Zusammenfassung des Beitrags von Gerhard Czermak: Das rechtliche Verhältnis von Staat, Weltanschauung und Kirchen aus säkularer Sicht

Unser ifw-Beirat und ifw- Direktoriums-Mitglied Gerhard Czermak beleuchtet in seinem Beitrag in dem Werk "Semper Reformanda" (Herausgeber*innen: Isabelle Ley, Tine Stein und Georg Essen) anschaulich "das rechtliche Verhältnis von Staat, Weltanschauung und Kirchen aus säkularer Sicht."

Zuvörderst konstatiert er, dass die an den Staat gerichtete Neutralitätsforderung zwar weithin anerkannt, "aber bei der Normsetzung und in der Rechtspraxis in großem Ausmaß ignoriert" werde. Die Herstellung der weltanschaulichen Neutralität sei das "säkulare Hauptanliegen".

Czermak setzt in seinem Beitrag drei Schwerpunkte. Zunächst befasst er sich mit "Systemfragen des Religionsverfassungsrechts" und thematisiert in diesem Zusammenhang auch die mögliche Abschaffung des Körperschaftsstatus. Ferner nimmt er das kirchliche Arbeitsrecht und die Religionsförderung in den Blick. Ein wichtiges Anliegen ist dem Autor die Untersagung jeglicher, nicht nur gezielter staatlicher Beeinflussung. In dem Zusammenhang geht er auf das Kreuz im Klassenzimmer ein. In ihm erblickt er mit guten Gründen eine Teilidentifikation des Staates mit dem christlichen Glauben. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1995 in seinem Kruzifix-Beschluss auch klargestellt, dass hierin einen Verstoß gegen die individuelle Religionsfreiheit, das Elternrecht und die Neutralitätspflicht des Staates zu sehen ist. Der Beschluss wurde seinerzeit heftig angegriffen. Die einzelnen, nicht überzeugenden Argumente fasst Czermak kursorisch zusammen.

Sodann geht der ehemalige Verwaltungsrichter auf das Gebot der Trennung von Staat und Weltanschauung und die in diesem Spannungsfeld befindliche Kooperation von Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein. In einigen gesetzlichen Regelungen sieht er einen Widerspruch zum Trennungsgebot und geht in dem Zusammenhang insbesondere auf Art. 7 Abs. 3 GG ein. Er vertritt die Mindermeinung, dass die dort genannten bekenntnisfreien Schulen als Alternative zu Schulen mit Religionsunterricht von jedem Bundesland auch als Regelschule eingerichtet werden könnten. Art. 4 GG werde dadurch nicht verletzt. Im Weiteren geht Czermak kritisch auf den Schutz von Sonn- und Feiertagen ein sowie auf die Anstalts- und Militärseelsorge und dem staatlichen Kirchensteuereinzug. In der Universitätstheologie sieht der Autor ebenfalls einen Widerspruch zum Trennungs- und Neutralitätsgebot.

Die   Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften einschließlich der Konkordate und der Bedeutung der religiösen Körperschaften bewertet Czermak als "absolute Besonderheiten des deutschen Rechts". Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zum Abschluss solcher oft fragwürdiger Verträge gebe es nicht. Der Autor erörtert die Geschichte des Körperschaftsstatus, seine Neuinterpretation nach 1949 und insbesondere das gleichheitsrechtlich fragwürdige "Privilegienbündel". Er plädiert letztlich für die Abschaffung des Körperschaftsstatus, denn dadurch würden "Unklarheiten und Widersprüche" beseitigt und "die Rechtskultur" verbessert werden.

Im kirchlichen Arbeitsrecht sieht Czermak eine "starke Überdehnung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts durch das Bundesverfassungsgericht". Im Überblick illustriert er die Probleme des sogenannten Dritten Wegs anhand mehrerer Beispiele. Er konstatiert, dass bei Anwendung der gesetzlichen Kündigungsregeln ohne Berücksichtigung der "strengen kirchlichen Loyalitätsanforderungen" viele Kündigung keinen Bestand haben könnten. Abschließend verweist er auf Urteile des EuGH und des BAG, wonach heute wesentlich strengere Anforderungen an die Begründung von Kündigung im kirchlichen Bereich gestellt werden.

Hiernach geht Czermak auf die (finanzielle) Religionsförderung ein. Dabei hebt er neben anderem "die vollständige Absetzbarkeit der Kirchensteuer von der Einkommensteuer" hervor. Außerdem verweist er auf die Finanzierung von Kirchentagen, die regelmäßig "zu mehr als 50 % öffentlich gefördert" werden. Er stellt in dem Zusammenhang auch die sonstige Einseitigkeit der Religionsförderung heraus, denn, so Czermak, "selbst kleine Förderbeträge für säkulare Humanistentage" würden nicht in Erwägung gezogen. Darin, dass unklar bleibt, anhand welcher Kriterien eine Differenzierung vorgenommen werden könnte, sieht Czermak nachvollziehbarerweise ein rechtliches Problem.

Am Ende des Beitrags erläutert Czermak das aus seiner Sicht bestehende Erfordernis der Änderung kirchlichen Verhaltens gegenüber Staat und Gesellschaft. Er erhebt zahlreiche Monita, darunter die faktische Benachteiligung des Ethikunterrichts und generell das kirchliche Dominanzstreben. Einen längeren Absatz widmet er der kirchensteuerrechtlichen Rasterfahndung, bei der das Land Berlin mit der evangelischen und katholischen Kirchenverwaltung zusammengearbeitet hat.  Auch das Besondere Kirchengeld findet zu Recht Erwähnung. Dabei, so Czermak, gehe es im Kern darum, erhebliche Geldbeträge von nichtreligiösen Gutverdienern zugunsten der Kirche abzuschöpfen. Nicht fehlen durfte in dieser Aufzählung auch das besonders erschütternde Verhalten der Kirchen im Zusammenhang mit dem klerikalen sexuellen Missbrauch. Ernsthafte Entschädigungen oder Bemühungen um die Aufdeckung von Straftaten sind nämlich seitens der Kirche nicht zu erblicken.

In alledem sieht Czermak Umstände, "die die Glaubwürdigkeit der Kirchen untergraben haben". Er sieht es daher als notwendig an, dass die Kirche ihre bisherigen Positionen, insbesondere auch ihr starkes pekuniäres Denken, reflektiert. Ein Anfang könnte darin zu erblicken sein, dass die Kirche keine Staatsleistungen mehr verlangt und sich auch nicht gegen einen bundesweiten Ethik- bzw. Philosophieunterrichts für alle Schüler sträubt. Czermak hält am Ende fest: "Im Ergebnis würden viele Kritikpunkte entfallen, wenn die Kirchen endlich einsehen würden, dass sie sowohl der Realität wie der Glaubwürdigkeit wegen auf das bisherige starke Dominanzstreben verzichten müssen".

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Quelle: Das rechtliche Verhältnis von Staat, Weltanschauung und Kirchen aus säkularer Sicht, in: Isabelle Ley/ Tine Stein/ Georg Essen (Hg.), Semper Reformanda. Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften auf dem Prüfstand. Freiburg/ Basel/ Wien, S. 61-81 (Herder Verlag).

Hinweis der Redaktion: der Band mit seinen 384 S. enthält neben Beiträgen auch bekannter Jurist*innen einen Abschnitt über den sexuellen Missbrauch in den Kirchen und die Rolle des Staates sowie einen über Sonderrechte für die Kirchen insbesondere zum kirchlichen Arbeitsrecht. Der letzte und besonders brisante Abschnitt befasst sich mit der Krise und Reform in der katholischen Kirche. Der insgesamt recht kritische Band enthält neben Beiträgen von Jurist*innen besonders solche von Theolog*innen und Kirchenrechtler*innen.