Katholizismus

I. Begriff
Der unpräzise Begriff K. ist zumindest sprachlich der Gegenbegriff zum Protestantismus und zu unterscheiden vom Begriff Kirche. Es geht zum einen um eine spezifische gesellschaftliche Interessenwahrnehmung der katholischen Gruppierungen im 19. und 20. Jh., zum anderen weltweit um die jeweilige Gesamterscheinung des katholischen Glaubens.

II. Katholizismus als gesellschaftliche Interessenwahrnehmung
K. im engeren Sinn meint die Außenseite der Kirche in Form der Interessenwahrnehmung der Katholiken in der jeweiligen Gesellschaft. Er ist eine Besonderheit des 19. und 20. Jh. Die Säkularisation von 1803 und das Ende des alten deutschen Reiches 1806 mit Schaffung lebensfähiger deutscher Staaten erzwangen im Ergebnis eine Modernisierung der Kirche zu ihrem Vorteil (Entfeudalisierung). Die Auflösung der ständischen Gesellschaft und zunehmende Verselbständigung von Staat und Kirche ermöglichten gesellschaftliche Aktivitäten katholischer Gruppierungen von Bürgern. Trotzdem versteht man unter K. ein relativ geschlossenes System religiös-kultureller, sozialer und politischer Lebensformen.

Der Begriff K. meint speziell die konfessionelle Identität papsttreuer Katholiken (Ultramontanismus im 19. Jh.). Diese wurde gefördert durch die Minderheitenposition und Benachteiligungen im protestantischen Deutschland, insbesondere Preußen. So lösten etwa die Kölner Wirren (1837) mit Verhaftung des Kölner Erzbischofs und andere Ereignisse Solidarisierungseffekte aus. Es entstand eine neue Polarisierung zwischen Katholiken und Protestanten. Zur Durchsetzung ihrer Interessen bediente sich die katholische Bewegung in Deutschland der liberalen Grundrechte, obwohl gerade diese von den Päpsten sonst scharf verurteilt wurden. Die katholischen Laien bildeten für alle Lebensbereiche Vereine und Institutionen aus (bereits 1846: Gesellenvereine Adolf Kolpings), die trotz der Papsttreue von der Kirchenhierarchie ziemlich unabhängig waren. Aus dem 1848 gegründeten Dachverband „Katholischer Verein Deutschlands“, der sich auch für die Beseitigung sozialer Missstände einsetzte, wurde später der Deutsche Katholikentag. Ab 1870 bildeten sich Zentrumsfraktionen und Zentrumspartei, mit der der politische K. erhebliche Bedeutung gewann. Die zahlreichen Bewegungen bildeten zusammen ein katholisches Milieu.

III. Weimarer Zeit und Adenauer-Ära
In der Weimarer Zeit wurde der politische K. in Form der Zentrumspartei (in Bayern: Bayerische Volkspartei) unter dem Druck der Tatsachen zusammen mit den Sozialdemokraten und Linksliberalen Bestandteil der Weimarer Koalition. Das Verhältnis zur Republik war aber bestenfalls ambivalent. Der politische K. endete 1933 nach der (intern umstrittenen) Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz mit der Selbstauflösung des Zentrums wenige Tage vor der textlichen Festlegung des Reichskonkordats in Rom. Nach 1945 sammelte sich das politische Christentum in den christlich-überkonfessionellen Parteien CDU und CSU, in denen aber der Katholizismus gerade in der Wählerschaft stets dominierte und in der Adenauer-Ära (1949-1963) mit ihrem Klerikalismus die Bundesrepublik prägte. Dies und den allmählichen Bedeutungsverlust des politischen K. hat Thomas Gauly 1991 eingehend dokumentiert. Das katholische Milieu, das viele Menschen ihr Leben lang in vielen Bereichen umgab, ist etwa seit 1965 weitgehend zusammengebrochen. Der nach wie vor beachtliche politische Einfluss der Kirchen wird weitgehend durch staatliche Krücken (Fülle an Subventionen und andere Privilegien) und die Medien ermöglicht, ohne dass aber die weitere Verweltlichung (Säkularisierung) dadurch aufgehalten würde. Wie bedeutend der kirchliche Lobbyismus ist, wurde erst 2015 mit einer einschlägigen Untersuchung von Carsten Frerk offenbar.

IV. Vatikan
Im Gegensatz zum deutschen Katholizismus, der im 19. Jh. nur in den Niederlanden und der Schweiz mit politischen und sozialen Bewegungen Parallelen hatte, schottete sich die Kirchenpolitik des Vatikan insbesondere unter den Päpsten Pius IX.[1] und Pius X.[2] rigide von den vorherrschenden Liberalisierungs- und Modernisierungstendenzen ab. Die innerkirchliche Zentralisierung erreichte ein historisch bisher unbekanntes Maß (Dogmen des 1. Vat. Konzils 1870 bzw. Kirchenrechtsreform, abgeschlossen 1917). Eine Gegentendenz entwickelte der moderate Leo XIII. (1878-1903) mit seiner katholischen Soziallehre. Einen großen Modernisierungsschub brachte erst das teilweise revolutionäre 2. Vat. Konzil (1962-1965), dessen nachhaltige positive Bedeutung aber seit langem in vieler Hinsicht infrage gestellt scheint.

V. Katholizismus im generellen Sinn
In einem allgemeinen Sinn bezeichnet der Begriff K. die Gesamtheit der jeweiligen katholischen Glaubens- und Lebensanschauungen, ihrer Organisationsformen und Bräuche im Sinn des tatsächlichen Denkens, Empfindens und Handelns der katholischen Bevölkerung, besonders dort, wo sie die Mehrheit bildet und milieuprägend wirkt. Als weltweite, zentral von Rom aus gesteuerte Kirchenorganisation ist der K. gekennzeichnet durch die Anerkennung des Papstes als oberste Entscheidungsinstanz in Fragen des Glaubens und der Kirchenorganisation. Es gibt ein zentrales Lehramt, die strenge Unterscheidung zwischen Priestern und Laien, eine durchgehende Hierarchie, sieben Sakramente als Heilsmittel, eine besondere Verehrung der Gottesmutter Maria, generell eine ausgeprägte Heiligenverehrung, eine ausgefeilte Liturgie mit vielen Riten, ein ausgeprägtes Ordensleben (Mönche und Nonnen), ein starkes Priestertum (Klerus) als Mittler zwischen Gott und den Menschen und Prunkentfaltung. Der Sinn für Macht und institutionelles Denken ist stark ausgeprägt. Die Ortskirchen in den verschiedenen Teilen der Welt führen jedoch oft ein starkes Eigenleben.

Katholische Kirche und Moderne; Kirchenorganisation; Kirchenrecht; Klerikalismus; Lobbyismus, kirchlicher; Privilegien; Religionsförderung; Säkularität, Säkularisation, Säkularisierung.

Literatur:

  • Frerk, Carsten: Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus. Aschaffenburg 2015.
  • Gauly, Thomas M.: Katholiken. Machtanspruch und Machtverlust. Bonn 1991, 474 S.
  • Klöcker, Michael: Katholisch – von der Wiege bis zur Bahre. Eine Lebensmacht im Zerfall? München 1991, 520 S. (zum kath. Milieu im 20. Jh.).
  • Lönne, Karl-Egon: Politischer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, 1986, 339 S.
  • Katechismus der Katholischen Kirche, 1993 (Hg.: Vatikan; „Weltkatechismus“); Katholischer Erwachsenenkatechismus. Das Glaubensbekenntnis der Kirche. 1985 (Hg.: Deutsche Bischofskonferenz); Katholischer Erwachsenenkatechismus 2. Band. Leben aus dem Glauben. 1995 (Hg.: Deutsche Bischofskonferenz).
  • http://www.vatican.va/phome_ge.htm  (Vatgggikan: umfassend);
  • www.katholisch.de  (offizielle Seite, Deutschland);
  • www.kath-kirche.at  (offizielle Seite Österreich);
  • www.kath.ch  (offizielle Seite Schweiz);
  • www.zdk.de  (Zentralkomitee d. dt. Katholiken. Gesellschaft und Kirche);
  • www.kath.de  (priv. Angebot, viele Links);
  • www.kath.net (unabh. österr. Angebot; viele Vatikandokumente);
  • www.dbk.de (Deutsche Bischofskonferenz).
 


[1] Pius IX.,1846-1878; „Syllabus errorum“; seliggesprochen 2000.
[2] Pius X., 1903-1914; „Antimodernismus“; heiliggesprochen 1954.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)