Deutschlandweite Strafanzeigen gegen Sexualstraftäter der katholischen Kirche

Sechs renommierte Juraprofessoren haben am 26. Oktober 2018 in Verbindung mit dem Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) Strafanzeigen bei jenen Staatsanwaltschaften eingereicht, die für die 27 Diözesen in Deutschland zuständig sind. Anlass ist die Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz". In ihrer elfseitigen Begründung legen die Rechtsexperten dar, dass im Fall des katholischen Missbrauchsskandals ein zwingender Anlass zur Einleitung von "Ermittlungsmaßnahmen zur Überführung der Täter" besteht, "etwa für eine Durchsuchung von Archiven und die Beschlagnahme der vollständigen, nicht anonymisierten Akten."

In ihrem Schreiben kritisieren die Strafrechtsprofessoren Holm Putzke, Rolf Dietrich Herzberg, Eric Hilgendorf, Reinhard Merkel, Ulfrid Neumann und Dieter Rössner, "wie zurückhaltend Staat und Öffentlichkeit (bislang) mit dem alarmierenden Anfangsverdacht schwerer Verbrechen umgehen." Dies habe möglicherweise seinen Grund in einer in Deutschland herrschenden "intuitiven Vorstellung von der sakrosankten Eigenständigkeit der Kirche".

In den USA sei dies beispielsweise anders: Dort seien wegen des Missbrauchsskandals bereits strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen worden.

Allerdings sei die Rechtslage auch in Deutschland eindeutig: "Es gibt für die Kirche und ihre Priester keine grundsätzlichen Ausnahmen von der Strafverfolgung wie etwa bei der Immunität von Parlamentariern oder Diplomaten. Es gibt auch kein Recht der Kirche (etwa unter Hinweis auf das Kirchenrecht und die eigene Strafgewalt), ihre Institution von strafrechtlichen Eingriffen frei zu halten." Der Rechtsstaat müsse sicherstellen, dass "die am Schutz der Menschenrechte orientierte Minimalethik des Strafrechts durchgesetzt und persönliche Verantwortung geklärt wird." Ansonsten stehe "das Rechtsvertrauen der Öffentlichkeit im säkularen Staat" auf dem Spiel.

Nach einer Erörterung der vorliegenden Befunde zum sexuellen Missbrauch durch Kleriker, der Verjährungsfristen und der Vorgaben der Strafprozessordnung (StPO) kommen die Juristen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltanschauuweltanschauungsrechtngsrecht (ifw) zu einem klaren Ergebnis: "Die Voraussetzungen für die Aufnahme der Ermittlungen, namentlich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten, § 152 Abs. 2 StPO, liegen vor; das Gleiche gilt für die Möglichkeit von Durchsuchungsanordnungen (§§ 103, 105 StPO)." Es sei daher zwingend, "dass entsprechende Ermittlungen aufgenommen werden. Die Staatsanwaltschaften müssen die Herausgabe der entsprechenden Unterlagen bei den Diözesen anfordern. Möglicherweise drohende Verjährungen zwingen auch zu schnellem Handeln. Ob und in welchen Fällen vielleicht tatsächlich Verjährung eingetreten ist, wird man abschließend erst nach Auswertung der Archive feststellen können."

Die Darlegungen der Rechtsexperten enden mit einem markanten Vergleich: "Man stelle sich nur einmal vor, ein Ableger der kalabrischen Mafia ‚Ndrangheta‘ hätte einem Wissenschaftler Zugang zu seinen in Deutschland befindlichen Archiven gewährt, der daraufhin auftragsgemäß eine Studie veröffentlicht hätte, worin er zahlreiche, z.B. zwischen 1990 bis 2014 in Deutschland begangene Verbrechen schildert, woraufhin der ‚Pate‘ sich wortreich bei den Opfern entschuldigt, sich allerdings zugleich weigert, die Akten der Polizei zu übergeben oder die Namen der Täter zu benennen. Es würde kein Tag vergehen, bis die Polizei sämtliche Akten in allen auf deutschem Boden befindlichen Mafiaarchiven beschlagnahmt hätte, um die Täter zu ermitteln und anzuklagen. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum dies im Fall der Katholischen Kirche anders sein sollte."

Den Mustertext der 27 Strafanzeigen gegen die bislang noch unbekannten Täter der Diözesen Aachen, Augsburg, Bamberg, Berlin, Dresden-Meißen, Eichstätt, Erfurt, Essen, Fulda, Freiburg, Görlitz, Hamburg, Hildesheim, Köln, Limburg, Magdeburg, Mainz, München und Freising, Münster, Osnabrück, Paderborn, Passau, Regensburg, Rottenburg-Stuttgart, Speyer, Trier und Würzburg hat das ifw unter diesem LINK veröffentlicht.

Die Rechtsanwälte Christian Roßmüller und Alice Scaglione haben die Anzeigenerstatter bei der strafrechtlichen Auswertung der Bischofskonferenz-Studie unterstützt.

Das ifw ermutigt alle Personen, die von einem katholischen Kirchenangehörigen sexuell missbraucht wurden, und diese Straftat noch nicht zur Anzeige gebracht haben, sich bei der Staatsanwaltschaft des Tatortes zu melden. Informationen zu Tätern, tatbeteiligten Personen sowie zu Ort und Zeit der Tathandlung können entscheidend zum Erfolg einer Strafanzeige beitragen. Das ifw kann bei der Vermittlung des Kontakts zur Staatsanwaltschaft oder zu einem erfahrenen Rechtsanwalt behilflich sein. 

Über die 27 ifw-Strafanzeigen berichteten (Liste wird fortgesetzt):