Missbrauch in der Kirche – erhebliche Versäumnisse der Ermittlungsbehörden
Mit deutlichen Worten kritisiert ifw-Direktor Jörg Scheinfeld die Versäumnisse der Staatsanwaltschaften bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle in der Kirche gegenüber dem WDR und der tagesschau am 25.09.2023.
Hintergrund ist eine Recherche des WDR zu den Ermittlungstätigkeiten der Staatsanwaltschaften. Trotz der hiesigen Strafanzeige im Jahr 2018 passierte letztlich zu wenig und nicht das Gebotene: "Bis Anfang 2023 hatte aber noch keine einzige Staatsanwaltschaft die Leitung eines Bistums durchsuchen lassen, wie die WDR-Umfrage unter allen für die 27 Bistümer zuständigen Staatsanwaltschaften ergeben hat. Die Begründung: Es habe keinen Anlass gegeben zu vermuten, dass die Kirche etwas verheimlichen würde."
Das Vorgehen überrascht sehr und steht im Widerspruch zu herkömmlichen Ermittlungstätigkeiten, bei den sich Staatsanwaltschaften üblicherweise nicht darauf verlassen, freiwillig belastendes Material zur Verfügung gestellt zu bekommen. Scheinfeld erläutert: "Das wäre, als ob man im Abgas-Skandal höflich bei VW angefragt hätte, ob das Unternehmen Unterlagen liefern könne, die es belasten, anstatt die Geschäftsräume zu durchsuchen."
Ifw-Beirat Rolf Herzberg sprach ebenfalls mit dem WDR und gab für einen konkreten Fall sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bedenken: "Dass die Zeuginnen nicht aussagen wollten, beseitige ja nicht die handfesten Tatsachen. Es ist doch mit Händen zu greifen, dass da was nicht in Ordnung war."
Der nordrhein-westfälische Justizminister Dr. Benjamin Limbach ist sich seiner Verantwortung anscheinend nicht bewusst: "Sie werden mir nachsehen, dass ich als Justizminister zu einzelnen Fällen kaum Stellung nehmen kann, ohne dann dort in die Rechte anderer Institutionen einzugreifen." Das ist nicht plausibel: ",Da macht es sich Herr Limbach etwas einfach‘, sagt Jörg Scheinfeld. ,Wer, wenn nicht der oberste Dienstherr, kann die Ermittlungsbehörden anweisen, ihre Arbeit ordentlich zu erledigen?‘ Zudem gebe es bereits Fälle, in denen das NRW-Justizministerium interveniert habe. "Ein relativ aktueller Fall sind die Vergewaltigungen an einer Bielefelder Klinik‘, sagt der Strafrechtsprofessor. Dort hatte das Justizministerium das von der Staatsanwaltschaft Bielefeld eingestellte Verfahren überprüft und anschließend an die Staatsanwaltschaft Duisburg übergeben. ‚Das war ein Einzelfall, genau wie die Fälle in der MHG-Studie‘, sagt Scheinfeld."
"Unsere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte", versicherte Justizminister Limbach, "gehen bei jedem Anfangsverdacht gleichermaßen vor. Es interessiert nicht der Geldbeutel oder ein Kardinalshut." Das kommentiert die stellv. Ifw-Direktorin Jessica Hamed auf X (ehemals Twitter) kritisch: "Als jahrelang tätige Strafverteidigerin kann ich diesen Eindruck nicht bestätigen. Hätte man bei meinen Mandantinnen und Mandanten dieselbe Nachsicht walten lassen, wie gegenüber den klerikalen Tätern #sexuellenMissbrauchs hätte ich so gut wie keine Fälle. […] Und bei #CumEx nun dasselbe. Offenbar hat Limbach wenig Interesse die ohnehin höchst komplexen Ermittlungen zu fördern. […] Dazu muss man wissen, dass der Justizminister der oberste Chef der Ermittlungsbehörden ist. Die Staatsanwaltschaft ist eine abhängige Behörde und entsprechend weisungsgebunden. Mangels Unabhängigkeit dürfen deutsche Staatsanwälte auch keinen europäischen Haftbefehl ausstellen, wie der EuGH im Mai 2019 entschied. Die Strafverfolgung ist somit in brisanten Fällen durchaus politisch übersteuert."
Im Hinblick auf das Bedauern Limbachs, der kirchliche Umgang mit den Missbrauchsfällen gefährde das Vertrauen in "wichtige Institutionen" und "dass es ihn ungemein schmerze, wie die Kirchen, vor allem die offiziellen Seiten, mit dieser Missbrauchsproblematik umgingen", regt Scheinfeld abschließend an: ",Wenn Herr Limbach das ernst meint, soll er sich bitte für das Einrichten einer staatlichen Kommission stark machen, die die Fälle unabhängig untersucht‘ […]. Diese müsse dann aber auch von Seiten der Kirche mit dem Zugang zu allen benötigten Unterlagen ausgestattet werden. Möglichkeiten, dafür etwas Druck auf die Kirchen auszuüben, habe der Staat durchaus. ,Die Kirche ist ja eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts mit besonderen Befugnissen, aber auch Pflichten, wie beispielsweise einer besonderen Wahrheitspflicht‘ […]. ‚Wenn der Eindruck entsteht, dass die Kirche diesen Pflichten nicht nachkommt, kann der Staat auch darüber nachdenken, ihr die Sonderstellung zu entziehen.‘"
Dazu, dass durch ordnungsgemäße Ermittlungen der Missbrauch eines weiteren Kindes (Lisa) hätte vermieden werden könnte, ging Justizminister Limbach im Interview nicht ein.