Kooperation

I. Diskussionspunkte

1. Das GG enthält trotz bestehender Trennungsregel (Art. 137 I WRV/140 GG) Spezialbestimmungen, die Ausdruck einer gewissen Verbindung von Staat und "Religionsgesellschaften" (Art. 137 WRV/ 140 GG) sind. Es handelt sich um das Steuererhebungsrecht gemäß Art. 137 VI WRV, die Anstaltsseelsorge und Militärseelsorge (Art. 141 WRV) sowie am Rande den Schutz der Sonn- und Feiertage (Art. 139 WRV). Wesentliches verbindendes Element außerhalb des Art. 140 GG ist die zumindest grundsätzliche Gewährleistung des (staatlichen) Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" (Art. 7 III GG; konträres Prinzip: Art. 141 GG). Dazu kommt noch im Grundsatz die Zulässigkeit der Errichtung auch öffentlicher Schulen mit spezieller weltanschaulicher Ausrichtung (Argument aus Art. 7 V GG; s. Schularten). Eine Bestimmung über Theologische Fakultäten enthält das GG nicht, in diesem einzelnen Punkt in Abweichung von der WRV. Nach Art. 149 III WRV waren diese Einrichtungen erhalten geblieben, und gerade diese Bestimmung wurde nicht in das GG inkorporiert. Nur mittelbar lässt sich aus dem GG allenfalls eine eingeschränkte Institutsgarantie für staatliche Theologische Fakultäten herleiten. Denn der Staat muss für eine dem jeweiligen Schulstandard angemessene Ausbildung der Religionslehrer (vgl. Art. 7 III GG) sorgen. Hierfür würden aber wohl jeweils einzelne Lehrstühle im Gegensatz zu einer "Volltheologie" auch ausreichen (s. näher unter Theologische Fakultäten).

2. Vielen gilt eine vertragliche Fixierung staatlich-kirchlicher Positionen in einem umfangreichen Vertragsrechtssystem ("Vertragsstaatskirchenrecht" o.ä.) als spezifisches und unverzichtbares Merkmal des deutschen Religionsverfassungsrechts. Der enorme Umfang des staatlich-kirchlichen Vertragsrechts mit seinen erstaunlichen Vorteilen vor allem für die großen Kirchen ändert aber nichts daran, dass diese Verträge nach völlig einhelliger Meinung in jedem Punkt mit dem GG vereinbar sein müssen. Daher lässt sich verfassungsrechtlich nicht von einem Vertragsprinzip sprechen und für ein Kooperationsprinzip gibt die Existenz dieser Verträge daher nichts her (s. Verträge).

3. Der Schutz der Sonn- und Feiertage (Art. 139 WRV/140 GG) diente früher, abgesehen von einer immer schon erheblichen sozialstaatlichen Komponente, einer sehr weitgehend christlichen Bevölkerung. Heute tritt die sozialstaatliche Komponente noch mehr in den Vordergrund. Der landesrechtliche Feiertagsschutz knüpft bezüglich der christlichen Feiertage nur an soziologische Fakten an und unterstreicht den ohnehin gegebenen religionsfreundlichen Gesamtcharakter des Religionsrechts. Das bedeutet aber nur vordergründig eine Bevorzugung des Christentums, weil Art. 139 WRV für religionssoziologisch begründete Änderungen und rein weltliche Feiertage offen ist. Die christliche Normkomponente ist bereits stark säkular überlagert. Art. 139 WRV mit seinem weiten gesetzgeberischen Spielraum fällt als Gesichtspunkt für eine Bewertung des religionsrechtlichen Systems aus, und zwar auch bei Berücksichtigung des BVerfG-Urteils von 2009 (s. Sonn- und Feiertage).

4. Ähnlich ist es mit der Anstalts- und Militärseelsorge, denn Art. 141 WRV garantiert den Religionsgesellschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften (Art. 137 VII WRV) lediglich, sie seien "zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen". Von einer damit verbundenen Schaffung institutioneller Verbindungen wie der staatlich-kirchlichen Etablierung spezieller Geistlicher, gar auf Kosten der öffentlichen Hand, ist keineswegs die Rede; die in der Praxis gegebenen staatskirchlichen Momente der Militärseelsorge sind nicht grundlos sehr umstritten. Nach dem Verfassungstext handelt es sich somit um einen für eine Systembeurteilung in Richtung Verbindung von Staat und Kirche ungeeigneten Gesichtspunkt.

Gelegentlich wird auch auf den im Amtseid des Bundespräsidenten und der Mitglieder der Bundesregierung (Art. 56 und 64 II GG) enthaltenen textlichen Vorrang (Regel-Ausnahme-Formulierung) der religiösen vor der nichtreligiösen Eidesleistung verwiesen. Daraus aber eine Modifizierung des in einer Reihe von Vorschriften unmissverständlich festgelegten Prinzips der institutionellen Trennung von Staat und Religion ableiten zu wollen, erscheint gewagt.

5. Was an echten, wichtigen Elementen der Verbindung bleibt, ist zum einen der vom Staat unter Garantie der elterlichen Bestimmung über die Teilnahme[1] grundsätzlich eingerichtete Religionsunterricht "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" (Art. 7 III GG) mit reduzierter Universitätstheologie als Annex. Gern ignoriert wird dabei aber der Gegenpol Art. 141 GG sowie die Zulässigkeit Bekenntnisfreier Schulen (s. dort) in Art. 7 III GG.

Vielleicht noch wichtiger ist die – im Grundsatz allen korporierten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften offenstehende – Möglichkeit, ihre Mitgliedsbeiträge mit staatlicher Mithilfe und Zwangsgewalt, nämlich in Form von Steuern (Art. 137 VI WRV/140 GG), auf der Basis staatlicher Daten einzuziehen. Zur Zulässigkeit der staatlichen Kirchensteuerverwaltung durch die Finanzämter[2] (s. dazu Kirchensteuerrecht) sagt der Verfassungstext nichts.

Es verbleibt als verfassungsrechtliches Kooperationsmoment die Möglichkeit, dass der Staat auch religiös oder weltanschaulich gebundene Schulen - neben anderen Formen öffentlicher Schulen – anbietet (Konfessionsschulen; Bekenntnisfreie Schulen), womit zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und inhaltlichen Ausgestaltung der allgemeinen Pflicht- oder Regelschulen (Regelschulproblematik) freilich nichts gesagt ist.

II. Verfassungsrechtliche Würdigung

Die Verfassungsordnung der Bundesrepublik kennt die institutionelle Trennung von Staat und Religion als allgemeine Regel. Eine kritische Bewertung der gegenläufigen Gesichtspunkte ergibt insgesamt kein Verfassungsprinzip der Kooperation von Staat und Kirche, genauer: von Staat und Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften. Es gibt auch deswegen keine gegenläufige und gleichgewichtige Kooperationsregel, weil man für eine solche spezielle Rechtsgrundsätze bräuchte, die es erlauben, in heiklen Fällen eine Grenze zwischen den Anwendungsbereichen beider Grundsätze zu ziehen. Daher sind die o.g. Regelungen über eine institutionelle Zusammenarbeit Ausnahmen vom Trennungsgrundsatz.[3] Diese Auffassung wird zwar von kirchennahen Autoren vielfach heute noch bekämpft, weil dann zahlreiche überkommene Privilegierungen der großen Kirchen nicht mehr gerechtfertigt werden können. Sie wird aber nicht logisch nachvollziehbar widerlegt. Richtig ist nach allem nach wie vor die Rede von der "hinkenden Trennung" von Staat und Kirche (Religion) in Deutschland. Die hier vorgenommene Entschlackung des Religionsverfassungsrechts belässt auch den Kirchen gleichwohl alle umfassenden und gesicherten Entfaltungsmöglichkeiten in einem pluralistischen Land, die sie braucht.

Die noch vielfach übliche Redewendung von den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche (auch: res mixtae) für Religionsunterricht, Militärseelsorge, Theologische Fakultäten, Kirchensteuer und Bestattungsrecht sollte als Rechtbegriff aufgegeben werden. Denn es geht nur um einen zusammenfassenden, lediglich beschreibenden Hilfsbegriff betreffend die Wahrnehmung religiöser Aufgaben in staatlichen Einrichtungen und die Tätigkeit auf Grund der Übertragung staatlicher Befugnisse. Aus dem überflüssigen Begriff können keinerlei rechtliche Schlussfolgerungen gezogen werden.

III. Tatsächliche religiöse Mitwirkungsrechte

Institutionalisierte Mitwirkungsrechte von Religionsgemeinschaften in öffentlichen Einrichtungen bzw. ihre faktisch regelmäßige Beteiligung wird fast ausschließlich den beiden großen christlichen Kirchen und teilweise den im Zentralrat der Juden zusammengeschlossenen Jüdischen Kultusgemeinden eingeräumt, ausnahmsweise auch islamischen Institutionen. Formale Beteiligungen bestehen etwa im Rundfunk-, Film- und Verlagswesen, Bildungs- und Schulwesen, in politischen Akademien, in Denkmalräten, in der Jugendfürsorge, in Jugendwerken, im Nationalen Ethikrat und zahlreichen Ethik-Kommissionen, Beiräten und Ausschüssen. Ein Teil der formalen und faktischen Beteiligungsrechte ist in Staat-Kirche-Verträgen festgeschrieben, z. B. die Einrichtung regelmäßiger Konsultationen. So ist sichergestellt, dass die großen Kirchen weit über ihre ohnehin gute Repräsentanz in der Öffentlichkeit hinaus im Gegensatz zu allen anderen Gruppierungen in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft ihre Interessen besonders wirkungsvoll wahrnehmen können.

Das verstößt gegen die Regeln des pluralistischen Staats, in dem alle wesentlichen geistigen Strömungen in öffentlichen Institutionen und Gremien zum Ausdruck kommen müssen. Für Rundfunk und Fernsehen ist die Meinungsvielfalt theoretisch durch eine ständige Rspr. des BVerfG abgesichert und auch in konkreten Rechtnormen vorgeschrieben. Aber praktisch halten sich Politik und Rundfunkführungen bewusst nicht daran.

Das bedeutet auch insoweit eine Verfälschung des kirchlichen Meinungsspektrums, als die Äußerungen der kirchlichen Hierarchien innerhalb der breiten kirchlichen Meinungsvielfalt einen besonderen Stellenwert erhalten.

IV. Möglichkeiten und Gefahren der Kooperation

Unabhängig von der nach dem GG ausnahmsweise gestatteten institutionellen Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften können beide auch ohne gemeinsame institutionelle Verbindungen bei Wahrung der Neutralität vielfältig zusammenarbeiten (z.B. bei der Vorbereitung von Gesetzen). Von einer streng "laizistischen" Trennung kann in Deutschland nämlich auch verfassungsrechtlich keine Rede sein (s. Laizismus). Inwieweit die zahlreichen religionsrechtlichen Regelungen in einer Fülle von Gesetzen GG-konform sind, bedürfte einer kritischen Untersuchung. Bereits 1968 hat der Kirchenjurist von Tiling eine – erklärtermaßen unvollständige – Liste von nicht weniger als 44 institutionalisierten Mitwirkungsrechten der Kirchen im staatlichen Bereich nachgewiesen und beschrieben[4]. Das heutige Ausmaß dieser Mitwirkung müsste noch kritisch untersucht werden. Es lässt sich unschwer prognostizieren, dass sich die Notwendigkeit zahlreicher Änderungen ergeben würde. Die fragwürdige Legitimität des Zustandekommens zahlreicher Gesetze, die kirchliche Interessen berühren, hat Carsten Frerk in einer eingehenden Untersuchung zur kirchlichen Lobbyarbeit untersucht.

Inwieweit außerhalb gesetzlicher Regelungen vertragliche Vereinbarungen möglich und sinnvoll sind, ist eine heikle Frage. Hauptkriterium dabei müsste in jedem Fall das der Unparteilichkeit sein, das freilich in der Rechtspraxis und Politik ebenso wie der Trennungsgrundsatz bisher insgesamt massiv missachtet wird.

>> Anstaltsseelsorge; Bekenntnisfreie Schulen; Bekenntnisschulen; Feiertagsrecht; Kirchensteuerrecht; Laizismus; Militärseelsorge; Neutralität; Privilegien; Regelschulproblematik; Religionsunterricht; Schularten; Theologische Fakultäten; Trennungsgebot; Staatskirchenverträge.     

Literatur:

  • Czermak, G.: Weltanschauung in Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit. Eine kritische Einführung auch für Nichtjuristen. Aschaffenburg 2016.
  • Czermak, G.: Das System der Religionsverfassung des Grundgesetzes, KJ 2000,229/235 ff. (dort weit. Lit.) = www.kj.nomos.de/.../Czermak_S_229.pdf
  • Czermak, G.: Religions- und Weltanschauungsrecht, 2. A. 2017
  • Ehlers, Dirk: Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, ZevKR 1987, 158-185
  • Frerk, Carsten: Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus, Aschaffenburg 2015.
 


  • [1] nicht: Abmeldefreiheit, wie jedoch die landesrechtlichen Gesetze vorschreiben.
  • [2] Die von der ganz h. M. und Rspr. für möglich gehalten wird.
  • [3] Wie hier z.B. M. Morlok, Rn 23 f. zu Art. 137 WRV, in: H. Dreier, GG, Bd. III, 2. A. 2008: reine Tradition sei niemals ein Rechtfertigungsgrund.
  • [4] P. v. Tiling, in: ZevKR 14,1968/69, 238/259-277.

© Gerhard Czermak / ifw (2017)