kirchensteuer bei Zusammenveranlagung nach der Hälfte der gesamten Einkommensteuer erhoben. Es stellte sich somit die Frage, ob die Kirchensteuer eines der Kirche angehörenden Ehegatten nach dem des anderen bemessen werden darf und ob es überhaupt zulässig ist, einen nichtkirchlichen Ehegatten für die Kirchensteuer des anderen heranzuziehen. Das BVerfG hat beides Ende 1965 verneint, aber nur für den Fall, dass der Halbteilungsgrundsatz nicht durch Wahl der getrennten Veranlagung verhindert werden kann. Dass bei Wahl der getrennten Veranlagung die Vorteile der Zusammenveranlagung verloren gehen, hat das BVerfG seltsamerweise (trotz des religiösen Differenzierungsverbots, Art. 3 III GG) nicht beanstandet: "Nichtgläubige" dürfen steuerlich benachteiligt werden. Für glaubensverschiedene Ehen hat das BVerfG 1965 nebenbei darauf hingewiesen, man könne vom kirchenangehörigen Partner trotz fehlenden oder nur geringen eigenen Einkommens ein besonderes, deutlich erhöhtes Kirchgeld erheben, das faktisch meist vom nichtgläubigen Partner bezahlt werden muss. Von dieser Möglichkeit haben Kirchen und Staat neuerdings in fast allen Bundesländern durch ein sog. Besonderes Kirchgeld Gebrauch gemacht. Das hat gerade in den letzten Jahren viel Unmut erzeugt und ist entgegen der bisherigen Rspr. keineswegs unproblematisch (s. Art. Besonderes Kirchgeld).

b) Bei den konfessionsverschiedenen Ehen, bei denen die Partner verschiedenen kirchensteuerberechtigten Gemeinschaften angehören, hat die Rspr. den Halbteilungsgrundsatz mit dem BVerfG nach wie vor akzeptiert. Die meisten Bundesländer sehen ihn vor, zumindest bei entsprechender Einigung der betroffenen Religionsgemeinschaften. Die Verschiedenbehandlung konfessions- und glaubensverschiedener Ehen ist jedoch nicht akzeptabel. Denn es liegt bei gemeinsamer Veranlagung nur eine einheitlich berechnete und festgesetzte Einkommensteuer vor, und nur sie kann Bemessungsgrundlage sein. Die gesamtschuldnerische Haftung erlaubt keine Behandlung, als ob jedem Partner ein selbständig zu versteuerndes Einkommen zuzurechnen wäre. Niemand braucht zwangsweise ein fremdes Bekenntnis zu unterstützen. Der gesetzliche Umfang der Kirchensteuerpflicht kann nicht durch Vereinbarung der beteiligten Konfessionen – zu Lasten eines Dritten – entschieden werden.[1] Verfassungswidrig ist es daher auch, wenn zahlreiche Kirchensteuergesetze bei Zusammenveranlagung regelmäßig auch die Haftung für den konfessionsfremden Ehepartner anordnen.[2]

5. Viel Unmut erzeugt die oft als rigide empfundene kirchensteuerliche Behandlung beim Zuzug von Ausländern nach Deutschland. Ihnen ist häufig die spezifisch deutsche Verknüpfung der Kirchenmitgliedschaft mit der (zumal ungeahnt hohen) Kirchensteuer nicht bekannt. Hierbei ergeben sich insbesondere bei allen evangelischen Landeskirchen mit Außengrenzen (anders als in der kath. Kirche mit ihrem weltweit einen Bekenntnisstand und einheitlicher Organisation) häufig Rechtsprobleme. Entscheidend für die Kirchenmitgliedschaft und damit Kirchensteuerpflicht sind Taufe, Bekenntnisstand und Wohnsitz. Prägend ist dieses Territorialprinzip auch in den Auslandsfällen. Nach § 9 des Mitgliedschaftsgesetzes der EKD wird die Mitgliedschaft in der jeweiligen örtlichen Kirche zwar nicht automatisch erworben (wie innerhalb Deutschlands), sondern bedarf einer Erklärung. Hierzu soll die bloße Konfessionsangabe gegenüber der staatlichen Meldebehörde selbst dann genügen, wenn die Mitgliedschaft in der deutschen Landeskirche gar nicht dem Willen des Betroffenen entspricht. Aber selbst dies haben BVerwG und BFH gebilligt und sogar eine (durchaus umstrittene) behördliche Aufklärungspflicht über die Rechtsfolgen zumindest im Regelfall verneint. Das ist aber mit J. Winter (s. Lit.), K. Obermayer und anderen abzulehnen. Denn die jeweiligen Bekenntnisse können deutlich unterschiedlich sein und der Staat ist nicht berechtigt, die Bedeutung solcher religiöser Unterschiede (mit erheblicher Rechtsfolge) zu bewerten. Dabei kann auch eine Doppelmitgliedschaft in Frage stehen. Eine Aufklärung ist daher geboten.

6. Wegen einer größeren Zahl auch wichtiger Rechtsfragen muss auf die unten genannten weiteren Stichworte verwiesen werden. Hier seien nur noch folgende Punkte erwähnt:

a) Ab einer bestimmten Obergrenze erfolgt kein weiteres Ansteigen der Steuersumme (Kappung der Kirchensteuer). Teils mit, teils ohne staatsgesetzliche Grundlage wurde teilweise eine Höchstgrenze festgesetzt, meist 3 oder 3,5 % des steuerpflichtigen Einkommens. Man möchte verhindern, dass wohlhabende Kirchenmitglieder zu stark von der Steuerprogression erfasst und verprellt werden. In Bundesländern, die keine automatische Obergrenze kennen, wird nach Antragstellung ggf. mit der Kirchenbehörde über einen Steuernachlass verhandelt. Während hier gern großzügig verfahren wird, geht man in den neuen Bundesländern oft gnadenlos gegen erkennbar Nichtgläubige vor, die einen Kirchenaustritt vor langer Zeit, zu DDR-Zeiten, nicht nachweisen können (s. Kirchensteuer IV).

b) Bemerkenswert ist (nach dem Drängen von EKD und den kath. Bischöfen) das gesetzgeberische Entgegenkommen der Bundespolitik durch das 2000 verabschiedete "Gesetz zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern"[3], das ausschließlich zur Vermeidung von Einbußen bei der Kirchensteuer geschaffen wurde. Die dabei erfolgte Verbreiterung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer ist aber im Hinblick auf die Kompetenzverteilung des GG im Verhältnis Bund/Länder "mehr als zweifelhaft", wie der Religionsrechtler Hermann Weber sagt.[4] Das Gesetz hat den Kirchen die von ihnen gefürchtete Heraufsetzung des Hebesatzes von 8 bzw. 9 % erspart, was der Optik wegen unbedingt vermieden werden sollte. Das Gesetz bedeutet eine systemwidrige Durchbrechung der Anbindung der Kirchensteuer an die Einkommensteuer und eine weitere Komplizierung des Einkommensteuerrechts. Der (für Kirchensteuern gar nicht zuständige) Bund handelt damit so, als sei es seine Aufgabe und nicht die der (eigentlich selbstverwalteten) Kirchen, die Ungereimtheiten zwischen staatlicher Steuerpolitik und innerkirchlichen Wünschen zur Beitragsgestaltung zu bereinigen. Dabei bräuchten die Kirchen nur einen ohne weiteres zulässigen kircheneigenen Steuertarif zu entwickeln.[5]

c) Ein anhaltendes Sonderproblem war von 1974 bis Ende 2004 die pauschale Berücksichtigung der Kirchensteuer beim Arbeitslosengeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Form einer Minderung des Nettoarbeitsentgelts und damit Arbeitslosengelds auch bei nichtkirchlichen Arbeitslosen. Die Leistungssätze wurden berechnet aus dem maßgeblichen Bruttolohn abzüglich der pauschal zu berücksichtigenden gewöhnlich anfallenden Abzüge, wobei Kirchensteuer ohne Rücksicht auf eine konkrete Kirchensteuerpflicht zu berücksichtigen war. Auf Richtervorlage von 1985 kam das BVerfG 1994 (!) zu folgendem Ergebnis: Bei Inkrafttreten der Regelung habe sich der Gesetzgeber bei der Berechnung des Nettolohns in den Grenzen zulässiger Typisierung gehalten, weil die überwiegende Mehrheit Kirchensteuer zu zahlen hatte, das also typisch war und der Abzug nicht stark ins Gewicht fiel. Die beanstandete Norm sei daher auch im Hinblick auf den seinerzeitigen Rechtsstreit mit dem GG vereinbar. Es bestehe aber Anlass, zu überprüfen, ob das auch in Zukunft noch gelten könne, schon wegen der Verhältnisse in den neuen Bundesländern. Art. 4 GG sei nicht betroffen, weil die Leistungssätze des Arbeitslosengelds unabhängig von der ggf. tatsächlich nicht erfolgten Kirchensteuerzahlung seien.

Der (mittlerweile historische) Skandal lag darin, dass bis ins 21. Jh. hinein diverse Gerichte trotz der völlig veränderten religionsstatistischen Situation im Gegensatz zum BVerfG nach wie vor den fiktiven Kirchensteuerabzug billigten, und zwar auch für den Bereich der neuen Bundesländer, der doch ansonsten in zahlreichen Rechtsgebieten Sonderregelungen aufwies. Es ging gar nicht um die gerechte Behandlung der Arbeitslosen, die ja vom Gesetz im Ergebnis unabhängig von der Religion völlig gleich behandelt wurden, sondern nur um einen theoretischen Rechenposten, der gar keiner Kirche zugutekam. Aber der kirchliche Bezug des Abzugspostens war anrüchig falsch geworden. Selbst gegen breites Unverständnis und Verletzung weltanschaulicher Gefühle bei nichtkirchlichen Arbeitslosen glaubten die Gerichte, unter Ignorierung des BVerfG das Gesetz immer noch halten zu sollen. Dabei waren kirchliche Interessen nicht einmal betroffen.

d) Auf kirchlichen Druck bzw. Bemühung der Bundesregierung erfolgte europarechtlich 1995 eine Änderung des Entwurfs der Datenschutzrichtlinie, die die Fortführung des deutschen Sonderwegs mit Preisgabe höchstpersönlicher Daten ermöglichte.

>> Besonderes Kirchgeld; Kirchenfinanzierung; Kirchenmitgliedschaft; Kirchenlohnsteuer; Kirchensteuer; Körperschaftsstatus; Trennungsgebot; Staatskirchenverträge.

Literatur:

  • BVerfGE 19,206 = NJW 1966,147, U. 14.12.1965 – 1 BvR 413,416/60 (Badische Kirchenbausteuer. Neutralitätspflicht).
  • BVerfGE 19,226 = NJW 1966, 103 (glaubensverschiedene Ehe. Halbteilungsgrundsatz GG-widrig).
  • BVerfGE 19, 268 (273 ff.) (Keine Heranziehung Kirchenfremder).
  • BVerfGE 20,40, U. 20.4.66 (Halbteilungsgrundsatz bei konfessionsverschiedener Ehe zulässig. problematisch).
  • BVerfGE 44,37 = NJW 1977,1279 U. 8.2.1977 – 1 BvR 329/71 u.a. (Überlegungsfrist. Nachbesteuerung).
  • BVerfGE 44,59 = NJW 1977,1281 (Nachbesteuerung bis Ablauf des Folgemonats).
  • BVerfGE 44,103 = NJW 1977,1282 U. 17.2.1977 – 1 BvR 33/76 (Kirchenlohnsteuer und Arbeitgeberpflicht.
  • BVerfGE 49,375 = NJW 1979,209 Kirchenlohnsteuerabzugsverfahren (Nichtannahmebeschluss).
  • BVerfGE 90,226 = NJW 1994,2346 U. 23.3.1994 – 1 BvL 8/85 (Kirchensteuer und Arbeitslosengeld).
  • BVerfG NVwZ 2001,909, B. 25.5.2001 – 1 BvR 2253/00 (Lohnsteuerkartenvermerk über Nichtmitgliedschaft in RG verfassungsgemäß).
  • BVerfG NVwZ 2002,1496 B. v.19.8.2002 – 2 BvR 443/01 (Hebesatz-Fall. staatlicher Kirchensteuereinzug unprobl.).

  • Czermak, Gerhard: Kirchensteuerrecht in kritischer Sicht. Hauptgesichtspunkte einer ideologisch heiklen Materie, KJ 2006, 418-429.
  • Damkowski, Wulf: Kirchensteuer in glaubensverschiedenen Ehen, DÖV 1987, 705-714 (krit.).
  • Frerk, Carsten: Violettbuch Kirchenfinanzen, Aschaffenburg 2010.
  • Gehm, Das Kirchensteuersystem in den fünf neuen Bundesländern, LKV 2000,173 ff.
  • Hammer, Felix: Rechtsfragen der Kirchensteuer, Tübingen 2002, 574 S. (gut lesbare, aber im wesentlichen konservative Habil.-Schrift).
  • Weber, Hermann: Kirchenfinanzierung im religionsneutralen Staat. Staatskirchenrechtliche und rechtspolitische Probleme der Kirchensteuer. NVwZ 2002, 1443-1455 (Aufriss der Gesamtproblematik, überwiegend konservative Tendenz bei Zweifelsfragen).
  • Winter, Jörg: Probleme des Territorialprinzips im Mitgliedschaftsrecht der Evangelischen Kirche im europäischen Kontext. KuR 1999 Nr. 550, S. 25-32.

  • [1] wie hier eingehend F. Hammer a. a. O. 324-326.
  • [2] vgl. F. Hammer 332 f. mit Hinweis auf untereinander gegensätzliche Entscheidungen des BFH; gegen Haftung auch z. B. C. Link, ZevKR 37, 1992, 163 ff.)
  • [3] G. vom 21.12.2000 (BGBl I 1978)
  • [4] H. Weber 2002, S. 1451 f.
  • [5] S. zur Gesetzesbegründung BT-Dr. 14/3762.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)