Verfassungsbeschwerde: Anerkennung von Piratenkopftuch als weltanschauliche Kopfbedeckung

Sachverhalt

Der Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins "Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V.", im Folgenden "Herr W." genannt, benötigt einen neuen Personalausweis. Bereits zuvor hatte er bei Beantragung eines neuen Führerscheins erreicht, dass er auf dem Führerscheinfoto mit einer religiösen Kopfdeckung abgebildet ist. Der Verein ist steuerbefreit, weil er ausschließlich kirchlichen und gemeinnützigen Zwecken im Sinne der Abgabenordnung dient.

Herr W. beantragt im August 2013 bei der Stadtverwaltung der Stadt Templin die Ausstellung eines Personalausweises mit einem Lichtbild mit religiöser Kopfbedeckung als Pastafari. Zur Begründung führt er aus, dass die Pastafari Piratenkopfbedeckungen tragen und er sich persönlich verpflichtet fühle, das nicht nur in der Öffentlichkeit zu tun, sondern auch auf seinem Ausweis. Herr W. begründet seinen Antrag für die Verwendung eines Passbildes mit Piratenkopfbedeckung unter anderem damit, dass er sich durch seine immer stärkere Hinwendung zum Pastafaritum und durch seine besondere Rolle in der Gemeinschaft seit langem verpflichtet fühle, in der Öffentlichkeit die religiösen Kopfbedeckungen der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. zu tragen. Es würde ihn in einen enormen Gewissenskonflikt stürzen und ihn in seiner Menschenwürde verletzen, wenn er dieses öffentliche Bekenntnis nicht auch auf seinem Personalausweisfoto bekunden könne und dadurch seine Religion als minderwertig dargestellt würde.

Die Stadt Templin bittet daraufhin das Ordnungsamt des Landkreises Uckermark um eine Stellungnahme. Dieses leitet die Anfrage mit der Frage, ob die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. eine Religionsgemeinschaft sei, an das Innenministeriums des Landes Brandenburg weiter. Das Ministerium gibt die Anfrage an das Bundesinnenministerium weiter. Dieser Weiterleitungs-Email ist eine bereits im April 2013 erarbeitete Rechtsauffassung beigefügt, wonach entsprechende Anträge, wie sie der Beschwerdeführer gestellt hat, abzulehnen seien. Darin werden Zweifel angemeldet, ob die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland  e.V. eine Religionsgemeinschaft sei. Sie sei nur eine Meinungsäußerung zur Religion, aber keine Religion. Zweifelhaft sei darüber hinaus, ob es eine religiös-bedingte Verpflichtung bei der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. gebe, eine religiöse Kopfbedeckung zu tragen. Ohnehin bestehe der Verdacht, dass es nicht um die religiöse Kopfbedeckung gehe, sondern um einen "Protest gegen vermeintlich unberechtigte Privilegien von Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften".  Das Bundesinnenministerium kommt nur einen Tag später zu dem knappen Ergebnis, die Glaubens-und Gewissensfreiheit sei zwar eines der zentralen und wesentlichen Grundrechte der demokratischen Gesellschaftsordnung, "Spaß-Religionen" seien indes nicht von Art. 4 GG geschützt. Auch die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. als eingetragener Verein unterliege nicht dem Schutz nach Art. 4 GG. Insoweit seien Lichtbilder mit einem Nudelsieb o.ä. als Kopfbedeckung im Rahmen des Personalausweisantragsverfahrens abzulehnen.

Basierend auf diesen Auskünften ergeht an die Stadt Templin seitens des Ordnungsamtes des Landkreises Uckermark die Aufforderung, den Antrag des Beschwerdeführers abzulehnen. Entsprechend erlässt die Stadt Templin einen Ablehnungsbescheid.

Der Ablehnungsbescheid der Stadt Templin gründet im Wesentlichen auf dem Argument, die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. sei als Spaß-Religion anzusehen, so dass sie nicht dem Schutz von Art. 4 GG unterliege.

Verfahrensstand

Gegen diesen Bescheid legt der Beschwerdeführer Widerspruch ein. Zur Begründung führt er aus, dass die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. keine Spaßreligion, sondern genauso ernsthaft wie andere Religionen auch sei. Das Internet sei als Argumentationsgrundlage ungeeignet. Der Staat habe auch nicht die Berechtigung, die Logik oder Glaubwürdigkeit von Glaubenswahrheiten zu prüfen, sondern diese zu akzeptieren. Auch verwehre er sich dagegen, ihm bestimmte Gründe für seinen Antrag zu unterstellen. Der Beschwerdeführer moniert zwei schwere Fehler: Die Behörde habe nicht geprüft, ob die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. eine Weltanschauungsgemeinschaft sei. Weiter komme es nicht darauf an, ob Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften das Tragen von Kopfbedeckungen vorschreiben, sondern ob sich der Einzelne dazu verpflichtet fühle.

Den Widerspruch weist der Landkreis Uckermark zurück, da man keine fehlerhafte Anwendung des geltenden Rechts feststellen könne.

Dagegen erhebt Herr W. Klage vor dem Verwaltungsgericht Potsdam mit dem Antrag, den Ablehnungsbescheid der Stadt Templin aufzuheben. Er argumentiert, dass er als Vorsitzender der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. verpflichtet sei, dem Gebot des Tragens von Kopfbedeckungen nachzukommen. Er trage die Kopfbedeckung regelmäßig in der Öffentlichkeit. Die Verpflichtung ergebe sich aus dem "Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters". Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. verstehe sich als Weltanschauungsgemeinschaft und sei mit Religionsgemeinschaften gleich zu behandeln. Die Vereinseigenschaft könne kein entscheidendes Merkmal für die Ablehnung sein; immerhin gebe es auch islamische Vereinigungen, die als Verein organisiert seien. Entscheidend sei darüber hinaus, inwieweit sich der einzelne aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen zum Tragen einer Kopfbedeckung verpflichtet fühle. Auch insoweit sei ein Vergleich mit dem Islam zu ziehen.

Das Verwaltungsgericht weist die Klage ab: Der Ablehnungsbescheid sei rechtmäßig und verletze den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten. Begründet wird dieses Ergebnis damit, dass die Ausnahme davon, dass ein Lichtbild im Personalausweis nicht mit einer Kopfbedeckung angefertigt werden dürfe, dem Schutz des religiösen Bekenntnisses des Ausweisinhabers nach Art. 4 GG diene. Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. sei i.S.v. Art. 4 GG keine Religionsgemeinschaft und auch keine Weltanschauungsgemeinschaft. Sie sei eine reine Religionsparodie. Damit fehle der rechtlich erforderliche Bezug zu einer Religion oder einer Weltanschauung, die eine Ausnahmeregelung nach § 7 PAusV rechtfertigen könne. Das Verwaltungsgericht lässt keine Berufung gegen dieses Urteil zu.

Gegen dieses Urteil beantragt Herr W.  daher die Zulassung der Berufung. Zum einen habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass es sich bei der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. um eine Weltanschauungsgemeinschaft handele. Ausführlich wird erklärt, warum der Verein eine Weltanschauungsgemeinschaft ist. Sie stützt sich auf die Grundsätze des evolutionären Humanismus nach Julian Huxley, der in Deutschland von der Giordano­-Bruno-Stiftung vertreten wird. Der Verein ist in den Förderkreis der Stiftung aufgenommen. Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. erfülle die rechtlichen Anforderungen an eine Weltanschauungsgemeinschaft, die in der obergerichtlichen bzw. verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung definiert sind. Das Verwaltungsgericht hingegen habe sich von den satirischen Stilmitteln ablenken lassen und sich nicht mit den weltanschaulichen Grundlagen befasst.

Im August 2019 lehnt das Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg den Antrag auf Zulassung der Berufung mit unanfechtbarem Beschluss ab. Es reiche nicht aus, dass sich der Verein als Weltanschauungsgemeinschaft verstehe, er müsse auch gemessen an dem Begriff der Weltanschauungsgemeinschaft eine sein. Der Beschwerdeführer stelle nur seine eigene Interpretation gegen die des Gerichts. Es habe auch nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft. Aus Sicht des Senats sei die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. weder als Religions- noch als Weltanschauungsgemeinschaft anzusehen, weil der Verein nach seiner Satzung und seinem Auftreten lediglich das Ziel verfolge, sich satirisch mit als intolerant und dogmatisch empfundenen Anschauungen auseinanderzusetzen, und dazu als Mittel der Religionssatire Texte und Symbole imitiere und verfremde, die der christlichen Religion entlehnt seien. Entsprechend könne sich der Beschwerdeführer auch nicht auf Art. 4 GG berufen. Auf die humanistischen Grundlagen geht der Senat an keiner Stelle des Beschlusses ein.

Dagegen legt Herr W., vertreten durch den ifw-Beirat Winfried Rath, Verfassungsbeschwerde ein. Er sieht sein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die Verwehrung des effektiven Rechtsschutzes verhindert die Klärung der für den Beschwerdeführer wichtigen Frage, dass die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. eine Weltanschauungsgemeinschaft ist und damit der Weg zu einer Entscheidung über seinen Antrag eröffnet wird, auf seinem Personalausweisbild seine weltanschauliche Kopfbedeckung tragen zu dürfen.

Das Bundesverfassungsgericht lehnt mit Beschluss vom 03.05.2022 die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung unter Hinweis darauf, dass "eine über Religionssatire hinausreichende weltanschauliche Verpflichtung zum Tragen einer Kopfbedeckung nicht plausibel gemacht" worden sei, ab. Gegen diesen Beschluss legt Herr W., weiterhin vertreten durch den ifw-Beirat Winfried Rath, am 30.09.2022 mit umfassender Begründung Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein.

In ihr werden nochmals prägnant und anschaulich die Inhalte der "Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V." dargestellt. Die Ausführungen verdeutlichen, was auch ausdrücklich hervorgehoben wird, dass sich der Zweck des Vereins keineswegs nur in einer Religionsparodie erschöpfe, sondern dass es gerade einen positiven Inhalt für eine gemeinsame weltanschauliche Betätigung gebe. Der Verein vermittle nämlich die Grundsätze des evolutionären Humanismus und eine darauf beruhende moralische Überzeugung. 

In der EGMR-Beschwerde wird zunächst die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK (effektiver Rechtsschutz) gerügt. Beanstandet wird, dass dem Beschwerdeführer rechtswidrig der Zugang zum Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht verwehrt worden sei. Darin erblickt der Beschwerdeführer eine "unzumutbare Einschränkung des Zugangs zum Berufungsgericht". Gerügt werden die überspannten Anforderungen an die die Darlegung eines Zulassungsgrundes, die das Rechtsmittel auf diese Weise letztlich "leerlaufen" lassen würden.

Ferner wird die Verletzung von Art. 9 Abs. 1 und 2 (Gedanken-Gewissens- und Religionsfreiheit) sowie Art. 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) beanstandet. Gerügt wird in dem Zusammenhang die Verweigerung der deutschen Behörden, den Verein als Weltanschauungsgemeinschaft anzuerkennen und die damit einhergehende Diskriminierung gegenüber anderen Weltanschauungsgemeinschaften, deren Mitgliedern das Tragen einer Kopfbedeckung auf einem Passbild gerade gestattet wird. Dem Beschwerdeführer hingegen sei dieses Recht abgesprochen worden. Angesichts dessen sei auch Art. 14 EMRK  i.V.m. Art 9, 11 EMRK verletzt (Diskriminierungsverbot).

Rechtliche Problematik

1. Aspekt: Staatliche Befugnis, zu entscheiden, welche Organisation als Kirche/Religionsgemeinschaft gilt

Der Ablehnungsbescheid der Stadt Templin gründet sich im Wesentlichen auf dem Argument, die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. sei als Spaß-Religion anzusehen, so dass sie nicht dem Schutz von Art. 4 GG unterliege. Sie sei ein eingetragener Verein und keine Religionsgemeinschaft i.S.d. Nr. 6.2.1.1.4 PassVwV. Es handele sich um einen offensichtlichen Versuch, mittels eines Personalausweises die Anerkennung der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. als Kirche in Deutschland zu erreichen.

Das ifw teilt diese Auffassung nicht: der Staat hat nicht die Berechtigung bzw. die Aufgabe, die Logik oder Glaubwürdigkeit von Glaubenswahrheiten zu prüfen, sondern hat den Umstand, dass eine Person an etwas glaubt, unabhängig von der inneren Logik oder Richtigkeit der Glaubensinhalte zu akzeptieren.

2. Aspekt: Gleichberechtigung von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften

In der Begründung des Ablehnungsbescheids unterlässt es die Behörde, zu prüfen, ob die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. eine Weltanschauungsgemeinschaft ist.

Das ifw hält dies aber für eine relevante Frage, denn als Weltanschauungsgemeinschaft genösse sie den gleichen Schutz von Art. 4 GG wie Religionsgemeinschaften (Art. 137 (7) WRV i.V.m. 140 GG).

3. Aspekt: Stärke der religiösen/weltanschaulichen Pflicht

Die Stadt Templin ist der Auffassung, es fehle auch an einer Verpflichtung der Mitglieder der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V., eine bestimmte Kopfbedeckung zu tragen. Zwar finde sich auf der Homepage der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. der Satz: "Es, das Fliegende Spaghettimonster, gebietet uns deshalb, bei jeder Gelegenheit, zumindest aber an unseren Feiertagen und bei unseren religiösen Handlungen, im Piratenornat aufzutreten." Daraus könne jedoch kein zwingendes Gebot zum Tragen einer Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit abgeleitet werden. Besonders zweifelhaft sei das, wenn die Motivation für den Antrag ersichtlich auf Erwägungen beruhten, die eindeutig einem anderen als dem religiösen Bereich zuordnen ließen.

Dies scheint aus Sicht des ifw kein überzeugendes Argument zu sein denn in den meisten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gibt es verschiedene Auslegungen der "kanonischen" Texte. Manche muslimische Frauen sehen sich zum Tragen des Kopftuchs verpflichtet, andere nicht. Es kommt nicht darauf an, ob Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften das Tragen von Kopfbedeckungen vorschreiben, sondern ob sich der Einzelne dazu verpflichtet fühle. Herr W. hat vorgetragen, er trage die Kopfbedeckung regelmäßig in der Öffentlichkeit, da er sich aufgrund des "Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters" dazu verpflichtet sehe.  Dies muss dem Staat genügen, um Herrn W. rechtlich genau so zu behandeln wie eine muslimische Frau, der es erlaubt ist, ein Gesichtsbild mit Kopftuch als Passbild zu verwenden.