Klerikaler Missbrauch: "Strafbare Beteiligung an Sexualdelikten gehorsamspflichtiger Kleriker - Zugleich eine kritische Betrachtung des Kölner Gercke-Gutachtens" von Rolf Dietrich Herzberg

Unser ifw-Beirat Rolf Dietrich Herzberg beleuchtet in dem frei zugänglichen ZflStw-Beitrag (2023, 1-19) umfassend und scharfsinnig die erheblichen Mängel des strafrechtlichen Teils des sog. Gercke-Gutachtens zum klerikalen Missbrauch im Erzbistum Köln. Ein bestechender Beitrag, der nur den Schluss zulässt, dass das Gercke-Gutachten zur strafrechtlichen Aufarbeitung der klerikalen Missbrauchsfälle in Gänze ungeeignet ist. Mit beeindruckender Präzision arbeitet Herzberg heraus, dass keiner der mitwirkenden Juristen der übernommenen großen Verantwortung gerecht geworden ist.

Im Resümee des äußerst lesenswerten Artikels hält Herzberg fest:

"Führt man sich die groben Fehler im Gercke-Gutachten vor Augen, ergibt sich eine lange Liste und ein erschütterndes Bild: Die Kölner Gutachter 1. lassen eine entscheidende Fallgruppe der aktiven Beihilfe unbehandelt, obwohl die betreffenden Fälle bischöflichen Fehlverhaltens, das erneute Einsetzen eines Sexualstraftäters in der Kinder- und Jugendarbeit, nicht nur über Presseberichte bekannt sind, sondern auch in der Kommentarliteratur und in anderen einschlägigen Rechtsgutachten ausdrücklich genannt werden, ja ihnen sogar aus den begutachteten Fällen vor Augen standen; 2. sie verschweigen die Kriterien einer BGH-Entscheidung, aus denen sich eine Geschäftsherrenhaftung von Bischöfen ohne Weiteres ableiten lässt und die der federführende Gutachter in seiner Gesetzeskommentierung als zu weitgehend kritisiert hat, schildern vielmehr nur den Sachverhalt der Entscheidung und legen mit bloßer Behauptung fest, dass ein solches Verhalten keine Geschäftsherrenhaftung auslöst (dies entgegen der anderslautenden Entscheidung des BGH); 3. sie werten eine andere BGH-Entscheidung selektiv aus, indem sie auf halbem Wege stehenbleiben und das sich – ohnehin aufdrängende – Kriterium des BGH für die Geschäftsherrenhaftung (Aktivtäter nutzt seine berufliche Macht und die darin liegende Erleichterung zur Tatbegehung aus) nicht auf die Missbrauchsfälle anwenden, was zur vollständigen Verkehrung der BGH-Entscheidung führt; 4. sie tun so, als könne man die Rechtsfragen auf ganz abstrakter Ebene klären, obwohl der BGH bei Prüfung einer Geschäftsherrenhaftung ganz auf die Umstände des Einzelfalls abstellt; 5. sie ziehen Gesetzeskommentierungen nur zur Stützung ihrer Thesen heran, verschweigen aber widerstreitende und konkret zum Missbrauchsgeschehen einschlägige Passagen;6. sie verweisen zur Verneinung der Geschäftsherrenhaftung von Bischöfen törichterweise darauf, dass sexueller Missbrauch auch in Turn- und Sportvereinen vorkomme, als könnte der für eine Geschäftsherrenhaftung nötige innere Zusammenhang zur beruflichen Stellung nicht sowohl im Turnverein als auch in der Kirche bestehen; 7. sie unterdrücken jeden Zweifel an der eigenen Position der Gutachter, sodass ein Kommentator zur Stützung der eigenen engen Sicht in der Fußnote genannt wird, der gerade für wiederholte Fälle sexuellen Missbrauchs ausnahmsweise eine Geschäftsherrenhaftung für möglich erachtet; 8. sie vertreten in Bezug auf eine mögliche Ingerenzhaftung von Bischöfen kuriose Differenzierungen; 9. sie scheuen nicht den dreisten Versuch, eine selbst vorgefundene und handfeste Organisationsherrschaft (Leitungsgewalt) von Bischöfen unter lediglich selektiver Auswertung kirchenrechtlicher Erwägungen "hinwegzuspiritualisieren" (um im kirchenrechtlichen Teil und in der Antwort auf ihre Kritiker diese Organisationsherrschaft dann doch lieber als "ohne Zweifel" bestehend auszuweisen);10. sie ignorieren den Status des Bistums als Körperschaft des Öffentlichen Rechts, woraus im Rechtsstaat auch für Bischöfe eine "gesteigerte Verantwortung" und eine Rechtspflicht zur Achtung der Würde und anderer fundamentaler Rechte der Person erwächst; 11. sie bekämpfen groteske Positionen, die niemand vertritt; 12. sie erwähnen aber im gesamten Gutachten keine einzige tatsächlich existente Gegenstimme; 13. und sie behaupten wahrheitswidrig, dass die meisten der begutachteten Sexualstraftaten von Klerikern im Bistum Köln außerhalb des kirchlichen Kontexts begangen worden seien, obwohl ihr eigenes Gutachten das Gegenteil ausweist. Was bleibt am Schluss zu sagen? Ich vermeide das böse Wort "Gefälligkeitsgutachten", welches Scheinfeld/Gade/Roßmüller, wenn auch eher beiläufig, aussprechen. Haben denn die Gutachter dem Erzbischof von Köln, Dr. Rainer Maria Kardinal Woelki, eine Gefälligkeit erwiesen, ihm einen Gefallen getan durch die irreführende Verneinung von Verantwortlichkeit, die im oben begründeten Maß richtigerweise zu bejahen ist? Das bestreite ich. Was die Fragen des Themas betrifft, sollte im Gercke-Gutachten das staatliche Recht offenbar zum vermeintlichen Wohl der Katholischen Kirche (oder der kirchlichen Verantwortungsträger) als nicht einschlägig, als nahezu irrelevant hingestellt werden. Aber dem wahren Wohl der Kirche kann es in der Zeit ihres Niedergangs und Mitgliederschwundes nur dienen, ihr schonungslos alle rechtlichen Verantwortlichkeiten und Einstandspflichten klarzumachen, auch die strafrechtlichen und insbesondere die der Bischöfe, wenn es um begangene und drohende Missbrauchstaten ihnen gehorsamspflichtiger Priester geht."

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