Staatliches Kirchensteuerrecht an die Rechtswirklichkeit anpassen

Von Dr. Jacqueline Neumann, Oberwesel

In diesem Kommentar werden den Bundesländern eklatante rechtsstaatliche Reformdefizite nachgewiesen. Die juristische Einschätzung basiert auf einer aktuellen Auswertung empirischer Daten zu der Frage "Wer ist Kirchenmitglied?" der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid). Demnach sind die staatlichen Vorgaben zur Festlegung der Kirchensteuerpflicht veraltet und gehen an der heutigen Rechtswirklichkeit vorbei. Der Kommentar entwickelt vier Reformoptionen. Siehe auch die nachfolgenden Artikel von hpd und gbs "Taufe im Kleinkindalter darf keine Kirchensteuerpflicht begründen".

I. Einleitung

Im Grundsatz widerspricht der Kirchensteuereinzug durch den Staat dem Verfassungsauftrag zur Trennung von Staat und Religion. Daher tritt das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) in seinen Arbeitsschwerpunkten für eine Abschaffung des staatlichen Kirchensteuereinzugs ein. Dieser ifw-Kommentar zeigt den Handlungsbedarf für die Gesetzgeber auf Ebene der Bundesländer auf, damit nicht weiterhin zusätzlich zur Missachtung des Verfassungsauftrages noch andere Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats verletzt werden.

II. Grundlegender Wandel der Rechtswirklichkeit

Aus der aktuell von der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) vorgelegten Datenauswertung "Wer ist Kirchenmitglied?" zur Anzahl der Taufen, Erstkommunionen und Firmungen in Deutschland geht hervor, dass vor Jahrzehnten noch fast alle der getauften Kinder an der Firmung teilnahmen. Heutzutage gehen jedoch beispielsweise im Erzbistum Köln nur rund 50 Prozent der Kinder, die im Säuglings- oder Kleinkindalter einem Taufvorgang unterzogen wurden, auch zur Firmung. Wenn in früheren Jahrzehnten der Bundesrepublik es aus Sicht des Gesetzgebers möglicherweise gerechtfertigt war, von einem automatischen Fortbestand der Kirchenmitgliedschaft nach dem Kleinkindertaufvorgang auszugehen und hinsichtlich des Kircheneintritts allein auf die Taufe und hinsichtlich des Austritts allein auf eine förmliche Austrittserklärung vor einer staatlichen Stelle abzustellen, so geht diese Sicht des Gesetzgebers heutzutage bei rund der Hälfte aller Fälle an der Realität vorbei. Denn nur die Hälfte der Personen, die dem Taufvorgang unterzogen worden sind, verfolgen den Weg der Kirchenmitgliedschaft in einem Alter, in dem sie religionsmündig sind, noch weiter. Damit entsprechen die derzeit gültigen Regelungen zum Kircheneintritt und -austritt und der damit verbundenen staatlichen Kirchensteuerpflicht nicht mehr der Rechtswirklichkeit. Nun ist es ein Prinzip des demokratischen Rechtsstaats, bestehende Gesetze im Falle eines Wandels der Rechtswirklichkeit anzupassen.

III. Warum sind diese empirischen fowid-Daten für das Kirchensteuerrecht relevant?

Die staatlich geregelte Kirchensteuerpflicht beginnt mit dem Taufvorgang. Jedoch gilt nach dem Kirchenrecht neben der Taufe unter anderem auch die Firmung als konstitutiver Akt der Gruppenzugehörigkeit. Die Taufe ist lediglich der Beginn der "Initiation". Das Kirchenrecht im Codex Iuris Canonici (CIC) 842 § 2 lautet hierzu: "Die Sakramente der Taufe, der Firmung und der heiligsten Eucharistie sind so eng miteinander verbunden, dass sie zur vollen christlichen Initiation erforderlich sind". Die Firmung wird dabei als weiteres unabdingbares "Sakrament der Initiation" bezeichnet.  Darunter wird die Zustimmung zu den religiösen Normen und die Aufnahme in die religiöse Gruppe verstanden. Im Umkehrschluss heißt das: ohne Firmung keine Zustimmung und Aufnahme in die religiöse Gruppe der katholischen Kirche, und damit auch keine lebenslange Kirchensteuerpflichtigkeit.

IV. Kircheneintritt: Aktuelle Rechtslage

Die Kirchensteuergesetze der 16 Bundesländer sind – bei manchen Unterschieden im Detail – in grundlegenden Punkten einheitlich. So gilt grundsätzlich, dass alle Getauften unabhängig vom Lebensalter kirchensteuerpflichtig sind (wegen Verweisung der Gesetze auf das innerkirchliche Mitgliedschaftsrecht), sofern sie nicht gegenüber dem Staat den "Kirchenaustritt" erklärt haben (vgl. z.B. § 3 KirchStG NRW). Allein die Taufe begründet nach derzeitiger landesgesetzlicher Regelung die Mitgliedschaft in der vom Staat anerkannten Körperschaft und somit auch der Kirchensteuergemeinschaft (Art. 137 Abs. 5, 6 WRV). Bei der Taufe vertreten i. d. R. beide sorgeberechtigten Eltern das Kind kraft ihres Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1 S. 1 RelKErzG).

V. "Kirchenaustritt": Aktuelle Rechtslage

Anknüpfend an den Beginn der staatlich geregelten Kirchenmitgliedschaft und -steuerpflicht mit dem Kleinkindertaufvorgang, gehen die bestehenden landesgesetzlichen Regelungen von einem automatischen Fortbestand auf Lebenszeit aus. Der Austritt aus einer Kirche oder aus einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft öffentlichen Rechts mit Wirkung für den staatlichen Bereich ist nach den Kirchenaustrittsgesetzen der Länder lediglich durch Erklärung bei der zuständigen Behörde, i.d.R. dem Amtsgericht oder dem Standesamt, in dessen Bezirk der Erklärende seinen Wohnsitz hat, möglich.

Eine solche Erklärung nennen die Landesgesetze und viele Ämter fälschlich "Kirchenaustritt", obwohl es sich nur um eine an den Staat gerichtete Abstandserklärung handelt. Hauptfolge der staatlichen Abstandserklärung ist das Erlöschen der Kirchensteuerpflicht.

VI. Gesetz zur Religionsmündigkeit und Entscheidungen der Religionsmündigen beachten

Anders als bei der Taufe von Säuglingen und Kleinkindern kommt es bei der Firmung (katholisch) / Konfirmation (evangelisch), die meist im Alter zwischen 14 und 16 Jahren stattfindet, in besonderem Maße auf die Entscheidung der Jugendlichen selbst an. Auch auf Bundesebene geht der Gesetzgeber von einer Religionsmündigkeit in diesem Alter aus. Gemäß dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RelKErzG) kann Jeder mit Vollendung des 14. Lebensjahres über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft selbst entscheiden (§ 5 S. 1 RelKErzG). Warum aber insofern staatlicherseits einzig die Abgabe einer förmlichen Austrittserklärung vor dem Amtsgericht oder dem Standesamt anerkannt wird, erschließt sich nicht.

Es steht die vom Weltanschauungsrechtsexperten Gerhard Czermak (ifw) geäußerte Vermutung im Raum, dass es der Sinn der landesrechtlichen Anknüpfung an die Kindertaufe sei, Menschen ohne persönlichen Willen auch staatlich zum (steuerpflichtigen) Kirchenmitglied zu machen, damit sie später die so übernommene Tradition leichter beibehalten. Dies ist umso eher der Fall, wenn man ihnen auch nach Eintritt der Religionsmündigkeit keine eigene Entscheidung abverlangt. Es ist allgemein bekannt, dass die meisten Menschen auch auf anderen Gebieten aktive Entscheidungen scheuen, wenn es nicht sein muss. Einem solchen naheliegenden gesetzgeberischen Motiv, so Czermak zutreffend, scheint die Ansicht zugrunde zu liegen, dass Religion besonders gut integriert. Das ist aber aus vielerlei Gründen speziell auch in Deutschland nicht der Fall. Ein solches Motiv ist überdies auch wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsprinzip verfassungswidrig.

Mit Blick auf die Grundrechte der negativen Weltanschauungsfreiheit und negativen Vereinigungsfreiheit im weltanschauungsrechtlichen Bereich (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) sowie auf das objektive Prinzip der staatlichen Neutralität muss die Regelung des § 5 S. 1 RelKErzG verfassungskonform dahingehend verstanden werden, dass der Staat eine Mitgliedschaftsregelung, welche auch nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres ausschließlich auf der Zurechnung einer Entscheidung der Sorgeberechtigten basiert, nicht anerkennen darf. Vielmehr bedarf es nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres und dem Eintritt der Religionsmündigkeit einer bewussten Entscheidung des Betroffenen für die Mitgliedschaft. Kernpunkt der Firmung / Konfirmation besteht in dieser bewussten Entscheidung für die Kirche, einer Bejahung und Bekräftigung der Gruppenzugehörigkeit. Aus der Entscheidung des Religionsmündigen im Alter von 14-16 Jahren, nicht an der Firmung / Konfirmation teilzunehmen, ist die freie Entscheidung gegen die Kirchenmitgliedschaft eindeutig zu erkennen.

Es läge daher für den Gesetzgeber nahe, bei vorangegangener Kindertaufe die spätere Fortdauer der Zugehörigkeit zur Kirchensteuergemeinschaft a) von einer entsprechenden positiven schriftlichen Erklärung des religionsmündigen Minderjährigen oder volljährig Gewordenen abhängig zu machen oder aber b) die negative Entscheidung gegen eine Firmung / Konfirmation als konkludente Austrittserklärung anzuerkennen.

Nur so kann der von fowid empirisch dargestellten Diskrepanz zwischen der Anzahl der Taufen und der Firmungen Rechnung getragen werden. Auf diesem Wege ließe sich eine Anpassung der bestehenden kirchensteuerrechtlichen Mitgliedschaftsregelungen an den Wandel der Verhältnisse erzielen.

Der Staat verletzt die Schutzverantwortung für seine Bürger, wenn er Personen zur Besteuerung heranzieht, die für sich selbst keine Steuerpflicht eingegangen sind und die im religionsmündigen Alter eindeutig zu erkennen geben, an dieser für sie durch ihre Eltern eingegangen Pflicht auch nicht festgehalten werden zu wollen.

VII. Aktuelles Beispiel aus der ifw-Prozesshilfe

Anhand einer der Fälle aus der ifw-Prozesshilfe "Der Fall Frau X gegen die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg" lässt sich veranschaulichen, welch absurde juristische Sachverhalte in der heutigen Rechtswirklichkeit entstehen, wenn die staatliche Kirchensteuerpflichtigkeit allein auf den Kleinkindertaufvorgang abstellt, von einem automatischen Fortbestand der Kirchenmitgliedschaft auf Lebenszeit ausgeht und die tatsächlichen Entwicklungen im Leben des Betroffenen, wie z.B. das Desinteresse an oder die Entscheidung gegen eine Firmung / Konfirmation unberücksichtigt lässt:

Frau X ist im Jahr 1953 in X geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern tauften sie kurz nach ihrer Geburt in der Evangelischen Kirchengemeinde in X. Knapp drei Jahre später, 1956, trat zunächst der Vater und 1958 auch die Mutter offiziell aus der Kirche aus. Die Eltern der Klägerin sind bereits verstorben. Ein Austritt der Klägerin, welche zum fraglichen Zeitpunkt im Kleinkindalter war, ist nicht explizit in den Unterlagen der Kirchengemeinde X vermerkt. Von ihrer Geburt im Jahr 1953 bis zum Jahr 2012 – und damit knapp 60 Jahre lang – hatte die Klägerin in ihrer gesamten Lebensführung keinerlei Kenntnis von einer Mitgliedschaft in einer Kirche und keinerlei Beziehungen zur Kirche. Insbesondere hat sie nicht an den kirchlichen Riten teilgenommen. Sie hat während ihrer Schulzeit weder den Religionsunterricht besucht, noch an irgendwelchen (Schul-)Gottesdiensten teilgenommen und wurde auch nicht konfirmiert. Die Klägerin hat das Jugendweihe-Gelöbnis abgelegt, standesamtlich geheiratet und ihre Kinder nicht getauft. Dementsprechend wurde sie auch weder bis zum Jahr 1990 in der DDR noch danach in der BRD zur Kirchensteuer herangezogen. 

Bis zum Jahr 2011 galt sie als konfessionslos, sowohl auf der staatlichen Seite beim Einwohnermeldeamt, als auch auf der kirchlichen Seite im Gemeindemitgliederverzeichnis. Aus für die Klägerin unerfindlichen Gründen übersandte die Kirchensteuerstelle beim Finanzamt X ihr im Jahr 2011 plötzlich einen Fragebogen zur Feststellung der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft. Dabei berief sich die Kirchensteuerstelle auf die §§ 88, 90 AO und zitierte diese Normen auch. Nach § 88 Abs. 1 AO ermittelt die "Finanzbehörde" den Sachverhalt von Amts wegen. Aufgrund dieser Formulierung und aufgrund der Tatsache, dass die Kirchensteuerstelle unter derselben Adresse firmiert wie das Finanzamt, ging die Klägerin davon aus, dass es sich um ein staatliches Auskunftsersuchen, das erzwingbar ist, handele und beantwortete dieses. Sie gab dabei an, nicht getauft worden zu sein, da sie sich an eine Taufe nicht erinnern konnte. Daraufhin wandte sich die Kirchensteuerstelle im Jahr 2012 dann an die Evangelische Kirche in X und ersuchte um Prüfung der Kirchenmitgliedschaft und ggf. um Übersendung einer Taufbescheinigung. Hierzu wurden der Kirche in X die personenbezogenen Daten der Klägerin und ihrer Eltern übermittelt. Anschließend teilte die Kirchensteuerstelle der Klägerin sodann erstmalig seit dem Jahr 1953 mit, dass man aufgrund entsprechender Nachforschungen festgestellt habe, dass die Klägerin getauft worden und damit Mitglied der Evangelischen Kirche sei. Dementsprechend wurde ihr rückwirkend auch Kirchenlohnsteuer abgezogen, so dass sie sich schließlich gezwungen sah, im Jahr 2014 (erneut nach dem Austritt ihrer Erziehungsberechtigten in den 1950er-Jahren) gegen eine Gebühr beim Amtsgericht ihren Austritt aus der Evangelischen Kirche zu erklären, um für die Zukunft sicherzugehen.

Bezeichnenderweise ist nach der derzeitigen kirchenfreundlichen Rechtsprechung der Wiedereintritt eines Kirchenmitglieds – sofern keine weiteren innerkirchlichen Voraussetzungen vorgesehen sind – durch konkludente Wiederaufnahme möglich (VG Hannover vom 9. März 1998 7A 1132/97, KirchE 36, 88; VG Oldenburg vom 18. Februar 1986 4 A 250/84, NJW 1986, 1303). So kann ein solches schlüssiges Verhalten auch in der kirchlichen Trauung gesehen werden, ähnlich wie möglicherweise bei Anmeldung von Kindern in kirchlichen Einrichtungen oder bei Angabe der Religionszugehörigkeit in der Steuererklärung oder bei widerspruchsloser Zahlung der Kirchensteuer (vgl. OVG Lüneburg vom 26. September 1989 13 L 56/89, KirchE 27, 265; VG Hannover vom 24. September 1975 VII A 99/74, Deutsches Verwaltungsblatt -DVBl- 1976, 911; zum Vorstehenden insgesamt: FG Hamburg, Urteil vom 13. Mai 2008 – 3 K 35/08 –, Rn. 43, juris).

Wenn diese tatsächlichen Umstände zulasten eines Betroffenen hinsichtlich der Heranziehung zur Kirchensteuer berücksichtigt werden, müssten die tatsächlichen Umstände allerdings auch zugunsten eines Betroffenen berücksichtigt werden. Anderenfalls läge ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Verbot der Ungleichbehandlung von wesentlich gleichen Sachverhalten vor.

Im Jahr 2015 reichte Frau X Klage gegen den Bescheid des Finanzamtes über evangelische Kirchensteuer beim Verwaltungsgericht Berlin ein. Das Verfahren hat sich jüngst zum zweiten Mal gejährt, ohne dass ein mündlicher Verhandlungstermin angesetzt worden ist oder eine Entscheidung absehbar ist.

Das ifw hat neben der persönlichen Unterstützung für Frau X das Ziel in diesem Verfahren, das Vorgehen der Kirche als Verstoß gegen die deutschen Datenschutzgesetze zu qualifizieren und die in Berlin gängige Praxis der Ansiedlung der Kirchensteuerstellen in den Finanzämtern als verfassungswidrigen Verstoß gegen das Trennungsgebot zu beenden. Überdies geht es um die Frage, ob die Übersendung des Fragebogens in der praktizierten Form als Amtsanmaßung strafrechtlich relevant ist. Ferner werden in dem Verfahren erstmalig die Frage des Untergangs der von der Kirche behaupteten Kirchensteuerpflichtigkeit mit dem Untergang der DDR sowie die Frage, ob der Körperschaftsstatus der beiden Großkirchen nach 1990 neu begründet werden musste, problematisiert.

All dies bestätigt einmal mehr den rechtspolitischen Handlungsbedarf.

VIII. Vier konkrete Reformoptionen

Das System der staatlichen Kirchensteuerverwaltung ist insgesamt nicht mit dem Neutralitätsprinzip und dem Trennungsgebot des Art. 137 Abs. 1 WRV vereinbar, aber solange es besteht, sind im Minimum das staatliche Kirchensteuerrecht (Kirchensteuergesetze und Kirchenaustrittsgesetze der Länder) an die Rechtswirklichkeit anzupassen. Wie kann Abhilfe geschaffen werden? Es lassen sich mindestens die folgenden vier Optionen skizzieren:

Option 1: Kirchensteuerpflicht durch Kleinkindertaufvorgang als aufschiebend bedingter Vertrag

Wie das Beispiel von Frau X im Einzelfall und die fowid-Analyse bundesweit zeigt, gibt es heute keinen Automatismus mehr von der Taufe bis zur Firmung / Konfirmation. Daher streiten gute Gründe für eine gesetzliche Nachbesserung, indem die Kirchenmitgliedschaft durch den Kleinkindertaufvorgang im staatlichen Recht als ein bedingtes Rechtsgeschäft erfasst wird.

Als Bedingung bezeichnet man im Zivilrecht eine durch Parteiwille in ein Geschäft eingefügte Bestimmung, welche die Rechtswirkungen des Geschäfts (hier: Kirchenmitgliedschaft durch Kleinkindertaufvorgang) von einem ungewissen zukünftigen Ereignis (hier: Firmung / Konfirmation) abhängig macht. 

Die Möglichkeit, Rechtsgeschäften Bedingungen beizufügen, eröffnet den Gestaltungsspielraum, zukünftige Veränderungen in das Regelungsgefüge des Rechtsgeschäfts einzubeziehen und flexibel darauf zu reagieren. Bei der aufschiebenden Bedingung wird die Rechtsfolge eines Rechtsgeschäfts bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses aufgeschoben (Armgardt in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 158 BGB, Rn. 1, 2)

Ein allgemein bekanntes Beispiel ist der Eigentumsvorbehalt, der oftmals in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) enthalten ist. Die Übereignung der Kaufsache wird dabei durch die Kaufpreiszahlung aufschiebend bedingt. Erst wenn der Käufer den Kaufpreis vollständig an den Verkäufer bezahlt hat, wird er Eigentümer des Kaufgegenstandes. Bis zu diesem Zeitpunkt behält der Verkäufer das Eigentum. Durch diese aufschiebende Bedingung entsteht ein Anwartschaftsrecht des Käufers an der Kaufsache. Im Falle des Kleinkindertaufvorgangs bestünde somit ein Anwartschaftsrecht der Kirche auf die lebenslange Kirchensteuerpflichtigkeit des Getauften – sofern mit der Firmung / Konfirmation das "Geschäft" zustande kommt. Dieser Vorbehalt entspräche auch den kircheneigenen AGBs, dem oben zitierten Codex Iuris Canonici (CIC) 842 § 2, mit dem Dreiklang von Taufe / Erstkommunion / Firmung.

Folglich kann bezogen auf die Kirchenmitgliedschaft argumentiert werden, dass die Wirksamkeit des durch den Taufvertrag begründeten Kircheneintritts und die daraus resultierende Kirchensteuerpflichtigkeit unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass der religionsmündige Jugendliche mit der Teilnahme an der Firmung / Konfirmation seinen Glauben und seine Zugehörigkeit zur religiösen Gruppe der Kirche bekräftigt. Gelingt diese von den Eltern und den Verantwortlichen der Kirche mit der Taufe bezweckte Erziehung im und zum christlichen Glauben nicht, ist der Vertrag unwirksam.

Die Frage eines (förmlichen) Kirchenaustritts wäre dann insgesamt obsolet. Bei ausgebliebener Firmung / Konfirmation wären als verfahrensrechtliche Folge die Kirchenmitgliedschaft und die personenbezogenen Daten von der Kirche zu löschen. In Beachtung und Gewährleistung der Weltanschauungsfreiheit, als positive wie als negative Weltanschauungsfreiheit seiner Bürger, wäre demnach der Staat gehalten, diese Rechtssicherheit und den Schutz vor Vereinnahmung für seine Bürger zu gewährleisten.

Option 2: Genehmigung der Kirchensteuerpflicht durch Kleinkindertaufvorgang im Alter der Religionsmündigkeit

Die Klassifizierung des Kleinkindertaufvorgangs und des damit einhergehenden Kircheneintritts mit der Folge der Kirchensteuerpflichtigkeit als genehmigungspflichtigen Vertrag ist angesichts der aufgezeigten Rechtswirklichkeit naheliegend. Ebenso wie beispielsweise der Erbe vor dem Eintritt des Erbfalles als Nichtberechtigter verfügt, verfügen die Eltern bei der Taufe als Nichtberechtigte über die Glaubenszugehörigkeit ihres zu diesem Zeitpunkt noch nicht religionsmündigen Kindes. Diese Verfügung ist schwebend unwirksam. Sobald das Kind religionsmündig ist, kann es die Verfügung jedoch genehmigen, oder auch nicht genehmigen. Eine konkludente Nichtgenehmigung wäre beispielsweise in der Nichtteilnahme des Betroffenen an der Firmung / Konfirmation zu sehen.

Option 3: Formlose und gebührenfreie Kündigungsmöglichkeit der Kirchenmitgliedschaft 

Unzureichend gewürdigt wird bei der Bewertung der Kirchensteuerpflicht auch die von fowid skizzierte Anerkennung eines Kündigungsrechts wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 3 S. 1, 2 BGB. Eine solche Kündigung ist im Falle einer schwerwiegenden Veränderung der Umstände nach Vertragsschluss möglich. Die schwerwiegende Veränderung muss dabei von solcher Art sein, dass die Parteien den Vertrag nicht geschlossen hätten, wenn sie diese vorausgesehen hätten (Pfeiffer in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 313 BGB, Rn. 32). Die Norm bezweckt einen Schutz vor nachträglichen bzw. erst nachträglich hervortretenden Beeinträchtigungen einer Vertragspartei (Pfeiffer in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 313 BGB, Rn. 19). Vorliegend wäre der benachteiligte Vertragspartner der kirchensteuerpflichtige, im Kleinkindalter getaufte Religionsmündige, welcher sich von der Kirche und dem Glauben – entgegen der Erwartungen der Vertragsparteien bei der Vornahme der Taufe – durch seine Nichtteilnahme an der Firmung / Konfirmation abwendet. Ein Festhalten an der Kirchenzugehörigkeit ist dem Betroffenen in diesem Fall mit Blick auf Art. 4 Abs. 1, 2 GG nicht zumutbar. Die Kündigungsoption wäre für den Betroffenen auch vorteilhafter als die derzeit einzig und allein bestehende "Austrittsmöglichkeit" nach den Kirchenaustrittsgesetzen. Im Gegensatz zu den derzeit in den Kirchenaustrittsgesetzen vorgesehenen Förmlichkeiten beim "Austritt" (Erklärung bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk der Erklärende seinen Wohnsitz hat; schriftlich als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten, vgl. z.B. §§ 1, 3 Abs. 5 KiAustrG NRW), wäre eine Kündigung formlos möglich. Die Kündigung könnte letztlich sogar auch konkludent durch Nichtteilnahme des Betroffenen an der Firmung / Konfirmation erfolgen. Darüber hinaus wäre eine Kündigung im Gegensatz zu einem "Austritt" insbesondere auch gebührenfrei möglich. Auch der durch die Taufe nach staatlichem Recht begründete Kircheneintritt erfolgt schließlich gebührenfrei.

Der Gesetzgeber arbeitet in anderen Bereichen (z.B. bei Verbraucherverträgen, die im Internet abgeschlossen werden) durchaus aktiv daran, per Gesetz zu verhindern, dass Firmen ihren Kunden bei der Vertragskündigung höhere Hürden auferlegen als bei Vertragsabschluss (vgl. Gesetzesänderung vom Oktober 2016 zur Einführung der Möglichkeit einer Kündigung von online abgeschlossenen Verträgen per E-Mail). Wenn der Gesetzgeber – aus gutem Grund – beim Verbraucherschutzrecht darauf achtet, dass sich Kunden unter anderem genau so leicht von einem Vertrag wieder lösen können, wie sie ihn geschlossen haben, sollte der Staat im Bereich des Weltanschauungsrechts nicht hinter seinen eigenen hier aufgestellten Prinzipien hinterherhinken. Im Gegenteil: Die Prinzipien des Verbraucherschutzes müssten bei dem Eintritt und Austritt in eine Kirche mit lebenslanger Steuerpflicht sogar noch stärker als bei einem Vertrag mit einem Handyanbieter oder Fitnessstudio beachtet werden. Denn selbst bei einem im Internet geschlossenen Kaufvertrag ist eine viel deutlichere Willensbekundung hinsichtlich der Zahlungsbereitschaft für das Produkt nachweisbar als sie bei der Taufe eines unmündigen Säuglings oder Kleinkindes gegeben ist. Zudem stehen bei der Kirchensteuerpflicht ungleich höhere Summen in Rede als bei einem Handy- oder Fitnessstudiovertrag.

Option 4: Kirchensteuerpflicht nur für Religionsmündige

Gerhard Czermak (ifw) hat bereits an anderer Stelle zur Kirchenmitgliedschaft ausgeführt, dass die Bundesländer den Beginn der Kirchensteuerpflicht aus grundrechtlicher Sicht klarer regeln könnten. Wenn die Bundesländer den Beginn der Kirchensteuerpflicht nicht nur an eine Taufe und eine freiwillige persönliche bzw. elterliche Erklärung knüpfen, sondern auch an die Vollendung des 14. Lebensjahres. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass nahezu 100 Prozent der Kirchensteuer als Kirchenlohn- und Kircheneinkommensteuer erhoben werden (vgl. zu möglichen Kirchensteuerarten z.B. § 4 Abs. 1 KirchStG NRW). Denn mit Blick auf das zulässige Arbeitsalter und die zulässigen Arbeitszeiten für Kinder und Jugendliche hat die Kirchensteuerpflichtigkeit in etwa erst Relevanz ab dem vollendeten 14. Lebensjahr, was der Altersstufe von Jugendlichen für die Firmung / Konfirmation entspricht. Die Rechtslage wäre nach Czermak damit eindeutig geklärt. Doch nicht nur das. Sie entspräche darüber hinaus auch der von fowid nachgewiesenen Rechtswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2017.