Staatliche Neutralität

Schlagwort Staatliche Neutralität

Kopftuchdebatte, Neutralitätsgebot, Glaubensfreiheit und kein Ende

von Gerhard Czermak

Die Frage der Zulässigkeit des dienstlichen Tragens islamischer Kopftücher durch Lehrerinnen an öffentlichen Schulen mag manchem schon zum Hals heraushängen, stehen diese und ähnliche Fragen doch mindestens seit etwa 2000 immer wieder im Zentrum öffentlicher und juristischer Debatten. Die kontroversen Erregungen waren besonders nach der einschlägigen Entscheidung des 2. Senats des BVerfG von 2003 und der fast entgegengesetzten des 1. Senats von 2015 groß, manchmal sogar fanatisch. Die juristische und nichtjuristische Spezialliteratur ist nur schwer überschaubar. Das bisherige Berliner Neutralitätsgesetz betreffend Lehrer und allgemein Beamte ist nach einem rechtskräftigen Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2020 schwer angeschlagen und soll mit dem neuen CDU/SPD-Senat stark modifiziert werden. Eine neutralitätsfreundlichere Position hat demgegenüber der Europäische Gerichtshof für das private Recht vertreten. Ungelöste Probleme hat das 2021 verabschiedete Bundesgesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten erneut aufgeworfen.

In dieser Situation ist eine zusammenfassende Untersuchung von Nutzen, geht es doch um die Kollision von Neutralität und Glaubensfreiheit und ihre gegenseitige Gewichtung. Das stößt in den Kern der Neutralitätsdiskussion und damit des Religionsverfassungsrechts. Die Untersuchung Wolfgang Heckers befasst sich gleichermaßen mit juristischen wie nichtjuristischen Fragen.

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Rezension zu Michael Kühnlein (Hrsg.): Gottloser Staat? Im interdisziplinären Gespräch mit Horst Dreier

von Gerhard Czermak

Kühnlein hat einen besonders für Juristen interessanten Sammelband vorgelegt, der insgesamt eine Hommage für den Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier darstellt. Anlass war das breit rezipierte Buch Dreiers "Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne", das 2018 erschienen ist. Es hat große Aufmerksamkeit und zu Recht viel Zuspruch gefunden.

Kühnlein hat nun den geglückten Versuch unternommen, auch viele prominente Autoren vor allem aus Jurisprudenz und Theologie zu Stellungnahmen zu veranlassen und dabei auch Dreier gebührend zu Wort kommen zu lassen. Dreier erfährt in dem Band viel Zustimmung. Aber gerade auch die seltene Kritik bietet interessante Hinweise für die Notwendigkeit, ein zutreffendes Verständnis für die Forderung nach verfassungsgemäßem Verhalten aller staatlichen Organe gegenüber religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen zu vermitteln. Fragen der Neutralitätsproblematik bilden auch in diesem Buch den Hauptschwerpunkt.

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Zusammenfassung des Aufsatzes von Rolf Schwanitz: Freilegungen – Zur Geschichte der Ablösung besonderer Staatsleistungen an die Kirchen und Schlussfolgerungen für ein Grundsätzegesetz

Unser ifw-Beirat und Staatsminister a.D. Rolf Schwanitz hat in einem kompakten Beitrag, der seinesgleichen sucht, rhetorisch brillant die Geschichte der Ablösung der besonderen Staatsleistungen an die Kirchen freigelegt. Nach einem packenden Intro bringt er die Absurdität des seit nunmehr über 100 Jahren ignorierten Verfassungsauftrag auf den Punkt und fragt: "Wie konnte ein und derselbe Verfassungsartikel – der Ablösungsauftrag der Staatsleistungen an die Kirchen nach Art. 138 Abs. 1 WRV – im Jahr 1919 Bezugs- und Ankerpunkt für die Kirchen sein und dann neun Jahrzehnte später die gleiche Funktion für die Säkularen in der Bundesrepublik haben?"

Die Zusammenfassung können Sie hier weiterlesen, den Aufsatz in Gänze finden Sie hier.

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Freilegungen –Zur Geschichte der Ablösung besonderer Staatsleistungen an die Kirchen und Schlussfolgerungen für ein Grundsätzegesetz

Ein Aufsatz von ifw-Beirat und Staatsminister a.D. Rolf Schwanitz.

Es ist Donnerstag, der 31. Juli 1919 – in Weimar tagt die Nationalversammlung. Es geht um die Kirchenartikel der neuen Reichsverfassung. Nach wochenlanger Arbeit im Verfassungsausschuss findet heute endlich die Schlussberatung und Endabstimmung statt. Die Zeiten eines kaiserlichen Obrigkeitsstaates mit Amtskirchen als willige Helfershelfer sollen ein für alle Mal vorbei sein. Staat und Kirchen sollen sich trennen in der neuen Demokratie – zwar nicht vollständig, aber ganz besonders auch im Finanziellen. Wichtig ist den Kirchen dabei der Ablösungsauftrag der Staatsleistungen im neuen Artikel 138 Absatz 1. Die Kirchen wollen ihn so breit wie möglich fassen, damit nur wenige staatliche Zahlungen ersatzlos gestrichen, sondern möglichst viele in einer Übergangszeit mit einem Ausgleich förmlich abgelöst werden müssen. In der Schlussberatung geben die politischen Helfer der Kirchen noch einmal alles. Die national liberale Deutsche Volkspartei (DVP), die damals noch in einem monarchistischen Staatsbild verhaftet ist, unternimmt erneut den Versuch, den Ablösungsauftrag massiv zu erweitern. Er soll sich nicht nur auf rechtlich fundierte Zahlungen an die Kirchen beziehen, sondern faktisch auf alle bisherigen Geldzuwendungen, die die Kirchen bekommen. Den Abgeordneten der Nationalversammlung geht das aber viel zu weit. Erst ist die Auszählung über diesen Antrag unklar, dann werden per Hammelsprung 143 Ja-Stimmen und 171 Nein-Stimmen gezählt. Der Erweiterungsantrag der Kirchen-Lobby ist gescheitert.

Den gesamten Aufsatz können Sie hier weiterlesen, sowie als pdf herunterladen.

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Verfassungsbeschwerde: Anerkennung von Piratenkopftuch als weltanschauliche Kopfbedeckung

wegen: Verletzung von Art. 4 GG wegen Verneinung der Weltanschauungseigenschaft der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. 

Religiöse Kopfbedeckungen wie z.B. das Kopftuch werden von deutschen Behörden auf Personalausweisbildern akzeptiert. Dem Vorsitzenden der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. untersagt es die Stadt Templin jedoch, ein Piratentuch als weltanschauliche Kopfbedeckung auf seinem Passbild zu tragen. Die Klage des Betroffenen gegen den entsprechenden Bescheid der Stadt Templin wird vom zuständigen Verwaltungsgericht Potsdam abgewiesen. Die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. sei keine Weltanschauungsgemeinschaft, sondern lediglich eine Religionsparodie. Eine Berufung gegen diese Entscheidung wird vom Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen.

Das ifw unterstützt den Vorsitzenden der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. bei seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht: Der Nichtzulassungsbeschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG. Zugleich stellt die Verneinung der Weltanschauungseigenschaft der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland e.V. eine Verletzung von Art. 4 GG dar. Nach der ablehnenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unterstützt das ifw auch den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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Zusammenfassung des Beitrages von Ulfrid Neumann: „Der ,Wille Gottes‘ – ein Argument im parlamentarischen Diskurs?

Unser ifw-Beirat Ulfrid Neumann beleuchtet in seinem Beitrag in dem Werk "Gottloser Staat? – Im interdisziplinären Gespräch mit Horst Dreier" (Hrsg. Michael Kühnlein) Horst Dreiers sinngemäße These, dass der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates Genüge getan ist, soweit eine gesetzliche Regelung zumindest säkular begründbar ist. Neumann widerspricht mit guten und differenziert herausgearbeiteten Argumenten Dreiers Ansicht und fordert eine säkulare Begründung des Staates für das von ihm gesetzte Recht.

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Staatliche Neutralität ade? Klage gegen die bayerische Kreuzpflicht

wegen: Kreuzerlass der Bayerischen Regierung.

Am 24. April 2018 beschließt das Bayerische Kabinett eine Kreuzpflicht für alle bayerischen Behörden. Das Kreuz stelle nicht ein religiöses Symbol des Christentums dar, so der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, sondern ein "Bekenntnis zur Identität" und zur "kulturellen Prägung" Bayerns. Der Erlass sieht vor, dass im Eingangsbereich aller Behörden der bayerischen Staatsverwaltung (also nicht von lediglich in Bayern ansässigen Behörden des Bundes oder der Kommunen) ein Kreuz angebracht werden muss. Anfang Oktober 2018 reichen deshalb 27 Personen bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage gegen den Freistaat Bayern ein. Zu den Klägern gehören neben mehreren Privatpersonen auch der bfg-München KdöR und der bfg Bayern KdöR.

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