Kirchenmitgliedschaft

I. Religionsinterne und staatliche Betrachtungsweise

Ob jemand förmliches Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist, bestimmt sich ausschließlich nach deren internem Recht (Rechtsgrundlage: Selbstverwaltungsrecht, Art. 137 III WRV). Ob aus staatlicher Sicht daraus Schlussfolgerungen für den weltlichen Bereich gezogen werden dürfen, ist ausschließlich Sache des staatlichen Rechts. Staatliche Grundrechte gelten im weltlichen Bereich stets für jedermann, auch dann, wenn ein solches Recht im Innenbereich der Religionsgemeinschaft nicht anerkannt wird (Beispiel: interne Verweigerung der Gleichberechtigung für Frauen).

Aus staatlicher Sicht ist die religionsinterne Regelung nur insoweit von Bedeutung, als staatliches Recht in verfassungskonformer Weise auf das religiöse Recht Bezug nimmt. Für Einzelpersonen ist die innerreligiöse Mitgliedschaft im weltlichen Bereich praktisch nur bei solchen Religionsgemeinschaften von Bedeutung, die vom Staat als Körperschaften (besonderer Art) im Sinn des Art. 137 V WRV/140 GG anerkannt sind bzw. diesen Status wie die christlichen Großkirchen von Anfang an, d.h. seit 1919 haben. Nur dann nämlich sind sie berechtigt, den Mitgliedsbeitrag in Form einer "Kirchensteuer" erheben zu können (s. Kirchensteuer).

Soweit Religionsgemeinschaften intern keinen Austritt zulassen, ergibt sich aus Art. 4 GG die Notwendigkeit, die staatlichen Wirkungen der Religionsmitgliedschaft ohne weiteres beenden zu können. Eine solche Erklärung nennen die Landesgesetze fälschlich "Kirchenaustritt", obwohl es sich nur um eine an den Staat gerichtete Abstandserklärung handelt (umstritten, s. unten V). Dafür, eine mitgliedschaftsbeendende Erklärung entgegenzunehmen, ist der Staat nämlich nicht zuständig. Hauptfolge der staatlichen Abstandserklärung ist das Erlöschen der Kirchensteuerpflicht, aber auch eine Änderung der Rechtsposition in der Frage des Religionsunterrichts.

II. Kirchenmitg.liedschaft und Kindertaufe

1. Der Staat darf für seinen Bereich wegen der Religionsfreiheit dann nicht auf kirchliches Mitgliedschaftsrecht verweisen, wenn dabei jemand gegen seinen Willen dem Kirchenrecht unterworfen wird. Kritiker der Kirchensteuer sehen die Kindertaufe daher als ein Problem, da Kleinkinder noch gar keinen eigenen Willen haben und bekunden können. Das ist ein moralisches, aber nach allgemeiner Rechtsmeinung kein rechtliches Problem. Denn bei der Taufe vertreten i. d. R. beide sorgeberechtigten Eltern das Kind kraft ihres Elternrechts (Art. 6 II GG). Insofern erfolgt die Taufe (und damit nach Kirchenrecht der Kircheneintritt) "freiwillig". Demnach dürfen (keineswegs: müssen) die Kirchensteuergesetze der Bundesländer für die Kirchensteuerpflicht zumindest grundsätzlich an die durch Taufe, Konfession und Wohnsitz begründete Mitgliedschaft auch für den staatlichen Bereich anknüpfen. Dennoch ist das zumindest für den Bereich der kath. Kirche nicht ganz unproblematisch, wie sogleich gezeigt werden soll.

2. Bei der katholischen Kirche ist das Kriterium der Taufe keineswegs so eindeutig, wie meist angenommen wird. Die Kompliziertheit des katholischen Taufrechts ergibt sich aus der Tatsache, dass die Taufe in nicht weniger als 30 Canones des kirchlichen Gesetzbuchs (CIC 1983) geregelt ist (can. 849-878). Zur innerkirchlichen Gültigkeit der Taufe gibt es sogar eine umfangreiche kirchenrechtliche Spezialliteratur und viele problematische Fallgestaltungen. Den Vorschriften des CIC ist nicht immer klar zu entnehmen, wann eine Taufe gültig ist. Die bloße Mitteilung an die zuständige Behörde, jemand sei getauft, ist daher eigentlich kein rechtsstaatlich ausreichender Nachweis für das Vorliegen einer gültigen Taufe und damit des Beginns der Kirchensteuerpflicht. Fragwürdig ist im Hinblick auf das Personensorgerecht insbesondere die Regelung in can. 868 CIC, wonach es genügt, wenn nur ein Elternteil der Taufe zustimmt. Bei angenommener Todesgefahr darf sogar ein Kind nichtkatholischer Eltern gegen den Willen beider Eltern katholisch getauft werden. Die pauschale Verweisung auf das innerkirchliche Recht ist somit rechtlich zu unbestimmt. Die kirchliche Taufmitteilung an den Staat bedarf einer Plausibilitätsprüfung im Hinblick auf die Gültigkeit der Taufe. In den genannten Sonderfällen kann wegen der fehlenden freiwilligen Erklärung beider Personensorgeberechtigten jedenfalls keine Kirchenmitglied.schaft im Sinn des staatlichen Kirchensteuerrechts angenommen werden.[1]

3. Rechtspolitisch ist Folgendes anzumerken. Ein Beginn der staatlich geregelten Kirchensteuerpflicht mit der (Kinder)Taufe und ihr automatischer Fortbestand passt schlecht zur bundesrechtlichen Regelung der Religionsmündigkeit im Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RKEG) von 1924 (s. Erziehung). Nach diesem kann Jeder mit Vollendung des 14. Lebensjahrs über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft selbst entscheiden. Es läge daher nahe, bei vorangegangener Kindertaufe wenigstens die spätere Fortdauer der Zugehörigkeit zur Kirchensteuergemeinschaft von einer schriftlichen Erklärung des religionsmündigen Minderjährigen oder volljährig Gewordenen abhängig zu machen. Das wäre rechtlich völlig unproblematisch und nicht nur ehrlicher, sondern würde auch die o.g. Rechtsprobleme vermeiden.

Es sieht so aus, als ob es der Sinn der staatlichen Anknüpfung an die Kindertaufe sei, Menschen ohne persönlichen Willen auch staatlich zum (steuerpflichtigen) Kirchenmitglied zu machen, damit sie später die so übernommene Tradition leichter beibehalten. Dies ist umso eher der Fall, wenn man ihnen auch nach Eintritt der Religionsmündigkeit keine eigene Entscheidung abverlangt. Man weiß ja, dass die meisten Menschen auch auf anderen Gebieten aktive Entscheidungen scheuen, wenn es nicht sein muss. Einem solchen naheliegenden gesetzgeberischen Motiv scheint die Ansicht zugrunde zu liegen, dass Religion besonders gut integriert. Das ist aber aus vielerlei Gründen speziell auch in Deutschland nicht der Fall.[2] Ein solches Motiv wäre/ist auch wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot verfassungswidrig.

III. EKD-Mitgliedschaftsrecht

1. Bei den Landeskirchen der EKD ist das Mitgliedschaftsrecht 1970 durch eine Vereinbarung und dann durch EKD-Gesetz von 1976 einheitlich geregelt worden. Zuvor hatte es zahlreiche Probleme wegen Umzugs von einer in die andere Landeskirche gegeben ("Möbelwagenkonversion"). Nach dem jetzigen Kirchenrecht erlischt mit dem Wegzug in eine andere Landeskirche der EKD automatisch die Mitgliedschaft in der alten Landeskirche und Kirchengemeinde unter gleichzeitiger Neubegründung einer Mitgliedschaft in der neuen Landeskirche. Das ist insofern fragwürdig, als die heute 23 deutschen Landeskirchen ja inhaltlich z. T. erheblich unterschiedlichen Bekenntnissen angehören (lutherisch, reformiert, uniert; s. Kirchenorganisation, II). Daher erlaubt das EKD-Recht die Widerspruchserhebung binnen Jahresfrist mit rückwirkendem Anschluss an eine andere EKD-Kirche.

2. Eine solche Regelung gilt auch bei Zuzug aus dem Ausland, wenn zwischenkirchlich eine entsprechende Vereinbarung besteht. Bei oft uninformierten Ausländern kommt es häufig zu großem Unmut, weil sich der Automatismus des Kirchen- und ggf. sogar Konfessionswechsels auch auf das Entstehen der (fast nur in Deutschland bestehenden) Kirchensteuerpflicht erstreckt (s. Kirchensteuerrecht IV 5).

3. Die evangelischen Kirchen unterscheiden zwischen der geistlichen Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi, die durch die Taufe begründet wird, und der rechtlichen Mitgliedschaft in einer bestimmten Partikularkirche, je nach Bekenntnis und Wohnsitz. Einen förmlich-rechtlichen Austritt sehen die Landeskirchen nicht vor. Den sog. "Kirchenaustritt" nach staatlichem Recht werten die evangelischen Landeskirchen aber als vollständige Beendigung der rechtlichen Kirchenmit.gliedschaft (Mitgliedschaftsgesetz der EKD § 10 Nr. 3). Glied der geistlichen Kirche bleibt der Betreffende aus kirchlicher Sicht nach wie vor.

IV. Gestufte Mitgliedschaft in der kath. Kirche

Die grundsätzlich zutreffende Ansicht, die katholische Kirche kenne keinen Kirchenaustritt, ist ergänzungsbedürftig. Die traditionelle (vereinnahmende) Auffassung, die Kirche Christi sei identisch mit der kath. Kirche, haben die Konstitution über die Kirche (Lumen Gentium) des 2. Vat. Konzils und das kirchliche Gesetzbuch (Codex Iuris Canonici, CIC) von 1983 (s. Kirchenrecht) aufgegeben. Zwar wird die Kirchenzugehörigkeit durch die Taufe begründet, es gibt jedoch verschiedene Stufen der Zugehörigkeit. Volle Zugehörigkeit (weltweit automatisch zur jeweiligen Teilkirche, d. h. Diözese, und einer Pfarrei) erfordert jedoch Glaubensgemeinschaft und Anerkennung der Kirchenhierarchie. Die übergeordnete (geistliche) Kirchenzugehörigkeit, die durch die sakramentale Taufe begründet ist, kann zwar nicht rückgängig gemacht werden. Verstöße gegen das Kirchenrecht können aber zur kircheninternen Rechtsminderung bis zum nahezu vollständigen Rechtsverlust führen. An Sanktionen kennt das kirchliche Gesetzbuch insbesondere die Nichtzulassung zur Kommunion und zu bestimmten Ämtern.

V. Rechtsprobleme des staatlichen "Kirchenaustritts"

1. Die richtige Einordnung der kirchlichen Beurteilung dieses Vorgangs setzt das richtige Verständnis der staatlichen Regelung des sogenannten Kirchenaustritts in den Gesetzen der Bundesländer voraus. Nach bis vor kurzem allgemeiner Rechtsansicht ist streng zu unterscheiden zwischen den beiden völlig getrennten Rechtskreisen des (innerkirchlichen) Kirchenrechts und des staatlichen Religionsrechts. Das bedeutet, dass der säkulare Staat des GG für die Regelung rein interner Verhältnisse der Religionsgemeinschaften nicht zuständig ist (Trennungsgebot, Selbstverwaltungsrecht). Dazu gehören auch das Mitgliedschaftsrecht und diesbezügliche Erklärungen. Von den Besonderheiten der privatrechtlichen Religionsgemeinschaften wird hier abgesehen. Wenn Kirchen aber keinen Kirchenaustritt (Beendigung der Mitgliedschaft) zulassen, gebietet es die Religionsfreiheit dem Staat, eine Möglichkeit bereit zu halten, dass sich seine Bürger von den staatlich-rechtlichen Folgen einer Kirchenmitgl.iedschaft befreien. Das erfolgt entsprechend den Kirchenaustritts- bzw. Kirchensteuergesetzen durch förmliche Erklärung vor dem Standesamt bzw. Amtsgericht (in Bremen: kirchliche Stelle).

2. Die staatlich-gesetzlichen Vorschriften bezeichnen diesen Akt durchgängig, aber mangels staatlicher Kompetenz unzutreffend und vorsätzlich täuschend als "Kirchenaustritt". Demgegenüber hat das BVerfG schon 1971 erklärt: "Der staatlich geregelte Kirchenaustritt ist nicht darauf gerichtet, Wirkungen im innerkirchlichen Bereich herbeizuführen, sondern soll nur Wirkungen im Bereich des staatlichen Rechts auslösen."[3] Das heißt, dass der Staat den "Ausgetretenen" nicht mehr als Angehörigen der Kirche behandeln darf. Praktische Bedeutung hat das so gut wie nur für die Kirchensteuer und am Rande für den Religionsunterricht.

3. Die Falschbezeichnung des staatlichen Vorgangs als Austrittserklärung hatte und hat Folgewirkungen. Anfang der 1970 er Jahre, in einer Situation schlagartig steigender Austrittszahlen, erging eine Serie obergerichtlicher Entscheidungen zu sog. modifizierten Austrittserklärungen. Es war Mode geworden, dass kirchensteuerunwillige, aber ansonsten nach wie vor kirchlich gesinnte Bürger ihre behördliche Erklärung mit einem entsprechenden Zusatz versahen. Sie waren ja wegen der falschen Begrifflichkeit der Gesetze gezwungen, öffentlich den "Austritt" aus ihrer Kirche auch dann zu erklären, wenn sie lediglich keine Kirchensteuer mehr zahlen wollten. Sie ließen daher möglichst Zusatzerklärungen protokollieren, wonach sich die Austrittserklärung nicht auf die Kirche als Glaubensgemeinschaft beziehen sollte usw. Unabhängig von der damals umstrittenen Frage der Zulässigkeit solcher zusätzlicher (vom Staat ja provozierter) Protokollierungen konnte es für die Wirksamkeit der öffentlich-rechtlichen Erklärung (die ja per se nur die Wirkungen im staatlichen Bereich betreffen konnten) eigentlich nur maßgeblich sein, ob sie eindeutig waren.

4. Als Folge der Kontroversen verboten die meisten Bundesländer im Sinn der Kirchen solche Zusatzerklärungen. Der falsche Begriff "Kirchenaustritt" wurde beibehalten, jedoch nicht erläutert. Es verstößt bei dieser Sachlage gegen die allgemeinen Dienstvorschriften, wenn die Betroffenen nicht über die eigentliche Bedeutung der Erklärung aufgeklärt werden. Die fehlende Aufklärung verschärft den Gewissensdruck solcher Christen, die u. a. aus religiösen Gründen keine Kirchensteuer zahlen, aber sich trotzdem nicht öffentlich von ihrer Kirche distanzieren wollen. Zu Recht sagt daher Ludwig Renck: "Einen Kirchenaustritt zu beurkunden, der strictu sensu [im strengen Wortsinn] keiner ist und für den sich der Staat auch nicht zu interessieren hat, ist eine Farce und der staatlichen Autorität abträglich. Es kann auch nicht staatliche Aufgabe sein, die Bürger in religiös-weltanschauliche Bedrängnis[se] zu führen, die möglicherweise mit einem Kirchenaustritt verbunden sind..."[4] Er fordert daher zu Recht, die Gesetze zu ändern und den Begriff Austritt durch Abstandserklärung zu ersetzen.

5. Die strikte Trennung von Kirchenrecht und staatlichem Recht ist neuerdings in der Frage des kirchlichen Mitgliedsbeitrags, der ja in Form einer staatlich-kirchlichen Steuer erhoben wird, in eine eigenartige Diskussion geraten. Auslöser war der Fall des katholischen Kirchenrechtsprofessors Hartmut Zapp, der 2007 bei einem baden-württembergischen Standesamt eine Erklärung abgab unter der Überschrift "Rechtliche Zugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft". Er trug ein: "römisch-katholisch, Körperschaft des öffentlichen Rechtes" und darunter: "Ich trete aus der angegebenen Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft aus." Das Erzbistum klagte gegen die Austrittsbescheinigung, weil man nicht aus der Kirche unter Beschränkung auf ihre Eigenschaft als Körperschaft austreten könne. Das VG Freiburg hatte die Auffassung vertreten, der verwendete Begriff "Körperschaft des öffentlichen Rechts" stelle keinen unzulässigen Zusatz im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 2 KiStG dar, sondern kennzeichne nur zutreffend die Religionsgemeinschaft, aus der der Beigeladene habe austreten wollen. Das BVerwG akzeptierte zwar im Ergebnis die gegenteilige Ansicht des VGH Ba-Wü nicht, so dass es bei der Gültigkeit der Austrittserklärung blieb. Einig waren sich Berufungs- und Revisionsgericht in einer völlig neuen Sichtweise, die bei der staatlichen Erklärung zwingend eine Parallelität mit dem Austrittswillen auch bezüglich der Kirche selbst fordert.

6. Aus der an sich einfachen Unterscheidung zwischen der staatlichen und der kirchlichen Rechtssphäre ist eine erstaunliche und schwer nachvollziehbare neuartige Fachdiskussion und eine höchst verwirrende Angelegenheit geworden.[5] Die vom BVerwG 2012 vertretene These, mit der es eine ständige Rechtsprechung des BVerfG missachtet hat, ist höchst erstaunlich. Unter II 1 des Urteils heißt es, zu Recht habe der Verwaltungsgerichtshof gefordert, § 26 Abs. 1 KiStG "verlange eine Erklärung, nach deren Wortlaut der Austrittswillige sich von seiner Religionsgemeinschaft als solcher trennen will." Das wird bekräftigt durch eine weitere Passage. Unzulässig sei eine Erklärung, die selbst oder durch Zusätze den Willen zum Ausdruck bringt, nur die mit der Mitgliedschaft verbundenen Wirkungen im staatlichen Bereich zu beseitigen, in der Glaubensgemeinschaft selbst aber zu verbleiben.[6] Eine solche monistische, in der Rechtsliteratur und Rechtsprechung außer von vereinzelten kirchlichen Autoren bisher nicht vertretene These bestreitet zumindest partiell die Trennung zwischen staatlichem und innerkirchlichem Recht, verstößt gegen die ständige Rechtsprechung des BVerfG und ist zumindest in dieser Form unvertretbar. Selbst ein so "konservatives" Lehrbuch wie das von Axel v. Campenhausen und Heinrich de Wall hatte 2006 keinen Zweifel daran gelassen, dass man sich von der Religionskörperschaft nur im Hinblick auf die staatlichen Wirkungen lösen kann, ohne dass man dazu ungläubig sein müsste.[7]

Natürlich will die Kirche als Steuergläubigerin Steuern von möglichst allen Mitgliedern haben. Das macht aber den Staat nicht zum Adressaten für eine körperschaftsinterne Regelung. Es ist verfassungswidrig, einen Gläubigen, der keine Kirchensteuer zahlen, aber z.B. einen entsprechenden oder gar höheren Betrag für einen speziellen kirchlichen oder humanitären Zweck spenden will, vor die Wahl zu stellen, entweder Kirchensteuer zu zahlen oder seine Glaubensgemeinschaft zu verlassen. Die Diskrepanz resultiert aus der freiwilligen Entscheidung der Kirche, ihren Beitrag in Form einer Steuer zu erheben und zudem auch vom Staat einziehen zu lassen. Das zeigt nur erneut die Fragwürdigkeit, die staatliche Kirchensteuerverwaltung zu ermöglichen, obwohl sie im Konflikt zum Trennungsgebot des Art. 137 I GG steht.

7. Den Thesen des BVerwG ist entgegenzuhalten:

a) Sowohl die EKD-Kirchen wie die katholische Kirche sind rechtlich verfasst und könnten daher die Möglichkeit des Austritts aus der kirchlichen Rechtsgemeinschaft vorsehen. Sie tun das aber nicht. Auch halten sie freiwillig am Körperschaftsstatus fest und zwingen so wegen Art. 4 GG den Staat, den getauften Kirchenmitgliedern eine Trennung von den staatlichen Rechtsfolgen der Mitgliedschaft zu ermöglichen. Im Regelfall wird der "staatliche" "Kirchenaustritt" mit dem Motiv verbunden sein, sich von der Kirche als solcher endgültig zu lösen. Das muss aber keineswegs, wie das BVerwG jetzt aber fälschlich meint, so sein.

b) Das wird deutlich, wenn man die rechtliche Funktion der Taufe bedenkt. Die Taufe begründet zum einen die Mitgliedschaft in der Glaubensgemeinschaft Kirche (Kirchenrecht), zum anderen – nach derzeitiger landesgesetzlicher Regelung – die Mitgliedschaft in der vom Staat anerkannten Körperschaft und somit auch der Kirchensteuergemeinschaft (Art. 137 V, VI WRV). Die Taufe hat somit eine Doppelfunktion. Dabei könnten die Bundesländer den Beginn der Kirchensteuerpflicht auch anders und aus grundrechtlicher Sicht sinnvoller regeln (s. oben II 3). Würde man z.B. den Beginn der Kirchensteuerpflicht nicht nur an eine gültige Taufe und eine freiwillige persönliche bzw. elterliche Erklärung knüpfen, sondern auch an die Vollendung des 14. Lebensjahrs, so wäre die Rechtslage völlig klar. Der Betreffende könnte jederzeit, ohne dass der Staat Motivforschung betreiben dürfte, durch eine gegenteilige Erklärung gegenüber dem Staat die weltlichen Folgen der Kirchenmitgliedsc.haft beseitigen. Daraus, dass gegenwärtig die Kindertaufe mit einer doppelten Wirkung verbunden ist, kann sich keine andere Rechtslage ergeben.

c) Der Staat darf mangels Zuständigkeit keine Erklärung über die interne Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft entgegennehmen bzw. beurkunden. Ob er als Bürgerservice bei der Beurkundung des "Kirchenaustritts" den erklärten Willen des Bürgers, in seiner Glaubensgemeinschaft zu bleiben, rein informatorisch festhalten darf (warum nicht?), ist eine andere Frage. Er darf aber die im Rechtssinn abzugebende Willenserklärung nicht ohne Alternativmöglichkeit "Kirchenaustritt" nennen, da es sich nur um eine Abstandserklärung zu den sich aus dem Körperschaftscharakter ergebenden Rechtsfolgen handelt und handeln kann. Die Beurkundung eines "Kirchenaustritts" ist eine Falschdeklaration, die zumindest einer verfassungskonformen Auslegung bedarf, soll sie nicht objektiv als amtliche Falschbeurkundung gewertet werden. Die bisherigen Gesetzesformulierungen und die Verwaltungspraxis dienen ausschließlich der rechtswidrigen Abschreckung solcher Gläubiger, die gerade keinen eigentlichen Austritt im Sinn der förmlichen Distanzierung von der Kirche wollen. Das ist eine massive neutralitätswidrige Beeinflussung zugunsten der rein fiskalisch denkenden Kirchen mittels Täuschung der Bürger.

Welche Rechtsfolgen die Religionsgemeinschaft aus der dem Staat gegebenen Abstandserklärung für die religionsinterne Mitgliedschaft zieht, ist ihre Sache (s. unten VI). Jedem Bundesland stünde es frei, durch den Gesetzeswortlaut speziell nur den Austritt aus der öffentlich-rechtlichen Kirchensteuergemeinschaft zu ermöglichen. Ein korrekter Gesetzeswortlaut wäre etwa: "Die Abstandnahme von den staatlichen Wirkungen der gesetzlichen Anknüpfung an die kirchliche Taufe, insbesondere von der Kirchensteuer, mit der Wirkung ihres Erlöschens erfolgt durch entsprechende Erklärung gegenüber … (zuständige staatliche Stelle] zur Niederschrift oder schriftlich  …". Es geht lediglich um die Beseitigung von staatlichem Zwang zur Beitreibung des Mitgliedsbeitrags in Form einer "Steuer" und etwaige sonstige Wirkungen (Religionsunterricht).

VI. Kirchliche Wertung des staatlichen "Kirchenaustritts"

1. Wie erwähnt, zieht das EKD-Mitgliedschaftsrecht aus dem sogenannten Kirchenaustritt den automatischen Schluss des Erlöschens der Mitgliedschaft in der jeweiligen Landeskirche, mag das auch theologisch betrachtet im Einzelfall problematisch sein.

2. Die deutsche katholische Kirche wertet den (lediglich) gegenüber dem Staat und im Hinblick auf die Auswirkungen der Mitgliedschaft im staatlichen Rechtskreis erklärten sogenannten Kirchenaustritt generell als schwerwiegenden Pflichtverstoß. Das galt nach bischöflicher Auffassung im Deutschland von 1937 selbst bei fehlender innerer Lossagung und bei äußerem Druck mit der Folge nahezu vollständigen Rechtsverlustes: des Rechts auf Sakramentenempfang, der Gewinnung von Ablässen und kirchlicher Segnungen und Fürbitten sowie des kirchlichen Begräbnisses.

Das bekräftigten die deutschen Bischöfe 1969 u. a. mit folgenden Worten: "Der Austritt hat nicht nur Wirkungen im staatlichen Bereich, sondern auch in der Kirche ... Wenn also ein Katholik seinen Austritt aus der Kirche erklärt – aus welchen Gründen auch immer – so stellt dies eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft dar. Er kann daher am sakramentalen Leben erst wieder teilnehmen, wenn er bereit ist, seine Austrittserklärung rückgängig zu machen ..." Das heißt, dass existentielle religiöse Heilmittel von der Zahlungsmoral abhängig gemacht werden. Dabei gibt es für gläubige Katholiken und Protestanten auch ernsthafte Gründe, keine Kirchensteuer zu zahlen und stattdessen selbstbestimmte Leistungen zu erbringen.

3. Die pauschale Wertung des staatlichen "Kirchenaustritts" als förmlichen Kirchenabfall berücksichtigt nicht die fehlende Berechtigung des Staats, eine innerkirchlich wirksame Austrittserklärung entgegenzunehmen (Etikettenschwindel; s. oben V). Nach einer katholischen Mindermeinung zieht daher der staatliche "Kirchenaustritt" nur dann die Exkommunikation nach sich, wenn ihm eine glaubensmäßige Trennung zugrunde liegt. Aus Unkenntnis dieser Probleme schreckten viele, die in der Kirche bleiben, aber (z.B. aus religiösen Gründen) keine Kirchensteuer zahlen wollten, davor zurück, den Weg des staatlichen "Kirchenaustritts" zu wählen. Die unehrliche gesetzliche Terminologie des Staats unterstützt das.

4. Papst Benedikt XVI. wollte 2005/2006 die strenge Abhängigkeit der Heilsmittel von der Zahlungsmoral durch klare Direktiven beseitigen, wie man insbesondere einem Rundschreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13.3.2006 entnehmen kann. Glaubensabfall mit Folge der Exkommunikation liege nur vor bei entsprechender innerer Entscheidung, deren Kundmachung und ihrer Annahme durch die zuständige kirchliche Autorität. Damit wäre der Automatismus: keine Kirchensteuer, keine Sakramente, beseitigt. Die deutschen Bischöfe haben die vatikanische Weisung erstaunlicherweise im selben Jahr ignoriert[8] und diese fiskalische Einstellung bis heute beibehalten. Der Vatikan scheint das hinzunehmen.

VII. Flexible Kirchenpraxis

Ein ggf. verbotener Empfang von Eucharistie bzw. Abendmahl ist praktisch nicht zu verhindern. Auch unterlaufen die Kirchen bei manchen Prominenten ihre strenge Praxis selbst. So wurde der Katholik Heinrich Böll katholisch beerdigt, obwohl sein "Kirchenaustritt" bekannt war. Die evangelische Kirche hat sich – unter Protest von Verbänden "Konfessionsfreier" – nicht einmal gescheut, dem erklärten Nichtchrist Rudolf Augstein 2004 eine feierliche Trauerfeier auszurichten[9], obwohl dieser nur wenige Jahre zuvor seine große Fundamentalkritik am Christentum in völlig überarbeiteter Form vorgelegt hatte.[10] Auch der 2005 verstorbene Modeschöpfer Rudolph Moshammer erhielt trotz Kirchenaustritts katholisch-kirchliche Ehren.

VIII. Austrittsgebühr

Für den "Kirchenaustritt", der keiner ist, wird in fast allen Bundesländern eine Verwaltungsgebühr erhoben. Sie ist unterschiedlich hoch (meist um die 30 Euro) und kann bei unzureichender gesetzlicher Regelung für Erwerbslose usw. unzumutbar sein und so die Religionsfreiheit unzulässig einschränken. Für die staatliche Registrierung der Kirchenmitgliedsc.haft (Mitteilung der Taufe) als Voraussetzung der Steuererhebung wird von der Kirche keine Gebühr erhoben, für die gegenteilige Abstandserklärung ("Kirchenaustrittserklärung") von den Bürgern schon. Dabei machen die Bürger von einem Grundrecht Gebrauch, während das bei den Kirchen nicht der Fall ist. Der staatliche Kirchensteuereinzug, der die Registrierung überhaupt erst erforderlich macht, ist verfassungsrechtlich nicht einmal gesichert.

Das heißt: Ohne nachvollziehbare Begründung werden gebührenrechtlich wesentlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich behandelt: ein Verstoß gegen Art. 3 I GG. Dennoch hat das BVerfG 2008 eine eingehend begründete Verfassungsbeschwerde gegen die Kirchenaustrittsgebühr in NRW nicht zur Entscheidung angenommen und deutlich erkennen lassen, dass es am derzeitigen System mit staatlichem Kirchensteuereinzug trotz deutlicher verfassungsrechtlicher Kritik unter keinem Gesichtspunkt rütteln lassen will. Bei wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit komme eine Gebührenermäßigung oder Befreiung in Betracht.[11]

IX. Kirchenmitgliedsc.haft und Beitritt der DDR zur Bundesrepublik

In Berlin-Brandenburg gibt es bis heute eine staatlich-kirchliche Rasterfahndung, damit die Kirchen nach kirchlich erbrachtem Taufnachweis selbst nach Jahrzehnten Kirchensteuer von nichtkirchlichen Bürgern erheben können. Diese Problematik hat viel böses Blut gemacht (s. dazu den Artikel Kirchensteuer).

Elternrecht; Kirchenorganisation; Kirchenrecht; Kirchensteuer; Kirchensteuerrecht; Körperschaftsstatus; Erziehung; Selbstverwaltungsrecht.

Literatur:

  • BVerfG 30, 415 (Rechtswirkung der sogenannten Austrittserklärung nur für den staatlichen Bereich, stRspr.).

  • BVerfGE 83, 341 = NJW 1991, 2623 (Bahá’í. betrifft privatrechtliche Religionsgemeinschaften).

  • BVerfG B. v. 2. 7. 2008 = NJW 2008, 2978 = bverfg.de/entscheidungen/rk20080702_1bvr300607  (Kirchenaustrittsgebühr; Nichtannahmebeschluss).

  • BVerwGE 144, 171 = NVwZ 2013, 64, U. v. 26. 9. 2012 - BVerwG 6 C 7.12 = Pressemitteilung bverwg.de/presse und bverwg.de/entscheidungen (zur Bedeutung der staatlichen "Kirchenaustrittserklärung", Fall Zapp).

  • Augsberg, Ino: "Wer glauben will, muss zahlen"? Erwerb und Aufgabe der Kirchenmitgliedsch.aft im Spannungsfeld von Kirchenrecht und Religionsverfassungsrecht. AöR 138 (2013), 493-535.

  • Bier, Georg (Hg.): Der Kirchenaustritt. Rechtliches Problem und pastorale Herausforderung. Freiburg 2013.

  • v. Campenhausen, Axel/de Wall, Heinrich: Staatskirchen.recht, 4. A. 2006, 149-162 (Mitgliedschaftsrecht).

  • Engelhardt, Hanns: Einige Gedanken zur Kirchenmitglieds.chaft im kirchlichen und staatlichen Recht, ZevKR 1996, 142-158.

  • Graulich, Markus: Ist der Kirchenaus.tritt ein actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica ? KuR 2008,1-16.

  • Hammer, Felix: Der Kirchenaustr.itt im staatlichen und kirchlichen Recht, ZevKR 2013, 200-209.

  • Krämer, Peter: Die Zugehörigkeit zur Kirche, HdbKathKR, 2. A. 1999, 200-209.

  • Reimer, Philipp: Der Kirchenaust.ritt zwischen Landesrecht, Bundesrecht und Kirchen.recht. Zugleich Anmerkung zu BVerwG, Urteil vom 26.9.2012 – 6 C 7.12, JZ 2013, 136-140.

  • Renck, Ludwig: Kirche.nsteuer und Kirchenau.stritt, BayVBl 2004,132-136.

  • Renck, Ludwig: Verfassungsprobleme des Kirchenaustritts aus kirchensteuerlichen Gründen, DÖV 1995,373-375.

  • Renninger, Philipp: Der Fall Zapp, in: Bucerius Law Journal 2015 H. 1,21 ff. (online)  http://law-journal.de/archiv/jahrgang-2015/heft-1/der-fall-zapp/  

  • Winter, Jörg: Probleme des Territorialprinzips im Mitgliedschaftsrecht der Evangelischen Kirche im europäischen Kontext. KuR 1999 Nr. 550, S. 25- 32.

  • Wir sind Kirche v. 27.05.2006: Umdeutung römischer Erklärung zum Kirchenaustritt durch die deutschen Bischöfe.

  • Zapp, Hartmut: Körperschaftsaustritt wegen Kirchensteuern - kein "Kirchenaustritt", KuR 2007, 66-99 (materialreiche innerkirchliche Kritik).

www.wir-sind-kirche.de/?id=128&id_entry=70  (keine automatische Exkommunikation).

 


  • [1] S. dazu auch die kritischen Anmerkungen bei C. D. Classen, Religionsrecht, 2. A. 2014, S. 168.
  • [3] BVerfGE 30, 415/426, st.Rspr.
  • [4] L. Renck, DÖV 1995, 373/375.
  • [5] Besonders deutlich wird das etwa bei P. Renninger a.a.O. 2015.
  • [6] BVerwGE 144,171.
  • [7] v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. A. 2006, 160 f.
  • [8] Erklärung vom 24.4.2006.
  • [9] Allerdings im Einvernehmen mit der Familie Augstein.
  • [10] R. Augstein, Jesus Menschensohn, Hamburg 1999.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)