Bekenntnisfreiheit
I. Gegenstand
1. Die B. gehört zu den Begriffen, die im Gesamtzusammenhang des Komplexes Religionsfreiheit eine Rolle spielen (wegen der terminologischen Probleme s. Religionsfreiheit). Sinnvollerweise bezeichnet B., da ein Terminus des Art. 4 GG, eine spezielle Materie, nämlich die Freiheit des r-w Redens und sonstigen Äußerns. Im Allgemeinen versteht man unter B. einen Spezialfall der in Art. 5 I 1 GG ohnehin geschützten Meinungsfreiheit. Streitig ist, ob die B. ein eigenständiges Grundrecht wie jene darstellt, oder ob damit nur ein besonderer Aspekt der einheitlich zu verstehenden Religionsfreiheit des Art. 4 I, II gemeint sein soll. Die Auffassung des BVerfG vom Einheitsgrundrecht des Art. 4 I, II GG (von dem aber die Gewissensfreiheit nicht erfasst werde) wird häufig kritisiert. Auf die B. können sich ggf. auch Juristische Personen (Art. 19 III GG) und darüber hinaus sogar nichtrechtsfähige Vereine stützen.
2. B. als Freiheit der Rede über eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung umfasst auch Werbung und Abwerbung. Vielfach wird dabei die Anwendung von Gewalt, List oder Drohung vom Schutzbereich des Art. 4 GG ausgenommen. Dabei sollte man aber vorsichtig sein, denn die Begriffe sind unscharf. Auch ist eine gewisse Unaufrichtigkeit Kennzeichen fast jeder Art von Werbung. Das sollte die Gesellschaft ertragen. Missbräuche unterliegen ohnehin den Grundrechtsschranken. Ob das Tragen eines speziellen Kleidungsstücks durch die B. geschützt ist, erscheint fraglich, denn es kann auch (eher) der Religionsausübungsfreiheit zugeordnet werden.
II. Schranken
Die positive B. (im Gegensatz zur negativen B., s. unten) unterliegt als verhaltensbezogenes Recht im Ergebnis selbstverständlich den Schranken des Strafrechts (keine Beleidigungen und Verleumdungen). Die unterschiedlichen theoretischen Positionen zu den Grundrechtsschranken (Schranken aus Art. 136 I WRV oder verfassungsunmittelbare Schranken) führen im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen. S. zu dieser Problematik unter Religionsausübungsfreiheit.
III. Schweigerecht
Wie jedes Freiheitsrecht enthält auch die B. eine negative Komponente: Garantiert ist auch die Freiheit, sich nicht bekennen zu müssen. Diese sog. negative Bekenntnisfreiheit ist sogar in Art. 136 III WRV/140 GG eigens verbürgt: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.“ Daher braucht z. B. niemand bei der Aufnahme in ein Krankenhaus irgendeine Angabe zu seinem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis zu machen (absolutes Schweigerecht); die Frage ist nur als Betreuungsangebot zu verstehen. Sich nicht offenbaren zu müssen, ist ein absoluter Schutz der inneren r-w Überzeugung und betrifft somit auch die Glaubensfreiheit im hier verstandenen engeren Sinn. Da das Schweigerecht nicht handlungsbezogen ist und den inneren Persönlichkeitskern betrifft, ist neben der in Art. 136 III angegebenen Einschränkung keinerlei Grundrechtsschranke denkbar. Deshalb entfallen auch diesbezügliche Streitfragen. Im Übrigen dürfen Rechte und Pflichten gem. Art. 33 III GG, 136 I, II WRV/140 GG ohnehin nicht von religiösen Überzeugungen abhängig gemacht werden, es sei denn, die Verfassung erlaube eine Ausnahme.
IV. Besondere Fallgestaltungen des Schweigerechts
Ein besonderes Problem – auch für viele betroffene Bürger – war die Zulässigkeit des Eintrags bzw. Fehlvermerks in die Lohnsteuerkarte (Zwangsbekenntnis; jetzt: elektronische Lohnsteuerkarte), da beide eindeutig im Widerspruch zu Art. 136 III WRV stehen. Die Begründung, der Vermerk sei erforderlich, um das bewährte System des staatlichen Kirchenlohnsteuereinzugs aufrechterhalten zu können, kann nicht überzeugen. Denn die Verfassung (Art. 137 VI WRV/140 GG) verlangt ja den Einzug durch den Staat eindeutig nicht (näher s. Kirchenlohnsteuer). Die Entscheidung über die Teilnahme am Religionsunterricht erfordert indirekt eine Offenlegung der r-w Einstellung. Das ist hinzunehmen, wenn die durch Art. 7 II, III GG garantierte Institution des Religionsunterrichts das erfordert. Nach richtiger Ansicht ist das nur der Fall, wenn ein Schüler aus freien Stücken am Religionsunterricht teilnehmen will. Denn die Religionsgemeinschaft muss wissen, ob er ihr angehört oder nicht. Wenn der Religionsunterricht nicht gewünscht wird, bedarf es nach sämtlichen landesrechtlichen Schulgesetzen zwar einer Abmeldung. Art. 7 II GG spricht aber nur von einer (freien) Bestimmung über die Teilnahme. Demnach verstößt die Automatik „Religionszugehörigkeit gleich Teilnahmepflicht mit Abmeldemöglichkeit“ sowohl gegen Art. 7 II GG als auch gegen Art. 136 III WRV/140 GG. Einen Verstoß gegen das Schweigerecht stellt auch das berühmte bayerische Kruzifix-Gesetz vom Dezember 1995 dar. Denn vom Recht des Widerspruchs gegen das Kreuz im Klassenzimmer kann man nicht Gebrauch machen, ohne sich vorher zu „outen“. Das BVerwG hat daher im Hinblick auf Art. 136 III WRV die Anforderungen an die Darlegungslast der Betroffenen stark reduziert. Dass die Regelung entgegen BVerwG insgesamt GG-widrig ist, weil staatlich angebrachte religiöse Symbole von vorneherein gegen das objektive Verfassungsgebot der Neutralität verstoßen (so das BVerfG), wird dabei einfach ignoriert. Bei seiner Beachtung würde das Problem der Offenbarung einer r-w Überzeugung gar nicht erst entstehen.
Glaubensfreiheit; Grundrechtsschranken; Kirchenlohnsteuer; Kopftuch; Kreuz im Klassenzimmer; negative Religionsfreiheit; Neutralität; Religionsausübungsfreiheit; Religionsfreiheit; Religionsunterricht; Religionsrecht oder Weltanschauungsrecht; Schutzbereich.
Literatur:
- BVerfGE 46, 266 = NJW 1978, 583 (Krankenhausseelsorge); BVerwGE 109, 40, 51 ff. = NJW 1999, 3063, U. v. 21. 4. 1999 (bayer. Kruzifix-Gesetz).
- Korioth, Stefan, in: Dürig/Herzog/Scholz , GG, Komm. zu Art. 140 GG/136 III WRV, 2003, Rn 72-107 (S. 111-136);
- Magen, Stefan, in: Umbach/ Clemens (Hg.), Grundgesetz, 2002, Rn 45-48 zu Art. 140 GG (Art. 136 III WRV);
- Muckel, Stefan, in: Friauf/ Höfling (Berliner Kommentar zum GG), 2001, Rn 22-27 zu Art. 4 GG.
© Gerhard Czermak / ifw (2017/2024)