FDP Kirchenpapier

I. Ein vergessenes Dokument

Dieses vom 25. Bundesparteitag der FDP am 1.10.1974 nach umfangreicher innerparteilicher Diskussion mit großer Mehrheit verabschiedete Thesenpapier mit dem Titel „Freie Kirche im freien Staat“ hat seinerzeit kurzfristig großen Wirbel verursacht, vermochte aber keine nachhaltige Wirkung zu entfalten. Es gilt heute – soweit es überhaupt noch bekannt ist - als gescheitert und konservativen Kreisen als kirchenfeindlich, antiquiert und nicht diskussionswürdig. Seinerzeit wurde das Papier z.T. maßlos angefeindet und gehässig diffamiert. Man sprach davon, es verlasse den Boden des GG (so das Kommissariat der katholischen Bischöfe), wolle die Kirchen in den privaten Bereich abdrängen, stelle einen grotesken Anachronismus dar und sei ein liberales Armutszeugnis. Da das Verhältnis Staat  - Religion seit vielen Jahren aber wieder sehr aktuell und umstritten ist, von der Politik aber nach wie vor tabuisiert bzw. seine kritische Erörterung möglichst abgewürgt wird, erscheint eine Erörterung auch heute noch sinnvoll. Überdies entsprechen die damaligen Thesen weitgehend den Forderungen, die heute (2015) die zahlreichen säkularen bzw. „laizistischen“ Arbeitskreise in verschiedenen politischen Parteien erheben.

II. Die Thesen

Die recht versöhnliche Einleitung der 13 Thesen betont die gegenseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche, die Glaubensfreiheit und staatliche Neutralität sowie die Notwendigkeit eingehender Gespräche mit Kirchen und anderen religiösen sowie weltanschaulichen Gruppen. These 1 fordert die Aufgabe der dem Staat verbliebenen Einflussmöglichkeiten auf kirchliche Angelegenheiten (Treueid, Ämterbesetzung, regionale Gliederung). These 2 fordert die Ablösung des Körperschaftsstatus durch ein auch dem öffentlichen Wirken adäquates neues Verbandsrecht. These 3 plädiert für eine rein interne Regelung der Mitgliedschaft und des Austritts. Die Freiheit, die religiöse Überzeugung nicht preiszugeben, ist nach These 4 umfassend in der Rechtsordnung zu beachten. Nach These 5 ist die Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. These 6 fordert die Anwendung des Neutralitätsprinzips auf Länderverfassungen und sakrale Formen und Symbole in staatlichen Institutionen. These 7 lehnt Kirchenverträge und Konkordate als Regelungsmittel ab. Soweit sie gültig seien, sollten sie in Übereinkunft aufgehoben und ggf. durch Gesetze oder Einzelvereinbarungen ersetzt werden. Staatsleistungen gem. Art. 138 I WRV sowie steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile sind nach These 8 aufzuheben. Bei sozialen Einrichtungen sollen nach These 9 freie Träger keinen Vorrang haben und die öffentliche Hand muss ausreichend neutrale Einrichtungen sicherstellen. Gem. These 10 soll die r-w neutrale Gemeinschaftsschule im ganzen Bundesgebiet Regelschule sein. Wahlweise soll Religionsunterricht oder Religionskunde angeboten werden. These 11 fordert die Rückgabe der gesamten Anstalts- und Militärseelsorge in die alleinige, auch finanzielle, Verantwortung der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Im Wehrdienstrecht sind nach These 12 Geistliche und Theologiestudenten allen anderen Staatsbürgern gleichzustellen. Nach These 13 ist die Vertretung der Kirchen und anderer gesellschaftlicher Gruppen in öffentlichen Gremien im Hinblick auf die jeweilige Funktion der Verbände zu überprüfen. Erhellend zur seinerzeitigen Kritik ist die wenigstens im Ton moderate, wenn auch etwas selbstgefällige Darstellung von Alexander Hollerbach (s.u.).

III. Heutige Sicht

Aus aktueller Sicht, die sich um ideologisch möglichst unvoreingenommene Argumentation auf der Basis der Gleichberechtigung der r-w Richtungen bemüht, ist die feindselige Ablehnung dieser Thesen aus der Sicht des Verfassungsrechts nicht verständlich. Einige der Forderungen ziehen aus dem GG nur die selbstverständlichen Konsequenzen, und manche der durch die Thesen in Frage gestellten Positionen werden auch von heutigen christlich orientierten Autoren angefochten. Insgesamt erscheinen die Forderungen auch heute ausgesprochen aktuell, und wo sie verfassungswidrig sein sollen, ist nicht im Ansatz ersichtlich. Plakativen Äußerungen, wonach das FDP-Kirchenpapier antiquiert und undiskutabel sei, sollte daher entschieden entgegengetreten werden. Sie sollen nur von den Problemen ablenken.

Die heutigen säkularen Arbeitskreise der Parteien SPD, DIE GRÜNEN und DIE LINKE gewinnen an Aufmerksamkeit, und selbst innerhalb der FDP gewinnen entsprechende Positionen wieder teilweise Beachtung.

Wegen der Einzelprobleme der Thesen wird auf die einschlägigen Stichworte verwiesen:

Ämterhoheit; Anstaltsseelsorge; Christliche Gemeinschaftsschulen; Ethikunterricht; Kirchenmitgliedschaft; Kirchenlohnsteuer; Körperschaftsstatus; MilitärseelsorgeNeutralität; Privilegien; Regelschulproblematik; Religionsunterricht; Selbstverwaltungsrecht; Staatsleistungen; Sozialeinrichtungen; Staatskirchenverträge.

Literatur:

  • http://saekulare-gruene.de/
  • https://www.laizistische-sozis.eu/
  • http://www.laizismus.de/linke-laizisten
  • Engelhardt, Hanns: Staatskirchenrechtliche Voraussetzungen und Konsequenzen der Hamburger Kirchenthesen der Freien Demokratischen Partei, JZ 1975, 689-692.
  • Fischer, Erwin: Das Kirchenpapier der F.D.P. und seine Kritiker, Vorgänge H. 12 (1974), 4-10 (S. 93 f. Abdruck der Thesen).
  • Hollerbach, Alexander: Liberalismus und Kirchen: Fragen an die FDP, in: Internat. Kath. Zeitschrift Communio 4 (1975), 160-169.
  • Rath, Peter (Hrsg.): Trennung von Staat und Kirche? Dokumente und Argumente. Reinbek 1974, (S. 11 ff. Abdruck der Thesen).

© Gerhard Czermak / ifw (2017)