Sexualisierte Gewalt in der Kirche – Diskussion im Bayrischen Landtag

Am 20. April 2023 diskutierten Abgeordnete und Sachverständige im Verfassungsausschuss des Bayrischen Landtags darüber, wie sich sexualisierte klerikale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufarbeiten lässt.

Im Rahmen dessen wurden Vertreter:innen der großen Landeskirchen, Wissenschaft und Justiz sowie Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs angehört.

Bedauerlicherweise sind die Stellungnahmen der Sachverständigen (noch) nicht auf der Seite des Bayrischen Landtags einzusehen. Unser ifw-Beirat Holm Putzke hat seine Stellungnahme der Öffentlichkeit hingegen erfreulicherweise zugänglich gemacht.

Putzke findet dort klare Worte und thematisiert das Justiz- und Staatsversagen prägnant und ebenso zutreffend, wie er im Hinblick auf die teilweise bewusste Verschleierung der Kirche bzgl. ihrer eigenen Haftung (sog. Amtshaftung) deutlich macht:

"Um eine bewusste Irreführung von Missbrauchsopfern handelt es sich, wenn behauptet wird, dass Ansprüche gegen den Täter zu richten sind und es gleichzeitig unterlassen wird, darüber zu informieren, dass die Kirchen in vielen Fällen Schuldner eines Amtshaftungsanspruchs sind. Denn es ist die Pflicht jeder Anstellungskörperschaft, pädophile Amtsträger von Kindern fernzuhalten. Verantwortungsübernahme sowie Anerkennung von Unrecht und Leid setzen zudem voraus, Opfer nicht mit beschämend geringen Entschädigungsbeträgen abzuspeisen oder für außergerichtliche Verhandlungen nicht zur Verfügung zu stehen und Opfer so in Prozesse zu treiben. Das könnte den Eindruck einer gezielten Ermüdungsstrategie erwecken und bestärken."

Die Süddeutsche Zeitung zitierte Putzke u.a. wie folgt:

"An seiner Seite hat Keupp den Passauer Strafrechtsprofessor Holm Putzke: ,Wir brauchen eine Art Wahrheitskommission.‘ Als ,menschenverachtend‘ kritisiert er die jahrzehntelange Vertuschung in der katholische Kirche. ,Jetzt muss der Staat eingreifen!‘ Das Gremium brauche ,ein robustes Mandat‘, um Zeugen befragen und Akten anfordern zu können, ähnlich einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. […]

Die bisherige Rolle des Staates bei der Aufklärung von Missbrauch wird auch diskutiert, genauer: die der bayerischen Justiz. Wieder ist es Putzke, der in Passau in der CSU aktiv ist, der am deutlichsten wird: Die Justiz habe über Jahre offenbar ,Beißhemmungen‘ gehabt im Umgang mit kirchlichen Beschuldigten. Für ,zwingend‘ hält er eine staatliche Untersuchung, um den entstandenen Eindruck einer ,Sonderbehandlung‘ zu klären. Auch das Agieren der Staatsanwaltschaft im Kontext des jüngsten Münchner Missbrauchsgutachtens kritisiert Putzke. Als die Erzdiözese 2020 ankündigte, einer Anwaltskanzlei Missbrauchs-Akten zur Verfügung zu stellen, hätte die Staatsanwaltschaft nicht abwarten dürfen, bis die Anwälte die Unterlagen auswerteten und an die Ermittler weiterreichten. Sie hätte sie sich sofort beschaffen müssen, ,das ist die heilige Pflicht der Staatsanwaltschaft‘."

Einigkeit bestand bei allen Beteiligten jedenfalls darin, dass es einer Aufarbeitung bedarf. Wie diese aber zu erfolgen hat, ob eine von den Expert:innen geforderte Aufarbeitungskommission eingerichtet wird und ob es gelingen wird, ein sinnvolles Präventionskonzept zu erarbeiten, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.